SWR2 am Morgen

Spielstraßenheld

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Deutsche Schriftsteller und Autoren schreiben über ihre kleinen Niederlagen

Der schwarze Jeep ist mindestens dreimal zu groß für den Stadtverkehr. Tief röhrender Motor, übergroße Bereifung, überall Stoßstange und Kühlergrill und Blech. Der Jeep fährt eine Spielstraße entlang. Von der anderen Seite der Straße nähert sich ein kleines Mädchen auf einem Bobbycar. Das Mädchen ist mindestens dreimal zu klein für den Stadtverkehr. Das Rot des Bobbycars ist verblichen. Der Jeep fährt. Das Bobbycar fährt. Erstes Köpferecken neben mir im Straßencafé: "Der Jeep ist doch viel zu schnell! – Die fahren aufeinander zu! – Wo sind denn die Eltern?" Das Mädchen rollt vom Bürgersteig auf die Spielstraße, tuckert vor, tuckert zurück, spielt gendankenverloren wie in einem Hinterhof. Dann sieht sie das Automonstrum, reißt beide Arme in die Luft, kippt fast um vor Angst, rudert mit ihren winzigen Armen.

Beim Aufspringen werfe ich meinen Kaffeehausstuhl um, dann hechte ich auf die Straße. Der Jeep bremst ab, wird langsamer, bleibt aber nicht stehen. Ich werfe mich über das Mädchen und reiße es vom Bobbycar, zeige dem Fahrer die Faust. Der Jeep kommt noch immer nicht zum Stehen, nähert sich weiter, bis er mich mit dem Kühlergrill an den Knien berührt. Ich werde endgültig wütend. Mit dem Mädchen auf dem Arm klopfe ich auf die Motorhaube. "Automörder!", rufe ich, auch wenn Mordsauto wohl richtiger wäre, aber für Feinheiten lässt mir das Adrenalin keine Zeit. "Perverses Gefährt!" rufe ich. "In einer Spielstraße!", rufe ich, und: "Krank im Hirn!", und: "Drogen genommen!" und: "Gehören doch eingesperrt!"

Das Mädchen auf meinem Arm fängt an zu plärren. Genauer gesagt merke ich erst jetzt, dass es schon eine ganze Weile lang plärrt. Dann steigt der Fahrer aus. Bulliger Nacken, rasierter Schädel. Der wiegt mindestens vierzig Kilo mehr als ich, plötzlich zweifle ich an meiner Courage. Autofahrer sind eher selten Zen-Buddhisten. Der Fahrer knallt die Autotür zu, bestraft mich mit einem langen, eisigen Blick. Ich gehe zum Angriff über: "Sie hätten das Mädchen fast totgefahren!"

Unsinn", entgegnet der Fahrer, "wir hatten uns schon von weitem zugewinkt. Und nun geben Sie mir sofort meine Tochter zurück!"

Ich merke, wie mir das Blut in den Kopf schießt. Die Kleine plärrt und plärrt, erst auf dem Arm des Fahrers wird sie ruhig.

"Hat dir der Irre was angetan?", fragt der Fahrer. Er streicht dem Mädchen die Tränen aus den Augenwinkeln, schüttelt verächtlich den Kopf und spuckt mir zum Abschied vor die Füße. Dann brausen Vater und Tochter mitsamt ihrem Bobbycar davon. Ich bleibe mitten auf der Spielstraße zurück.

Hinter mir hupt ein nahendes Auto. Und noch dahinter zeigt ein ganzes Straßencafé mit Fingern auf mich.

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SWR