Ärger um kürzere Kita-Öffnungszeiten

Mannheimer Bürgermeister rechtfertigt Kita-Einschränkungen

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Mannheimer Kindertages-Einrichtungen sollen eine Stunde früher schließen - zum Ärger vieler Eltern. Bürgermeister Dirk Grunert erklärt im SWR-Interview, warum er das für nötig hält.

Weil es in Mannheim zu wenig Erzieher und Erzieherinnen gibt, sollen die städtischen und die kirchlichen Kindertages-Einrichtungen künftig eine Stunde früher schließen. Für viele Eltern ist das eine Hiobsbotschaft: Arbeitszeiten müssen angepasst, Großeltern aktiviert oder auch private Betreuungsgruppen gegründet werden. Der zuständige Bildungsbürgermeister Dirk Grunert (Grüne) hält dagegen: Ohne diese Maßnahme würden 400 Kinder ihren Betreuungsplatz verlieren. Warum das so ist und was die Stadt dagegen tun will, hat er im SWR-Interview gesagt.

SWR Aktuell: Mannheim will die Öffnungszeiten in den Kinder-Tageseinrichtungen verkürzen, jeden Tag um eine Stunde – und das ganze drei Jahre lang. Herr Grunert ist das für eine Stadt wie Mannheim nicht ein Armutszeugnis? 

Dirk Grunert: Ich glaube man muss einfach sehen, in welcher Situation wir uns befinden. Die Kinderbetreuung ist in den letzten Jahren massiv gewachsen. Wir haben so viele Erzieherinnen, Erzieher, so viele Kitas wie noch niemals zuvor. Aber der gesellschaftliche Bedarf ist gewachsen. Wir haben bisher in Baden-Württemberg gemäß Ländermonitor die längsten Öffnungszeiten zusammen mit Heidelberg und Karlsruhe gehabt. Die anderen Kreise in Baden-Württemberg haben alle schon länger teilweise oder sehr lange schon deutlich kürzere Öffnungszeiten. Und angesichts des Fachkräftemangels können wir jetzt nicht längere Öffnungszeiten anbieten, als es die meisten anderen Kreise tun. Von daher müssen wir uns befristet auf einen Zeitraum von vielleicht drei Jahren – aber das prüfen wir jährlich, ob wir das nicht früher zurücknehmen können – die Zeiten um eine Stunde pro Woche reduzieren. Aber damit sind wir teilweise bei den Öffnungszeiten immer noch länger als andere Kreise in Baden-Württemberg.  

SWR Aktuell: Aber hätte man diese Entwicklung in Mannheim nicht auch so ein bisschen vorhersehen können? Also man wusste, dass es neue Flächen gibt, sprich Konversionsflächen wie Franklin und andere. Hätte man das nicht irgendwie hochrechnen können und rechtzeitig reagieren können?  

Grunert: Natürlich konnte man wissen, dass die Zahl der Kinder, die Kinderbetreuung benötigen, steigen. Aber teilweise gibt es auch tatsächlich überraschende Entwicklung, muss ich einfach sagen. Zum Beispiel das Gebiet Franklin. Dort sind natürlich in einem Neubaugebiet viele junge Familien zugezogen. Aber nach Franklin sind tatsächlich mehr als doppelt so viele junge Familien zugezogen, wie es für ein Neubaugebiet üblich ist. Das ist einfach irgendwie ein Boom gewesen, mit dem man tatsächlich zum Beispiel nicht hätte rechnen können. Also von daher gibt es manchmal auch Überraschungen, mit denen man dann als Stadt umgehen muss.  

SWR Aktuell: Jetzt appellieren Sie an das Verständnis der Eltern. Ist es nicht ein bisschen viel erwartet? Also wenn ich jetzt an voll berufstätige Alleinerziehende denke, was sollen sie da bitteschön machen?  

Grunert: Ja, natürlich ist die Situation schwierig, das ist uns vollkommen bewusst. Dennoch appellieren wir natürlich an das Verständnis der Eltern. Und ich denke, dass das viele Menschen, auch wenn es für sie selbst erstmal eine Belastung und eine Herausforderung ist, trotzdem nachvollziehen können, warum wir so agieren müssen und warum wir keine großen anderen Handlungsalternativen haben. Natürlich ist das für die einzelne Familie schwierig. Die muss sich jetzt überlegen, wie sie das tatsächlich zum Herbst gegebenenfalls umsetzt. Man muss es aber gleichzeitig auch sehen, aus welcher Situation wir kommen.

Circa 85 Prozent der Mannheimer Kitas haben bereits seit Monaten zeitliche Einschränkungen, weil das Personal fehlt.

Bisher waren diese Einschränkungen wochenweise und es hat keine Stabilität gegeben. Und jetzt haben wir einfach gesagt, das können wir so nicht länger durchhalten. Das müssen wir jetzt klar definieren, dass es so ist. Von daher geben wir Planungssicherheit. Und da muss man sich jetzt darauf einstellen. Natürlich bringt das große Herausforderung jeweils für die einzelne Familie, und man muss für sich jetzt individuell schauen: Wie kann ich das gegebenenfalls auflösen? Ohne das Greifen der verkürzten Öffnungszeiten würden 400 Plätze zum Herbst wegfallen. Diese 400 Plätze für 400 weitere Familien sind schon ein Anlass, warum wir diese Maßnahmen ergriffen haben, weil die Träger nicht ausreichend Personal haben. Es gibt gesetzliche Vorschriften, wie viele Fachkräfte vorhanden sein müssen, damit auch der Kinderschutz in den Kitas gewährleistet ist. Und wenn diese Fachkräfte nicht da sind, dann müssen die Gruppen geschlossen werden. Durch eine geringe Arbeitsverteilung auf 41,5 Stunden können so mehr Gruppen bei den Trägern tatsächlich offen bleiben.  

SWR Aktuell: Und welche Hilfe bekommen denn die Menschen, die Probleme da haben von der Stadt? Gibt es da irgendwelche Angebote? Vielleicht einen Notbetreuungs-Pool oder Lösungen für besonders hart getroffene Familien oder Erziehende. Gibt es da irgendwelche Vorstellungen?  

Wir werden in den nächsten Wochen schauen, inwieweit alternative Randzeiten-Angebote eventuell etabliert werden können durch Ehrenamtliche, durch Eltern, durch Vereine.

Grunert: Ja, also diese Maßnahme der Öffnungszeiten-Reduktion haben wir in einem Strategie-Workshop erarbeitet, wo auch Beschäftigte, Eltern, Träger, Politik und weitere dabei waren. Dort haben wir auch über Alternativen gesprochen: Was kann es geben? An diesen Alternativen werden wir natürlich auch weiterarbeiten. Es muss aber natürlich eine Alternative sein, die ohne Fachkräfte auskommt, denn das ist ja gerade der deutschlandweite Fachkräftemangel, der uns zu dieser Maßnahme zwingt. Das heißt, wir werden in den nächsten Wochen schauen, inwieweit alternative Randzeiten-Angebote eventuell etabliert werden können durch Ehrenamtliche, durch Eltern, durch Vereine. Daran arbeiten wir parallel, sodass es vielleicht stellenweise andere Optionen gibt. Das wird es sicherlich nicht für alle Eltern am Ende geben können. Aber das brauchen aus unserer Erfahrung auch nicht alle. Es ist oft nicht so, dass alle Eltern genau Vollzeit arbeiten und dann auch noch genau zeitgleich. Vielleicht kann man da auch in den Arbeitszeiten etwas schieben. Je nach Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber muss man einfach mal in einem individuellen Fall schauen.  

SWR Aktuell: Eigentlich müssten Sie an die Arbeitgeber appellieren, Verständnis zu haben, oder?  

Grunert: Ich glaube, wir müssen an alle appellieren. Ich glaube, dass es insgesamt für uns als Gesellschaft eine Herausforderung ist, dieser massive Fachkräftemangel. Viele sind davon betroffen auf der einen oder anderen Weise. Von daher ja muss man sicherlich auf alle setzen, dass ein gewisses Verständnis entgegengebracht wird.  

SWR Aktuell: Drei Jahre, sagen Sie, ist es jetzt angesetzt. Auf drei Jahre ist es befristet. Was wollen Sie denn in diesen drei oder in den ersten zwei Jahren tun, um das Problem langfristig in den Griff zu bekommen? Das ist jetzt nicht erst seit gestern ein Problem in Mannheim. 

Grunert: Es ist in ganz Baden-Württemberg nicht seit gestern erst ein Problem, sondern das ist eine gesellschaftliche Herausforderung, dass der Bedarf nach Kinderbetreuung sehr massiv gewachsen ist. Man muss aber auch sehen, dass wir als öffentliche Hand und die Träger viel getan haben. In den letzten 15 Jahren hat sich die Anzahl der Erzieherinnen und Erzieher in Baden-Württemberg mehr als verzweieinhalb-facht. Das sind Zehntausende Menschen mehr, die in dem Bereich arbeiten. Das funktioniert nur, wenn auch in dem Bereich investiert wird. Das setzen wir natürlich um. Natürlich ändert sich auch die Zahl der Kinder in den nächsten Jahren, das muss man berücksichtigen. Und wir haben in den letzten Jahren auch schon Maßnahmen ergriffen, die sich teilweise erst mit etwas Zeitverzug auszahlen. Zum Beispiel braucht man normalerweise drei bis vier Jahre, bis eine Fachkraft ausgebildet ist.

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