Im Südschwarzwald ist eine Rinderhaltung ohne Weidegang eigentlich nicht denkbar. Höfe, die sich zur Erzeugergemeinschaft Bioweiderind zusammengeschlossen haben, leben davon, dass ihre Kühe und Rinder die unter Naturschutz stehenden Wiesen in den Schwarzwaldhöhen abgrasen. Doch seit ein Wolf mehrfach auch erwachsene Rinder gerissen hat, ist die Verunsicherung groß.
Verspäteter Weidegang
Zum Beispiel in Bernau (Landkreis Waldshut). Dabei herrscht auf dem Goldbachhof in diesen Tagen Aufbruchstimmung. Die Rinder wittern den Frühling. Sie muhen und wollen raus. Landwirt Markus Kaiser würde seine Kuh- und Kälberherden jetzt gerne zügig auf die Weide lassen, doch die neue Gefahrenlage lässt ihn zögern. Im vergangenen August hat er sechs Jungrinder durch einen Wolf verloren.
Große Unruhe bei Mensch und Tier
Nur eine Herde pro Woche will der Rinderhalter vorerst auf die Weide treiben. Er wolle beobachten, was passiert, sagt Kaiser. Bei einem Nachbarn, der seine Tiere schon im April rausgelassen habe, seien die Kühe bereits in der zweiten Nacht ausgebrochen, so groß sei die Unruhe gewesen. In jenem Betrieb habe ein Wolf im vergangenen Jahr ein erwachsenes Rind erlegt.
Die Rinder von Markus Kaiser seien nach den Wolfsrissen im letzten Jahr sehr nervös gewesen und hätten ihr Verhalten verändert. Es habe drei Wochen gedauert, sie wieder in den Griff zu bekommen, berichtet der Bernauer Rinderhalter, der auch Mitglied in der Erzeugergemeinschaft Schwarzwald Bio-Weiderind ist. Wegen der Bio-Verordnung habe man die Tiere nicht in den Stall holen dürfen. Man sei deshalb jeden Morgen die Weiden abgefahren und habe geschaut, ob alle Rinder noch da sind. Viele Bauern seien auch nachts auf Patrouille gegangen, vor allem, wenn eine Kuh geschrien habe.
Mutterrind gerissen
Reinhold Götte, der erst Mitte Februar ein trächtiges Hochlandrind von einem Wolf zerfleischt auf der Weide gefunden hat, schläft nur noch bei offenem Fenster. Der Hobbylandwirt aus Blasiwald am Schluchsee (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) macht nachts kaum ein Auge zu. Er ist immer noch geschockt und lässt seine Kühe nicht mehr zu dem Ort, an dem das Hochlandrind gerissen worden war. Götte befürchtet, dass sie sich an den Schrecken erinnern und erneut ein Trauma erleiden. Dennoch sieht er die Sache differenziert. Schließlich könne ein Wolf nichts für seine Natur. Aber es stelle sich die Frage, ob Wölfe überhaupt in die Kulturlandschaft Schwarzwald gehörten.
Der Nebenerwerbslandwirt Markus Grabner, ebenfalls aus Blasiwald, ist klar gegen den Wolf. Er bereitet für seine zwei bis sechs Wochen alten Kälber gerade den Weidegang vor – mit mulmigem Gefühl. "Wir kleinen Tierhalter wissen nicht, wie wir die Saison überleben werden. Ohne Lösungen wird das für viele das Ende als landwirtschaftlicher Betrieb sein." Fest stehe: Ein wolfsabweisender Zaun, wie er für Ziegen und Schafe vorgeschrieben ist, sei für die weitläufigen Bergweiden nicht machbar. Es brauche andere Optionen.
Neues Weidenschutzkonzept für Rinder
Das Umweltministerium Baden-Württemberg will den besorgten Tierhaltern entgegenkommen. Wolfsabweisende Zäune seien nur noch für Ziegen, Schafe und kleine Kälber nötig, um im Fall eines Wolfsrisses entschädigt zu werden, heißt es. Bei erwachsenen Rindern genüge es, die Wehrhaftigkeit der Herde gegenüber dem Wolf zu erhöhen, erklärt Micha Herdtfelder von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg. Dies könne man unter anderem durch eine kompakte Herdenführung erreichen. Der Wolfsexperte räumt allerdings auch ein, dass das Zusammenleben von Wolf und Nutztieren schwierig sei. Sollte ein einzelner Wolf den Rinderschutz wiederholt überwinden, dann ist Abschuss nach Vorgaben des Landes Baden-Württemberg nun möglich. Herdtfelder gibt allerdings zu bedenken, dass damit das Problem nur vorübergehend gelöst wäre. Denn es sei damit zu rechnen, dass immer wieder Wölfe in den Schwarzwald zuwandern.