Buchkritik

Heinz Strunk - Ein Sommer in Niendorf

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AUTOR/IN
Anja Höfer
Anja Höfer, Autorin, Moderatorin und Redakteurin, SWR2 Kulur (Foto: SWR, Anja Höfer)

Der Mann, das peinliche Wesen! Auch in Heinz Strunks neuem Roman geht es um einen mittelalten Mann, der mit sich, dem Leben und der Liebe hadert. Angesiedelt in Niendorf an der Ostsee, schreibt Strunk eine Art Gossen-Version von Thomas Manns „Tod in Venedig“: sehr dynamisch und mit bewährter Komik erzählt.

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Roth will eine spannende Familienchronik schreiben, vielleicht sogar für eine Netflix-Serie geeignet

Die Aussichten für den Juristen Dr. Roth sind eigentlich ganz gut: Bevor er im September eine neue Stelle antreten wird, liegt ein langer Sommer ganz ohne Arbeit und Verpflichtungen vor ihm. Er entschließt sich für einen dreimonatigen Aufenthalt in den „Ostsee-Appartments“ in Niendorf, einem Ortsteil von Timmendorfer Strand mit leicht herunter gekommenem Charme.

In diesem titelgebenden „Sommer in Niendorf“ will sich der um die 50jährige Held in Heinz Strunks neuem Roman einem größeren privaten Projekt widmen: Sechsundsechzig Stunden Rohmaterial zur Geschichte seiner eigenen Familie hat er auf Tonband aufgenommen. Vor allem geht es dabei um Aufstieg und Fall des familieneigenen Unternehmens, das in den 20er Jahren gegründet wurde, eine lange Erfolgsperiode erlebte und Mitte der 90er Jahre Bankrott ging. Aus den Interviews mit Mutter, Onkel und dem schon schwer kranken Vater will Roth ein Buch machen, eine spannende Familienchronik schwebt ihm vor, vielleicht sogar für eine Netflix-Serie geeignet!

„Los geht’s also mit dem ersten von insgesamt vierundvierzig Tonbändern. Zermürbende eineinhalb Stunden lässt er die näselnde Stimme seines Vaters über sich ergehen. Viel langweiliger, als er es in Erinnerung hatte, anekdotengesättigt (die meisten ziemlich peinlich), weder Interviewer noch Befragter scheinen eine Vorstellung davon zu haben, was wichtig ist und was belanglos. (…) Ihn beschleicht ein Gefühl von Ratlosigkeit und Gereiztheit.“
(Heinz Strunk: Ein Sommer in Niendorf, Seite 27)

Man ahnt es schon: Das Buchprojekt wird scheitern, wie so vieles in diesem Sommer scheitern wird

Die Inspiration stockt. Da hilft es auch nichts, dass eine Gedenktafel an ein Treffen der legendären Gruppe 47 in Niendorf im Mai 1952 erinnert. Man ahnt es schon: Das Buchprojekt wird scheitern, wie so vieles in diesem Sommer scheitern wird, den sich Roth so schön ausgemalt hatte.

Zum ersten Mal steht ein sehr bürgerlicher Held im Mittelpunkt einer Geschichte von Heinz Strunk. Waren es in den Vorgänger-Romanen eher die Loser, die zu kurz Gekommenen und Gebeugten, die er mit oft schmerzhaft genauem Blick porträtierte, so lernen wir jetzt einen aufrechten Mann aus gutem Hause kennen, Schöngeist und Spross einer Firmendynastie, die freilich ihre besten Zeiten hinter sich hat.

Strunk führt seinen Helden in ein denkbar kleinbürgerliches Setting - was die Fallhöhe nur vergrößert

Aber man sollte sich vom sozialen Status der Hauptfigur nicht in die Irre führen lassen. Heinz Strunk bleibt seinem bewährten Milieu nämlich trotzdem treu: Er führt seinen Helden in ein denkbar kleinbürgerliches Setting - was die Fallhöhe nur vergrößert. Schon der Ferienort Niendorf ist wenig exklusiv. Die Lokale tragen Namen wie „Brimborium“, und auf den Speisekarten wird Salat als „etwas Frisches vorneweg“ angekündigt. Aus diesem Milieu stammt auch Roths aufdringlicher Zimmerwirt, der örtliche Strandkorbverleiher und Spirituosenhändler Breda: eine kaputte, schwer alkoholkranke Gestalt mit fast dämonischen Zügen, die Roth immer mehr in den Abgrund ziehen wird.

„Der passt ihn ab, lauert ihm auf, will ihn kontrollieren. Bredas Schatten verdunkelt ganz Niendorf. Roth geht jetzt immer einkaufen, wenn er den Typen auf Strandkorbpatrouille wähnt. Und dann schickt Breda ihm auch noch furchtbar ungelenke Gutenacht-SMS: ‚Wünsche, gut zu ruhen!‘ ‚Hoffe, Sie haben sich bestens eingelebt‘ (…) ‚Mittwoch kommt ein ganz feiner Brandy rein.‘ Dazu irgendwelche dämlichen Emojis. Sind wir jetzt ein Liebespaar, das sich Träum-süß-Grüße schickt?“
(Heinz Strunk: Ein Sommer in Niendorf, Seite 35)

Strunk schreibt die Proll-Version von Thomas Manns „Tod in Venedig“

Thomas Mann wird im Verlauf der Geschichte mehrfach genannt - und tatsächlich kann man in Strunks Roman ein paar Parallelen zu dessen berühmter Novelle „Tod in Venedig“ erkennen: Es geht um erotische Schwärmerei - in diesem Fall für eine Kellnerin -, es geht um einen persönlichen Niedergang und am Ende auch um den Tod.

Nur dass Strunk eher die Proll-Version der Geschichte schreibt, eine mit Plastikstühlen und billigem Fusel - und mit einer fast schon barocken Fixierung auf den Menschen als welkendes Wesen mit all seinen Ausdünstungen, unerfreulichen Körperflüssigkeiten, Zahnlücken und Hautirritationen. Der Ästhet Thomas Mann hätte sich bei solchen Ekel-Eskapaden schaudernd abgewandt.

Die schönen „Sportlerfressen“ bekommen die tollen Frauen ab. Die anderen sind wehleidige, misogyne arme Würstchen

Wie dessen Held Gustav Aschenbach wird allerdings auch Roth mehr und mehr zur lächerlichen Figur. Es ist das große Thema, an dem sich Strunk eigentlich in jedem seiner Romane abarbeitet: Der Mann, das peinliche Wesen. Da ist er dann auch ganz nah bei seinem literarischen Vorbild Michel Houellebecq und dessen These vom sexuellen Klassenkampf: Nur die schönen „Sportlerfressen“ - wie es in einem anderen Roman von Strunk heißt - bekommen die tollen Frauen ab. Die anderen, mäßig attraktiven Typen gucken in die Röhre und sind ebenso wehleidige wie misogyne arme Würstchen.

Auch Roth scheitert an der Liebesfront: Von seiner Frau, die einen religiösen Spleen entwickelt hat, lebt er getrennt, der Besuch einer flüchtigen Kneipenbekanntschaft endet im sexuellen Desaster, und die, für die Roth schwärmt, die etwas trotzige „Brimborium“-Kellnerin, bleibt - wie der schöne Junge Tadzio bei Thomas Mann - unerreichbar.

Die Bedienung ist jung, drall, dümmlich, irgendwie unverschämt und lädt zum Träumen ein. ‚Savina‘ sagt das Namensschild an ihrer Bluse. (…) Savina wünscht schlecht gelaunt einen guten Appetit. Geile Stimme, denkt Roth, irgendwo zwischen elektrisierend und aphrodisierend. Es will ihm nicht in den Kopf, dass sie ihn, den trotz leichter Abnutzungserscheinungen immer noch sehr attraktiven, auffällig gut gekleideten, interessanten, ja geradezu mysteriösen Gast genauso lieblos behandelt wie jeden x-beliebigen Rentner.
(Heinz Strunk: Ein Sommer in Niendorf, Seite 71)

Der Roman lebt von einem großen Sinn für das Groteske und Komische

Empathie oder gar Mitleid mit Roth, dem Helden, will beim Leser nicht so recht aufkommen, dazu blickt er selbst viel zu zynisch auf die Welt. Das spricht aber nicht unbedingt gegen diesen Roman, der eine ganz eigene, großartige Dynamik entwickelt und der von einem großen Sinn für das Groteske und Komische lebt. 

Am Ende hält Strunk eine wirklich überraschende - und sogar recht versöhnliche - Pointe bereit. Da mag man diesen Roth dann plötzlich doch.

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Aus allen Ecken dieses Romans schreit es „Midlife Crisis“. Ein Mann Mitte vierzig ist gelangweilt von seiner Beziehung. Strunks Konzentration auf die Innenansicht eines von Reflexen und triebgesteuerten Mannes in der Krise ist konsequent.