Es ist ein besonderer Tag für die ehemaligen Bewohnerinnen, Bewohner und deren Nachkommen. An Pfingstsonntag trafen sie sich im verlassenen Albdorf Gruorn (Kreis Reutlingen). Der Ort musste vor 85 Jahren geräumt werden. Der Grund: Der nahegelegene Truppenübungsplatz wurde zu klein. Er wurde erweitert, das Dorf Gruorn quasi von ihm verschluckt.
Jedes Jahr zu Pfingsten: Ein Gottesdienst für das Dorf
Die Stephanuskirche war am Sonntag wieder einmal voll besetzt. Über 100 Menschen sind auf den Bänken zusammengerückt, um einen Gottesdienst zu feiern. Gemeinsam haben sie des verlassenen Dorfes Gruorn gedacht - und der Menschen, die von hier vertrieben wurden. Das machen die Hinterbliebenen jedes Jahr zu Pfingsten, schon seit vielen Jahrzehnten.
Zweiter Weltkrieg: Bewohner müssen Dorf verlassen
Im Mai 1939 läuteten in Gruorn für lange Zeit das letzte Mal die Glocken der Kirche. Drinnen nahmen die letzten Bewohner Abschied voneinander, bei einem letzten Abendmahl. Danach verließen sie das Dorf. 665 Menschen wurden damals umgesiedelt. Das Militär übernahm auf dem Truppenübungsplatz nahe Münsingen das Dorf.
Militär nutzte alte Häuser für Übungen
Nach dem Zweiten Weltkrieg dienten die Bauernhäuser in Gruorn den Franzosen als Kulisse für Häuserkampf-Übungen. Später war die Bundeswehr hier mit Panzern und scharfer Munition unterwegs. 1950 erlaubte die damalige französische Militärverwaltung den ehemaligen Bewohnern das erste Mal, an Pfingsten ihr Dorf zu besuchen.
Seitdem ist jedes Jahr an Pfingsten großes Heimattreffen in Gruorn. Günter Braun, Vorsitzender des Komitees zur Erhaltung der Kirche in Gruorn, zeigt auf alte schwarz-weiß Bilder im ehemaligen Schulhaus. Hier sieht man, wie das ehemals stattliche Bauerndorf und die Stephanuskirche damals ausgesehen haben.
Die Sehnsucht nach der alten Heimat ist geblieben
Die Großmutter von Günter Braun ist in dem kleinen Dorf geboren und aufgewachsen. Obwohl sie es schon vor 1939 verlassen hat, sind viele Erinnerungen und auch ein bisschen die Sehnsucht nach der alten Heimat geblieben. "Ein Dorfleben, das ausgelöscht worden ist, das schwingt da irgendwo mit", erzählt Braun. Die alte Heimat Gruorn war den meisten ehemaligen Einwohnern bis zu ihrem Tod sehr wichtig, erzählt er im Interview mit dem SWR.
Lost Place: Was ist vom Dorf übrig geblieben?
Günter Braun läuft über den kleinen Rundweg. In den dichten Büschen und hohen Bäumen pfeifen die Vögel. Auf den ersten Blick ist nicht viel übrig vom einstigen Bauerndorf Gruorn, auf den zweiten Blick aber entdeckt man Spuren des Dorfes.
Zwischen grünem Gestrüpp und unter knorrigen Bäumen liegen einzelne, mit Moos bewachsen Steine. Manchmal führt eine alte Steintreppe ins nirgendwo, Löcher im Waldboden zeigen, wo sich noch alte Gewölbekeller befinden. Sie sind übriggeblieben, als die zu Schutt zerbombten Häuser Ende der 1970er Jahre aus Sicherheitsgründen gesprengt wurden.
Alte Schule und die Kirche stehen noch
Nur noch zwei Gebäude stehen in Gruorn. Das ehemalige Schulhaus war das Verwaltungsgebäude des Militärs. Seit die Bundeswehr 2006 den Truppenübungsplatz aufgegeben hat, gibt es im Erdgeschoss des Steingebäudes eine Wirtschaft. Über eine knarzende Holztreppe geht es hoch zu einem kleinen Museum. Dort wird mit Bildern und Ausstellungsstücken die alte Geschichte von Gruorn gezeigt.
Wieder aufgebaut ist auch die Stephanuskirche, dank eines Vereins und vieler Spenden. Damit sich die Menschen hier auch in Zukunft an Pfingsten treffen und ein Stück Leben in das alte Dorf bringen können.