Seit 85 Jahren wohnt hier niemand mehr

Verlassenes Dorf Gruorn: Bewohner treffen sich jedes Jahr zu Pfingsten

Stand
Autor/in
Friederike Dauser
Friederike Dauser ist Reporterin und Redakteurin für Hörfunk und Online beim SWR im Studio Tübingen.

Seit 1939 lebt in dem Dorf Gruorn keiner mehr - trotzdem treffen sich seine Bewohner dort einmal im Jahr. Mit ihren Nachkommen erinnern sie sich. Was ist von dem Ort geblieben?

Es ist ein besonderer Tag für die ehemaligen Bewohnerinnen, Bewohner und deren Nachkommen. An Pfingstsonntag trafen sie sich im verlassenen Albdorf Gruorn (Kreis Reutlingen). Der Ort musste vor 85 Jahren geräumt werden. Der Grund: Der nahegelegene Truppenübungsplatz wurde zu klein. Er wurde erweitert, das Dorf Gruorn quasi von ihm verschluckt.

Jedes Jahr zu Pfingsten: Ein Gottesdienst für das Dorf

Die Stephanuskirche war am Sonntag wieder einmal voll besetzt. Über 100 Menschen sind auf den Bänken zusammengerückt, um einen Gottesdienst zu feiern. Gemeinsam haben sie des verlassenen Dorfes Gruorn gedacht - und der Menschen, die von hier vertrieben wurden. Das machen die Hinterbliebenen jedes Jahr zu Pfingsten, schon seit vielen Jahrzehnten.

Die ehemaligen Dorfbewohner und deren Nachkommen feiern jedes Jahr an Pfingsten einen Gottesdienst in der Stephanuskirche in Gruorn. Das Dorf bei Münsingen (Kreis Reutlingen) gibt es seit 1939 nicht mehr.
Der Höhepunkt des Pfingsttreffens in Gruorn: Der Gottesdienst in der Stephanuskirche mit Prälat Markus Schoch.

Zweiter Weltkrieg: Bewohner müssen Dorf verlassen

Im Mai 1939 läuteten in Gruorn für lange Zeit das letzte Mal die Glocken der Kirche. Drinnen nahmen die letzten Bewohner Abschied voneinander, bei einem letzten Abendmahl. Danach verließen sie das Dorf. 665 Menschen wurden damals umgesiedelt. Das Militär übernahm auf dem Truppenübungsplatz nahe Münsingen das Dorf.

Schwarz-weiß Aufnahmen des Dorfes Gruorn
Das Dorf Gruorn von oben - kurz vor der Zwangsräumung im Jahr 1939.

Militär nutzte alte Häuser für Übungen

Nach dem Zweiten Weltkrieg dienten die Bauernhäuser in Gruorn den Franzosen als Kulisse für Häuserkampf-Übungen. Später war die Bundeswehr hier mit Panzern und scharfer Munition unterwegs. 1950 erlaubte die damalige französische Militärverwaltung den ehemaligen Bewohnern das erste Mal, an Pfingsten ihr Dorf zu besuchen.

Es war letzten Endes auch, sagen wir mal, ein Schicksal für dieses Dorf. Es hätte tatsächlich auch ein anderes Dorf sein können.

Seitdem ist jedes Jahr an Pfingsten großes Heimattreffen in Gruorn. Günter Braun, Vorsitzender des Komitees zur Erhaltung der Kirche in Gruorn, zeigt auf alte schwarz-weiß Bilder im ehemaligen Schulhaus. Hier sieht man, wie das ehemals stattliche Bauerndorf und die Stephanuskirche damals ausgesehen haben.

Die Sehnsucht nach der alten Heimat ist geblieben

Die Großmutter von Günter Braun ist in dem kleinen Dorf geboren und aufgewachsen. Obwohl sie es schon vor 1939 verlassen hat, sind viele Erinnerungen und auch ein bisschen die Sehnsucht nach der alten Heimat geblieben. "Ein Dorfleben, das ausgelöscht worden ist, das schwingt da irgendwo mit", erzählt Braun. Die alte Heimat Gruorn war den meisten ehemaligen Einwohnern bis zu ihrem Tod sehr wichtig, erzählt er im Interview mit dem SWR.

Günter Braun ist Vorsitzender des Komitees zur Erhaltung der Kirche in Gruorn, er steht vor der wiederaufgebauten Kirche.
Günter Braun, Vorsitzender des Komitees zur Erhaltung der Kirche in Gruorn, steht vor der wiederaufgebauten Kirche.

Lost Place: Was ist vom Dorf übrig geblieben?

Günter Braun läuft über den kleinen Rundweg. In den dichten Büschen und hohen Bäumen pfeifen die Vögel. Auf den ersten Blick ist nicht viel übrig vom einstigen Bauerndorf Gruorn, auf den zweiten Blick aber entdeckt man Spuren des Dorfes.

Lost Place: Von den ehemaligen Häusern in Gruorn (Kreis Reutlingen) sind nach 85 Jahren nur noch Mauerreste übrig.
Von den ehemaligen Häusern in Gruorn sind nach 85 Jahren nur noch Mauerreste übrig.

Zwischen grünem Gestrüpp und unter knorrigen Bäumen liegen einzelne, mit Moos bewachsen Steine. Manchmal führt eine alte Steintreppe ins nirgendwo, Löcher im Waldboden zeigen, wo sich noch alte Gewölbekeller befinden. Sie sind übriggeblieben, als die zu Schutt zerbombten Häuser Ende der 1970er Jahre aus Sicherheitsgründen gesprengt wurden.

Lost Place: Die ehmaligen Bewohner von Gruorn (Kreis Reutlingen) besuchen ab den 50er Jahren ihr Dorf und sehen zerstörte und verfallene Häuser
Als die Bewohner aus Gruorn (Kreis Reutlingen) ihr Dorf 1950 zum ersten Mal besuchen dürfen sind die meisten Häuser zerfallen und zerstört.

Alte Schule und die Kirche stehen noch

Nur noch zwei Gebäude stehen in Gruorn. Das ehemalige Schulhaus war das Verwaltungsgebäude des Militärs. Seit die Bundeswehr 2006 den Truppenübungsplatz aufgegeben hat, gibt es im Erdgeschoss des Steingebäudes eine Wirtschaft. Über eine knarzende Holztreppe geht es hoch zu einem kleinen Museum. Dort wird mit Bildern und Ausstellungsstücken die alte Geschichte von Gruorn gezeigt.

Lost Place: Das alte Schulhaus in Gruorn im Kreis Reutlingen war Sitz der Militärverwaltung - und steht noch.
Das alte Schulhaus in Gruorn war Sitz der Militärverwaltung - und steht noch. Im Erdgeschoss gibt es eine Wirtschaft, im ersten Stock ein kleines Museum zur Dorfgeschichte.

Wieder aufgebaut ist auch die Stephanuskirche, dank eines Vereins und vieler Spenden. Damit sich die Menschen hier auch in Zukunft an Pfingsten treffen und ein Stück Leben in das alte Dorf bringen können.

Die Stephanuskirche in Gruorn ist mit Hilfe eines Vereines und dank vieler Spenden wieder aufgebaut worden.
Die Stephanuskirche in Gruorn ist mithilfe eines Vereines und dank vieler Spenden wieder aufgebaut worden.

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