Seit Montag beteiligen sich viele Landwirtinnen und Landwirte in Baden-Württemberg an der bundesweiten Protestwoche des Bauernverbands gegen die Sparpolitik der Bundesregierung. Mit Traktorkonvois, Straßenblockaden und Kundgebungen machen sie ihrem Unmut Luft. Bereits seit Mitte Dezember, als die Regierung ihre Kürzungspläne vorgestellt hatte, gehen die Bauern auf die Straße. Auch die teilweise Rücknahme der Streichungen hat die Stimmung nicht beruhigt: Der deutsche und baden-württembergische Präsident des Bauernverbands, Joachim Rukwied, spricht von einem "faulen Kompromiss".
Mahnfeuer, Schlepperfahrten und Co Bauernproteste in BW: Stimmung teilweise hitzig
Die Landwirte in BW protestieren weiter gegen Subventionskürzungen. Auf einer Kundgebung in Ellwangen sprach Bundesagrarminister Özdemir (Grüne) erneut zu den Demonstrierenden.
Nur auf den ersten Blick drehen sich die Proteste der Landwirtinnen und Landwirte allein um die jüngsten Pläne. "Diese Kürzungen haben das Fass des Unmutes jetzt zum Überlaufen gebracht", sagte Enno Bahrs, Professor für landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim, dem SWR. Bereits seit einigen Jahren seien die Landwirte mit ordnungsrechtlichen Vorgaben und daraus resultierenden Kostensteigerungen konfrontiert. Jetzt wolle die Regierung ihnen auch noch die Subventionen kürzen.
Nahrungsmittel teurer - Erzeugerpreise sinken
Das Problem für die Landwirte: Ihnen gelingt es kaum, diese höheren Kosten am Markt weiterzugeben. Sie bekommen für ihre Produkte sogar weniger als früher, während die Nahrungsmittelpreise deutlich steigen.
Laut Statistischem Bundesamt lagen die Nahrungsmittelpreise im Oktober 2023 um gut sechs Prozent höher als im Oktober 2022 - die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte dagegen um 14,5 Prozent niedriger. Allerdings ist die Lage je nach Produkt sehr unterschiedlich. Besonders stark war der Preisverfall bei Getreide, Gurken oder Milch. Dagegen bekamen die Erzeuger für Äpfel, Eier oder Kartoffeln im Oktober 2023 deutlich mehr als im Jahr davor.
Welche Rolle spielen die Discounter?
Jüngst hatte auch eine Studie im Auftrag des baden-württembergischen Agrarministeriums ergeben, dass die Schere zwischen dem Preis, den die Erzeuger verlangen, und dem im Einzelhandel in den vergangenen Jahren weit auseinander gegangen ist. Als Grund dafür, dass die Landwirte keine höheren Preise durchsetzen können, wird häufig die konzentrierte Marktmacht der wenigen Supermarkt- und Discounterketten angeführt. Dies deutete auch BW-Agrarminister Peter Hauk (CDU) bei der Vorstellung der Studie an: Im Handel gebe es ein Oligopol, das vertieft untersucht werden müsse.
Doch mit einem alleinigen Blick auf die Discounter mache man es sich zu einfach, meint Sebastian Hess, Professor für Agrarmärkte an der Universität Hohenheim. "Die Supermärkte und Discounter haben sicherlich eine gewisse Verhandlungsmacht, doch sie allein bestimmen nicht die Preise, die die Erzeuger für ihre Produkte erhalten", sagte Hess im Gespräch mit dem SWR.
Einen entscheidenden Effekt, der vielfach unterschätzt werde, habe die Preisentwicklung an den Weltmärkten, die sich auf die Erzeugerpreise auch innerhalb der EU, also auch in Deutschland, auswirkten, so Hess. Dies liegt auch daran, dass Deutschland hinter den USA, den Niederlanden und Brasilien das weltweit viertgrößte Exportland für Agrarprodukte ist. Vom Weltmarkt wächst der Druck, günstig zu produzieren.
Agrarexperte: Verbraucher zu Geiz erzogen
Gleichwohl: In Deutschland teilen in der Tat nur vier Konzerne - Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) und Aldi - den Lebensmittelhandel weitgehend unter sich auf, drei Viertel des Marktes sind in ihrer Hand. Auch das Bundeskartellamt sieht die Entwicklung kritisch.
Hess betont insbesondere die Rolle der großen Handelsketten bei der Wertschätzung der Lebensmittel. Über viele Jahre hätten die Discounter die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland zu einem gewissen "Geiz bei Lebensmitteln" erzogen, meint der Experte. "Hierzulande wird der teure Grill gekauft, auf den dann das Billigfleisch gelegt wird. Das ist auch eine Mentalitätsfrage." Daher sei es wichtig, ein Umdenken in der Bevölkerung voranzutreiben und den Wert gesunder Ernährung und hochwertig erzeugter Produkte etwa schon in der Schule stärker zu vermitteln.
Laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung mussten die Deutschen im Jahr 2022 im Schnitt nur 11,5 Prozent ihres Geldes für Lebensmittel aufwenden. Dies ist einer der niedrigsten Werte in der EU. Nur in Irland, Luxemburg und Österreich geben die Menschen anteilig weniger für Nahrungsmittel aus. Zum Vergleich: In Italien waren es 14,4 Prozent, in Frankreich 13,3 Prozent.
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Junge Landwirte fordern "faire Erzeugerpreise"
Klar ist: Um bestehen zu können, ist die Landwirtschaft in großem Maße auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen - was sie gar nicht unbedingt möchte. "Junglandwirtinnen und Junglandwirte wollen nicht von staatlichen Geldern abhängig sein und für den Erhalt von Subventionen demonstrieren", erklärte die Junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft zu der aktuellen Protestwoche. "Aber ohne richtige Rahmenbedingungen, in denen faire Erzeugerpreise erzielt werden können und die Verhandlungsmacht von Aldi, Edeka und Co beschränkt wird, gibt es keine wirklichen Alternativen."
Hess kontert, die Landwirte hätten es - zumindest teilweise - selbst in der Hand, ihren Druck zu erhöhen. Er verweist auf die Lage in Baden-Württemberg: Hier seien viele Landwirte genossenschaftlich organisiert, hätten also auch die erste Verarbeitungsstufe in ihrer Hand. "Allerdings sehen manche Landwirte nicht, dass sie sich in ihre Genossenschaften selbst einbringen können und es dabei viele Möglichkeiten gibt, die Marktstellung durch Zusammenarbeit zu verbessern."
Landwirte leisten Wichtiges für die Gesellschaft
Den Wunsch der Junglandwirte nach "fairen Erzeugerpreisen" und einer Loslösung von Subventionen findet Hess utopisch. "Eine weitgehend unregulierte Landwirtschaft wäre mit den gesellschaftlichen Erwartungen an sie sowie den zu Recht festgelegten Standards in Europa nicht vereinbar", so Hess. Außerdem würden die Landwirte wichtige gesellschaftliche Zusatzleistungen wie zum Beispiel die Pflege der Kulturlandschaft und soziale Funktionen im ländlichen Raum erbringen, die kaum angemessen in den Marktpreisen für Nahrungsmittel abgebildet werden könnten.
So gebe es sinnvolle Investitionsbeihilfen und Ausgleichszahlungen, die als Kompensation etwa für Produktions- und Umweltauflagen gedacht seien. "Ob, wie viele und wofür die Landwirtschaft staatliche Transfers erhält, kann somit nicht von der Frage getrennt werden, welche Form der Landwirtschaft wir in Europa haben wollen", sagte Hess.
Wie Verbraucher die heimische Landwirtschaft unterstützen können
In diesem Punkt haben auch die Verbraucherinnen und Verbraucher Einfluss. Sie können heimische Bäuerinnen und Bauern sowie eine nachhaltige Landwirtschaft unterstützen, wenn sie dies möchten, indem sie direkt beim Erzeuger kaufen und regionale Kreisläufe unterstützen, etwa auf dem Wochenmarkt oder im Hofladen. Dort ist es zwar teurer als im Discounter, doch es lohnt, sich zu fragen: Wie will ich mich ernähren, welche Qualität sollen die Erzeugung und die Produkte haben und was bin ich bereit auszugeben? Mit der Wahl saisonaler Produkte können Kunden zudem die Höhe ihrer Ausgaben steuern.
Dazu zählt außerdem, weiterverarbeitete Produkte zu meiden - also etwa Fertig-Kartoffelgratin - und lieber aus den Basiszutaten selber ein Gericht zu kochen. Denn an verarbeiteten Nahrungsmitteln verdient in erster Linie die Lebensmittelindustrie.