SWR2 lesenswert Kritik

Frank Martinus Arion – Doppeltes Spiel

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AUTOR/IN
Eva Karnofsky

Vier Freunde treffen sich zum Dominospiel. Doch was am Nachmittag so nett beginnt, endet am Abend in der Katastrophe. "Doppeltes Spiel" dreht sich um Domino, vier Männer und zwei Frauen und um die vom Kolonialismus geprägte Niederländische Antillen-Insel Curaçao.

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Vier schwarze Romanhelden und kein einziger weißer Protagonist – das war bei Erscheinen des Romans „Doppeltes Spiel“ 1973 eine Sensation im niederländischen Sprachraum. Wie der ebenfalls schwarze Autor Frank Martinus Arion, stammen alle vier von den niederländischen Antillen. Es verbindet sie außerdem eine große karibische Passion – das Dominospiel.

Arion muss sich köstlich amüsiert haben, als er seine vier tragikomischen Figuren erfand. Manchi ist ein humorloser Gerichtsdiener, der sich mit eigenen Händen eine Villa gebaut hat. Er trägt die Nase oben, im Gegensatz zu dem jovialen, stinkefaulen Taxifahrer Bubu Fiel, der gleich nebenan lebt – in einer Bruchbude. Was die beiden Nachbarn nicht wissen: Ihre Frauen Solema und Nora spielen ein doppeltes Spiel, denn sie betrügen sie, und zwar ausgerechnet mit den beiden Männern, mit denen sie sich jeden Sonntagnachmittag unter Bubus Tamarindenbaum zum Dominospiel treffen.

Manchis Frau Solema hat ein Verhältnis mit dem Junggesellen Janchi, der als Arbeiter beim Ölgiganten Shell sein Geld verdient. Nora, Mutter von mehr als einem Dutzend Kinder, beschafft das Haushaltsgeld, wenn Bubu es mal wieder ins Bordell getragen hat, im Bett von Chamon Nicholas, dem vierten Spieler im Bunde. Der stammt anders als seine drei Kumpane nicht von der niederländisch-sprachigen Antilleninsel Curaçao, sondern von der Nachbarinsel Saba, wo vor allem Englisch gesprochen wird. Eigentlich ein wohlhabender Hausbesitzer, gelingt es Chamon, erfolgreich den armen Schlucker zu mimen. Jahrelang spielte das ungleiche Quartett friedlich Domino und süffelte nach karibischer Manier literweise Rum dabei. Doch an diesem Sonntag, den Arion im Hauptteil seines Romans beschreibt, läuft etwas anders: Nun soll für jede verlorene Runde auf der Seite der Verlierer ein paar schwarze Damenschuhe in den Tamarindenbaum gehängt werden – weithin sichtbar für alle im Viertel. Und das führt geradewegs ins Chaos.

Arion hat diesen Domino-Nachmittag in Echtzeit beschrieben, heißt es im Nachwort der Übersetzerin Lisa Mensing, und man liest tatsächlich etwa so lange daran wie die Spieler gespielt haben, wobei ein auktorialer Erzähler aus der Rückschau berichtet. Wer Domino nicht kennt, hat mit der Beschreibung der Partien und Spielzüge etwas Mühe.

Dafür ist das Eintauchen in das Ambiente, in die Gespräche und in die Gedanken der vier Spieler umso interessanter. Arion erzählt dabei die Lebensgeschichte der vier Männer und der beiden Frauen, und ebenso viel berichtet er über Curaçao. Wenn er etwa in den Kopf von Manchi schlüpft, enthüllt sich die bei Erscheinen des Buches 1973 weiterhin existierende koloniale Hierarchie. Manchi ist Gerichtsdiener, bis zum Richter bringen es nämlich nur weiße Niederländer. Und nur in deren Viertel sind die Straßen asphaltiert.

Doch es regt sich etwas. In Bubus Taxifahrergewerkschaft zum Beispiel. Und auch Janchi denkt darüber nach, Solemas aufmüpfige revolutionäre Ideen, die sie vom Studium in den Niederlanden mitgebracht hat, in einer neuen Partei einzubringen. Die vier Kumpels fragen sich außerdem, ob an der rassistischen Behauptung der Kolonialherren, Schwarze seien faul, etwas dran sei oder nicht. Karibischer Machismo kommt reichlich vor im Roman, wobei Arion sich gründlich darüber lustig macht: Denn es sind die beiden Frauen, die dafür sorgen, dass es weitergeht, wenn die Ritter von der traurigen Gestalt mal wieder den Karren in den Dreck gefahren haben.

Und natürlich bedient Arion auch so kräftig das weiße Vorurteil, in der Karibik gehe es eigentlich immer nur um Sex, dass man darüber lacht – und es nicht mehr ernst nimmt. Da hat Lisa Mensing bei der Übersetzung einen guten Job gemacht, denn sie hat die Ausflüge ins Sexuelle drastisch, aber nicht peinlich ins Deutsche übertragen. Kurz: Wer Unterhaltung mit viel sozialem und politischem Tiefgang sucht, der wird Frank Martinus Arions Roman „Doppeltes Spiel“ lieben.

Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing
Büchergilde, 390 Seiten, 24 Euro
Artikelnummer 173328

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AUTOR/IN
Eva Karnofsky