SWR2 am Morgen

Die Hoffnung und das Schnabeltier

Stand

Deutsche Schriftsteller und Autoren schreiben über ihre kleinen Niederlagen

Die Hoffnung auf Wunder ist hartnäckig, beinahe genauso hartnäckig wie ich. Ich suche nach ihnen, nach den Wundern, nach dem Eis, das nicht schmilzt, nach dem Feuer, das nicht brennt und dem Regen, der nicht nass macht. In Australien suchte ich nach dem Tier, das es nicht gibt. Ich hatte natürlich Fotos gesehen, Naturfilme, Abbildungen, alle sprachen davon, von diesem Tier, das zu Wasser und zu Lande lebt, das taucht wie ein Fisch und läuft wie ein Iltis, das Schwimmhäute  hat und ein Fell. Vielleicht kann es sogar fliegen, das Schnabeltier, wer weiß das schon.

Ich rieb mir die Hände und kaufte mir eine überteuerte Eintrittskarte für den Zoo von Sydney, mein Herz schlug langsam und deutlich, voller Vorfreude auf diesen Salto Mortale der Schöpfung, der meinen Wunderglauben stärken und stützen würde. Ich ging an ordinären Robben und übertrieben bunten Papageien vorüber, Nashörner standen herum wie aus Beton gegossen, das alles interessierte mich nicht.

Bald begannen die Tiere zu merken, wie gleichgültig sie mir waren, sie winkten mir zu, drängten sich am Zaun, um von mir gesehen zu werden, ein Wüstenhund jaulte mich an, eine ganze Horde Erdmännchen preschte auf mich zu, als wollte sie mich einkreisen. Aber der Zaun war zwischen uns, und ich hatte nur Sinn für das Schnabeltier.

In der Abteilung für australische Tiere stürzte ich gleich zu seinem Gehege, einem länglichen Becken, das aussah wie ein Fluss aus Plexiglas, fließendes Wasser, kleine runde Steine, das Schnabeltier müsste sich hier eigentlich wohlfühlen, und ich brannte vor Spannung, ich presste mein Gesicht an das Plexiglas und starrte in das leicht algige Wasser, auf der Suche nach dem Wunder. Ich sah nichts. Nichts regte sich, nur die Wasserpflanzen wogten leicht in der Strömung. Wild sah ich mich um nach einem einem Tierpfleger, jemandem, der sich mit Schnabeltieren auskannte, dem Engel der Schnabeltiere.

Da nahm ich aus den Augenwinkeln eine Regung zwischen den Steinen wahr. Ganz langsam, kaum merklich drehte ich mich um, bis ich sehen konnte, was sich da über die Kiesel schob. Es war ein winziges mageres Geschöpf, ein dünnes biberähnliches Tierchen, braun und unscheinbar. Der Schnabel war nicht der Rede wert, die Schwimmhäute nicht zu sehen, das Ganze war erbärmlich, und ich schloss die Augen und atmete tief durch. Als ich wieder hinschaute, hatte sich das Würmchen schon in den Algen verkrochen. Jemand trat hinter mich, vielleicht war es der Tierpfleger.

"In freier Wildbahn sind sie größer", sagte er und legte mir tröstend eine Hand auf die Schulter. Ich schüttelte sie ab.

Stand
AUTOR/IN
SWR