Immer wieder werden Asylbewerber abgeschoben, obwohl sie einen Job haben und als Fachkräfte gebraucht werden. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Michael Kappeler)

Beispiele aus den Kreisen Ludwigsburg und Esslingen

Warum Asylbewerber trotz Ausbildung abgeschoben werden

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Werner Trefz
Werner Trefz (Foto: SWR, Alexander Kluge)
Maxim Flößer
Maxim Flößer arbeitet im SWR Studio Stuttgart. (Foto: SWR)

Altenpfleger werden händeringend gesucht. Trotzdem droht Sedia Kijera die Abschiebung nach Gambia. Er ist damit kein Einzelfall. Kann der Petitionsausschuss das Blatt noch wenden?

Oft klicken die Handschellen am Arbeitsplatz. Das berichten Arbeitgeber von abgelehnten Asylbewerbern in der Region Stuttgart. Rechtlich scheinen die Fälle klar zu sein, da die Arbeitnehmer aufgrund ihrer Ablehnung ausreisen müssen. Doch immer mehr Arbeitgeber fragen sich, warum gut integrierte und dringend benötigte Arbeitskräfte und Kollegen abgeschoben werden.

Vor den Augen der Betreuten abgeholt

Es passiert mitten in der Frühschicht: Drei Polizisten holen Sedia Kijera am 30. November im Pflegeheim Haus am Mühlbach in Kirchheim am Neckar (Kreis Ludwigsburg) ab. Vor den Augen der Bewohnerinnen und Bewohner des AWO-Pflegeheims, von denen viele zu diesem Zeitpunkt noch beim Frühstück in der Wohngruppe sitzen und bei denen der 28-Jährige sehr beliebt ist. Die Bewohnerinnen und Bewohner und das Pflegeteam sind fassungslos. In den Augen des für die Abschiebung zuständigen Regierungspräsidiums Karlsruhe dagegen ist das Vorgehen rechtlich einwandfrei. Nicht nur sei Kijeras Asylantrag abgelehnt worden - er sei zudem vorbestraft.

Nicht mal ein Abschiednehmen war für alle möglich.

Sedie Kijera aus Gambia droht die Abschiebung, obwohl er voll integriert ist (Foto: SWR)
Sedia Kijera aus Gambia hat eine Ausbildung, einen Beruf und gilt an seinem Arbeitsplatz als sehr beliebt. Jetzt droht ihm die Abschiebung - auch, weil er vorbestraft ist.

Sedia Kijera kommt 2015 nach Deutschland. Zunächst ist er in Aspach (Rems Murr-Kreis) untergebracht. Dort hilft er freiwillig bei gärtnerischen Arbeiten mit und baut Freundschaften zur Bevölkerung auf. Viele bestehen bis heute. Er büffelt Deutsch, schafft den Sprachkurs B1 (Fortgeschrittene Sprachkenntnis) und macht im Haus am Mühlbach in Kirchheim am Neckar eine Ausbildung zum Altenpflegehelfer. Er wird dort als 100-Prozent-Kraft eingestellt. Sein nächstes Ziel: die Ausbildung zum Pflegefachmann. Die AWO unterstützt ihn dabei. Denn der junge Gambier wird als verlässlich, aufmerksam, empathisch und hilfsbereit beschrieben. "Wie kann man einen geschätzten Mitarbeiter, der sich in Deutschland gut integriert hat und dabei ist, einen helfenden Beruf zu erlernen, in dem es bekannterweise ohnehin zu wenige Fachkräfte gibt, nur abschieben", fragt sich Daniela Lehmann, die Leiterin des Pflegeheims Haus am Mühlbach.

Wir sind fassungslos! Wir setzen uns weiter dafür ein, dass unser geschätzter Kollege in Deutschland bleiben darf.

Weigerung verhindert Abschiebung

Weil sich Sedia Kijera gegen die Abschiebung wehrt, weigert sich der Pilot vor dem Abflug, den 28-Jährigen mitzunehmen. Jetzt sitzt Kijera in Abschiebehaft in Pforzheim. Ein Netzwerk von Unterstützenden versucht mit Petitionen an den baden-württembergischen Landtag das Blatt doch noch zu wenden. "Im Ausland sucht man Arbeitskräfte und gibt Geld aus, weil sie hier erst noch die Sprache lernen müssen. Und gleichzeitig gibt man Geld aus, um Menschen in ihr Heimatland abzuschieben, die hier bereits in diesen Bereichen arbeiten", sagt Götz Schwarzkopf, Sprecher der Ortsgruppe Seebrücke Kirchheim am Neckar.

Unterstützer von Sedia Kijera vor dem Pflegeheim Haus am Mühlbach in Kirchheim am Neckar (Foto: SWR)
Ein Netzwerk von Unterstützenden kämpft dafür, dass Sedia Kijera nicht abgeschoben wird.

Regierungspräsidium Karlsruhe verteidigt Abschiebung

Das für Abschiebungen zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe verteidigt das Vorgehen. Die Abschiebung sei rechtlich einwandfrei. Sedia Kijeras Asylantrag sei abgelehnt worden. Außerdem sei er vorbestraft, heißt es in einer Antwort auf SWR-Anfrage. "Mit Urteil vom 05.10.2020 verurteilte das Amtsgericht Backnang Herrn Kijera wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Wäre der Betreffende nicht in diesem Ausmaß straffällig geworden, hätte er eine Bleibeperspektive in Deutschland gehabt."

Über Petitionen versuchen Freunde und Unterstützende das Blatt doch noch zu wenden. Am Donnerstag (14. Dezember) wird der Petitionsausschuss des Landtags unter anderem über diesen Fall beraten. Die endgültige Entscheidung soll der Landtag dann am 21. Dezember treffen.

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Abschiebung von integrierten Flüchtlingen kein Einzelfall

In Unterensingen (Kreis Esslingen) bekommt Sieka Sielca am Nikolaustag Handschellen angelegt. Der 40-jährige Togolese arbeitet seit Mai bei der Gemeinde als Hausmeister, kümmert sich vor allem um die Grundschule und die Veranstaltungshalle Udeon. Bürgermeister Sieghart Friz (CDU) beschreibt ihn als freundlichen, kommunikativen und hilfsbereiten Mitarbeiter. Doch am 6. Dezember darf Sielca nur noch einige Habseligkeiten zusammenpacken, dann bringen ihn Polizisten zum Frankfurter Flughafen. Auch hier begründet das Regierungspräsidium Karlsruhe die Ausweisung damit, dass Sielcas Asylantrag abgelehnt worden sei.

In einer Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Karlsruhe heißt es: "Die Ausübung einer Beschäftigung allein führt nicht zu einem Aufenthaltsrecht. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Beschäftigungsduldung lagen nicht vor."

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Mittlerweile ist Sielca wieder in Togo. Es gehe Sieka Sielca nicht gut, sagt eine Unterensinger Gemeinderätin, die Kontakt zu ihm hat. Weil er nicht freiwillig ausgereist ist, gilt für ihn jetzt ein 30-monatiges Einreise- und Aufenthaltsverbot in Deutschland.

Es trifft wieder mal den Falschen.

Rechtsanwalt spricht von derzeit deutlich mehr Abschiebungen

Derzeit würden mehr Menschen abgeschoben werden, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die damit formal ausreisepflichtig sind als in den vergangenen zwei Jahren, sagt der Stuttgarter Rechtsanwalt Stefan Weidner. Das sei politisch so gewollt. Weidner vertritt unter anderem den gambischen Altenpflegehelfer Sedia Kijera. Dass es vermehrt Geflüchtete trifft, die hier integriert sind und Jobs haben, habe einen einfachen Grund.

Von Menschen mit Jobs weiß man, wo sie wohnen. Damit findet man sie leichter.

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