Der neue Tiefbahnhof in der Stuttgarter Innenstadt im Rohbau (Foto: IMAGO, IMAGO / Arnulf Hettrich)

Probleme bei der Digitalisierung

Stuttgart 21: Tiefbahnhof wird laut Insidern später fertig

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Frieder Kümmerer
Frieder Kümmerer (Foto: privat)

Die S21-Projektpartner betonen, dass der Stuttgarter Tiefbahnhof im Dezember 2025 eröffnet werden soll. Im Hintergrund glaubt das kaum noch jemand. Es gibt Probleme beim Bau und der Technik.

Der offizielle Eröffnungstermin von Stuttgart 21 ist laut neuen SWR-Recherchen wohl nicht haltbar. Eigentlich sollen im Dezember 2025 der Tiefbahnhof und der neue digitale Bahnknoten in Betrieb gehen. So heißt es auch nach wie vor offiziell von allen Beteiligten. Aber im Hintergrund wird immer klarer, dass 2026 oder sogar 2027 realistischer sind. Gründe sind Fehlplanungen der Bahn, Verzögerungen beim Innenausbau der Bahnhofshalle und Probleme mit einem Partner-Unternehmen, das bei der Digitalisierung des Bahnknotens Schwierigkeiten hat.

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Herausforderung: Digitaler Bahnknoten bei S21

Hauptpartner der Bahn beim Bau der digitalen Infrastruktur ist die Firma Thales Group Deutschland. Thales soll die neue digitale Signaltechnik verbauen und dafür sorgen, dass diese auch funktioniert. European Train Control System (ETCS) heißt das System. Es soll einen zuverlässigeren, schnelleren und dichteren Zugverkehr ermöglichen und die Fahrgastkapazitäten erhöhen. Allerdings sorgte das System in der Vergangenheit immer wieder für Zugausfälle. Dazu kommt, dass der Thales-Konzern mitten in einem Umstrukturierungsprozess steckt. Der Geschäftsbereich, der für die Digitalisierung von Stuttgart 21 zuständig ist (Ground Transportation Systems), wurde an den japanischen Konzern Hitachi Rail verkauft. Es gab lange Bedenken von der britischen Marktaufsichtsbehörde bei der Übernahme. Erst vor wenigen Wochen konnte die Übernahme durch Hitachi abgeschlossen werden.

Die Folgen von der stockenden Übernahme laut Insiderkreisen: Personalengpässe, unklare Strukturen sowie Lieferengpässe bei Materialien. Vor einigen Wochen erst hat die Bahn ein neues Stellwerk bei Horb (Kreis Freudenstadt) fertiggestellt. Auch dabei soll es bereits - wie der SWR aus Insiderkreisen erfahren hat - Komplikationen und Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit Thales gegeben haben.

Andeutungen der Projektpartner: Testphase ist wichtig

Auch wenn am vergangenen Freitag auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Sitzung des Stuttgart-21-Lenkungskreises betont wurde, dass am Eröffnungstermin im Dezember 2025 festgehalten wird, waren die Zeichen bereits deutlich. Der Infrastrukturvorstand der Bahn, Berthold Huber, erklärte: "Der digitale Knoten Stuttgart ist der herausforderndste Punkt." Es müssten aktuell alle Reserven ausgeschöpft werden, damit die Testphasen auch wie geplant durchgeführt werden könnten. Davon hänge ab, ob eine pünktliche Inbetriebnahme möglich ist. Vor allem die einzelnen technischen Komponenten würden Schwierigkeiten machen. Die Bahn helfe bei Thales, so gut es geht, aus. Um die Inbetriebnahme im Jahr 2025 sicherzustellen habe man gemeinsame Teams gebildet, um in den Bereichen Entwicklung, Zulassung und Freigabe schnell voranzukommen, so ein Bahnsprecher auf Anfrage.

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Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) betonte ebenfalls, wie kompliziert die neue Infrastruktur mit den digitalen Einrichtungen und den neuen Zügen sei. Auch er habe Informationen, dass es mit dem Eröffnungstermin 2025 eng werden könnte. Dennoch gehe er nach wie vor von dem offiziell genannten Datum aus, solange die Bahn ihm keinen anderen Starttermin kommuniziere. In Bezug darauf sagte er bei SWR Aktuell aber auch: "Von einem Holperstart haben wir alle nichts." Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) spricht bei der Digitalisierung gar von einem "Gordischen Knoten, der unbedingt durchschlagen werden muss."

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Kann der "Gordische Knoten" durchschlagen werden?

Doch ob das rechtzeitig gelingt, wird immer unwahrscheinlicher. Klar wurde auf der Pressekonferenz: Wenn sich die Testphase des digitalen Knotens verzögert, ist eine pünktliche Inbetriebnahme nicht möglich. Umgekehrt wurde dem SWR aus Kreisen der Mitarbeitenden von Thales zugetragen, dass die Bahn oft ihre eigenen Fristen bei Abnahmeprozessen nicht einhalten würde. Das wiederum würde zu den eigentlichen Verzögerungen führen. An eine pünktliche Inbetriebnahme in zwei Jahren würde bei Thales kaum jemand glauben, heißt es. Das Unternehmen selbst erklärte auf Anfrage, man wolle sich zu dem Thema nicht äußern.

Die Bahn scheint ihre Ressourcen im digitalen Knoten zu bündeln. Wie der SWR aus Bahnmitarbeiterkreisen erfahren hat, führt das auch dazu, dass sich andere Baustellen wie der zweigleisige Ausbau auf der Gäubahn zwischen Stuttgart und Singen verzögert haben. Dort sei Personal zur Unterstützung beim digitalen Ausbau in Stuttgart abberufen worden.

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Lieferschwierigkeiten und Verzögerungen beim Innenausbau

Doch nicht nur die Zusammenarbeit mit Thales macht Probleme. Aus Bahn-Insiderkreisen heißt es: "Die Bahn kommt auch beim Innenausbau des neuen Tiefbahnhofs nicht voran." Da der Rohbau der neuen Bahnhofshalle viel länger gedauert hat als ursprünglich geplant, würde der Zeitplan für den Innenausbau "hinten und vorne" nicht mehr stimmen, so der Bahninsider. Dass das Hauptgebäude, der sogenannte Bonatzbau, erst 2027 fertig wird, wurde bereits vergangenen Freitag bekannt gegeben.

Erst vergangenen Dienstag hatte die Bahn die Fertigstellung des Rohbaus verkündet:

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Fehlende Züge und schlecht geplante Baustellen bei Stuttgart 21

Für den digitalen Knoten werden darüber hinaus auch neue Züge benötigt, die das System ETCS installiert haben. 80 neue Züge hatte das Verkehrsministerium für 2025 bestellt. 50 weitere sollten im Folgejahr kommen. Aber stattdessen können vorerst nur 14 ausgeliefert werden. Mit Ersatzfahrzeugen sollte eigentlich die Zeit überbrückt werden. Ein Kraftakt, der nur bei einer pünktlichen Inbetriebnahme notwendig wäre. Nicht verwunderlich also, dass Verkehrsminister Hermann offensichtlich gelassen auf die Lieferschwierigkeiten reagierte. Im Hintergrund hapert es darüber hinaus - so erzählen Lokführer - bei der Umrüstung der bestehenden Fahrzeugflotte auf das neue digitale System.

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Die Bahn hat zudem im vergangenen Jahr mehrmals gezeigt, dass sie große Probleme bei der Planung und beim Management von Bahnbaustellen hat. Schon die spontan einberufenen Vollsperrungen zwischen Bad Cannstatt und Waiblingen im Frühjahr waren Anzeichen dafür, dass der Zeitplan bei Stuttgart 21 gehörig ins Wackeln geraten ist. Eine weitere Baustelle zwischen Vaihingen und Böblingen für den digitalen Knoten, die ursprünglich für November in diesem Jahr angekündigt war, wurde immer weiter verschoben und soll nun erst im neuen Jahr durchgeführt werden.

Wann wird offiziell über den Eröffnungstermin entschieden?

Was bedeutet das konkret? Darüber ist man sich wohl im Hintergrund noch uneinig. Eine Verzögerung würde aber vor allem bedeuten: Der verspätungsanfällige Kopfbahnhof mit veralteter Technik muss noch länger in Betrieb gehalten und gewartet werden. Eine Technik, die, wie die Bahn selbst sagt, inzwischen zu alt ist und immer häufiger kaputt geht.

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2025 womöglich nur einen Teil der unterirdischen Gleise in Betrieb gehen zu lassen, könnte eine Lösung sein. In diesem Fall würde nur ein Teil der Züge durch den Tiefbahnhof fahren - die restlichen Züge hingegen würden vorerst weiterhin den alten Kopfbahnhof ansteuern. Allerdings hat Hermann auf der Pressekonferenz bereits angedeutet, dass er das nicht für sinnvoll hält. Berthold Huber von der Bahn erklärte: "Spätestens 18 Monate vor der Eröffnung muss eine Entscheidung getroffen sein, ob der Termin haltbar ist oder nicht." Das wäre dann rund in einem halben Jahr im Sommer 2024.

Aufsichtsrat der Bahn tagt Ende des Jahres

In Anbetracht der Absprachen mit den anderen Projektpartnern dürfte diese Entscheidung wohl kaum so lange hinausgezögert werden. Am 18. Dezember tagt der Aufsichtsrat der Bahn in Berlin. Mit Sicherheit wird in diesem Gremium nicht nur das Dauerthema Kosten von Stuttgart 21, sondern auch die Terminplanung diskutiert werden. Aber im Hintergrund sind sich schon viele einig, dass das nur noch eine Formsache ist.

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