SWR2 am Morgen

Wenn’s läuft, dann läuft’s

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Deutsche Schriftsteller und Autoren schreiben über ihre kleinen Niederlagen

Vor ein paar Tagen bin ich mitten in der Nacht aufgestanden und gelaufen, gelaufen, gelaufen. Wie ich endlich zu mir gekommen bin, war ich schon in Brünn, gut, habe ich mir gedacht, wenn du schon in Tschechien bist, kannst du gleich nach Olmütz auf einen gebackenen Quargel laufen. Ich hab dann noch einen Abstecher nach Budweis auf ein Pils gemacht, um rechtzeitig zum Internationalen Marathon in Prag zu sein.

Ich bin immer schon gerne gelaufen, nein, nicht besonders schnell, aber dafür um so länger. Natürlich tut man sich mit diesen Entfernungen nichts Gutes, das Gewicht schmilzt weg wie ein Stück Butter in der heißen Pfanne, die Gelenke schleifen sich ab, aber ich kann nicht anders, muss mich einfach freilaufen, da kannst du wieder klar denken und bekommst, wenn alles richtig läuft, ein Glücksgefühl, das wie eine Wagner-Oper ist. In Prag aber, das sag ich dir, in Prag ist es gegen mich gelaufen, hat sich was verzwickt, vielleicht waren die Budweiser Kartoffelsuppe oder die Iglauer Powidl-Pofesen faul, vielleicht habe ich den Verdi nicht vertragen, jedenfalls rannte mir schon am Abend so ein Glucksen und Rumoren durch den Bauch, dass ich mir gedacht habe, da musst du aufpassen, auf was das noch hinausläuft. Natürlich hätte ich es mir denken können, hätte ich absagen und nach Hause fahren müssen, aber ich habe mir gesagt, da musst du durch, du willst doch endlich einmal einen Marathon unter drei Stunden laufen, und das Klima hier ist optimal, also beiss die Zähne zusammen. Und ich habe zusammengebissen, das kann ich dir sagen. Aber hat es was genützt?

Wir rennen also los, ich lange in Kontakt mit der Führungsgruppe, du, ich bin dem Barnabas Koech, dem späteren Sieger, fast auf die Fersen getreten, so gut war ich unterwegs, da hat mich der Äthiopier Dessalegn Birru gerempelt, zum Glück ist der nur so eine halbe Portion, aber das war nicht das Schlimmste, sondern dass das Rumoren im Bauch immer lauter und lauter geworden ist. Zwölftonmusik. Ich bin mir vorgekommen wie ein Zinshaus mit Wasserrohrbruch. Mir ist also nichts übrig geblieben, als mich ins Gebüsch zu schlagen. Mit Ach und Krach finde ich einen Strauß, äh, Strauch, scheiß mir nichts, und laufe weiter. Heiliger Schönerberg. Alle paar Kilometer hat sich diese Abfolge aus Bauchflattern, Weiterrennen und Dünnpfiff nun wiederholt. Mein Allerwertester hat vielleicht gebrannt, gesungen habe ich: „Wo i geh und steh, tut mir mein...“

Im Pulk war ein Hobbyläufer namens Bruckner oder Brahms, den habe ich von Berlin oder London gekannt. Achtmal habe ich ihn überholt. Jedes Mal hat er mich wieder gefragt: „Wo kommst denn du schon wieder her? Haben wir uns heute nicht schon mal gesehen?“ Der hat geglaubt, er träumt. Auf der Karlsbrücke über der Moldau ist mir dann richtig schlecht geworden, habe ich zu mir selbst gesagt, Jesusmaria, ist mir übel, du, es hilft ja alles nichts, du musst dich in die schöne Moldau übergeben. Ich bin also stehen geblieben, halte mich an der Brüstung an, schaue in die Moldau, denke an den alten Smetana. Da kommt einer an und schreit: „Nicht springen! Um Gottes Willen, tun Sie es nicht! Tun Sie es nicht!“ Der hat geglaubt, ich will mich umbringen, reißt mich zurück, ich immer noch geschäftig. Der hat vielleicht geflucht. Heiliger Dvorak.

Irgendwie habe ich es dann doch ins Ziel geschafft, wo sie mir zu „We are the champions“ eine Medaille umgehängt und „Finish! Finish! Finish!“ gebrüllt haben. Du, die haben vielleicht geschaut, wie ich einfach weitergelaufen bin, ich habe ja noch immer einen Drang gehabt, weil wenn es läuft, dann läufts.

Am nächsten Tag ist es mir aber wieder wie dem jungen Mozart gegangen, denk ich mir, du, wann kommst du schon in diese Gegend, schaust du dir gleich die neuen EU-Mitglieder an. Bin ich also durch Polen, habe Kalingrad umkurvt, über die litauische Nehrung nach Riga, Talin, weiter gen Osten. Wenn es einmal läuft, dann läufts.

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