Der Entwurf von Bundesgesundheitsminister Lauterbach (SPD) sieht unter anderem vor, dass der Besitz von 25 Gramm Cannabis für Erwachsene straffrei sein soll. Privatpersonen können zudem bis zu drei Cannabis-Pflanzen selbst anbauen. Patrick Bach ist Suchtforscher am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) und warnt vor potenziellen Gefahren des Cannabis-Konsums besonders für Jugendliche.
SWR Aktuell: Der Gesetzentwurf sieht einige Lockerungen vor, manche sprechen von einer völlig neuen Drogenpolitik. Wie gravierend sind die Neuerungen aus Ihrer Sicht? Ist das eine "Zeitenwende"?
Patrick Bach: Das ist sicherlich eine deutliche Veränderung, die im Umgang mit Cannabis angedacht ist. Wobei zumindest das, was wir aus dem Gesetzesentwurf kennen, auch ein Flickenteppich zu sein scheint. Also: Die ursprünglich geplante kontrollierte Abgabe in Geschäften ist nun kein Thema mehr - aufgrund der Konflikte mit EU-Rechten. Das ist also eine "halbe Zeitenwende". Was vielleicht aus suchtmedizinischer Sicht durchaus gegeben ist: Dass Cannabis in der Gesellschaft deutlich vorherrschender sein wird. Das wissen wir sehr gut aus Studien, die es in Ländern gibt, wo Cannabis schon legalisiert ist. Zum Beispiel in den USA und in Kanada. Vor allem bereitet uns Suchtmedizinern Sorge, dass bei jungen Heranwachsenden bis 25 Jahren eine deutliche Zunahme der Konsumenten zu beobachten ist.
Mannheimer Forscher: "Das ist kein Gelegenheitskonsum mehr"
SWR Aktuell: Cannabis soll von der Liste der verbotenen Substanzen gestrichen werden. Der private Besitz bis zu einer gewissen Menge ist erlaubt, man darf zu Hause auch drei Pflanzen anbauen. Was überwiegt aus Sicht der Suchtforschung: Eher die Vorteile oder die Nachteile?
Bach: Die offene und ehrliche Antwort ist: Es steht zu befürchten, dass es negative Auswirkungen gibt. Man kann es aber erst wissen, wenn alles wirklich umgesetzt ist. Es gibt aber aus meiner Sicht durchaus wissenschaftlich fundierte Bedenken gegen das Vorhaben, wo eben vor allem der Aspekt der Vorbeugung und der wissenschaftlichen Begleitung doch etwas zu kurz kommt und hier eben Risiken entstehen. Zu bedenken ist auch: Drei Pflanzen pro Person, plus zusätzlich eine Abgabe von einer Menge von bis zu 50 Gramm im Monat pro Erwachsenen - und für Jüngere 30 Gramm pro Monat (mit Begrenzung des THC-Gehalts auf zehn Prozent): Das sind ja Mengen, die aus suchtmedizinischer Sicht sehr, sehr hoch sind. Das ist kein Gelegenheitskonsum mehr, wenn man solche Mengen einnimmt. Das ist unserer Erfahrung nach dann ein Konsum, der in einem bedenklichen Bereich ist und der durchaus geeignet ist, eine Abhängigkeit entstehen zu lassen oder zumindest das Risiko dafür zu erhöhen.
Gesetzentwurf des Bundeskabinetts Strobl: Cannabis-Teillegalisierung "falscher Weg der Ampel"
Sinnvoll oder gefährlich? Der Gesetzentwurf zur Legalisierung von Cannabis stößt in BW auf Kritik. Auch was die Finanzierung von Präventionsmaßnahmen angeht, ist vieles ungeklärt.
SWR Aktuell: Ziel dieser Neuerung ist ja vor allem die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels mit all seinen Nebenwirkungen, die wir alle kennen. Und natürlich, so sagt es die Bundesregierung, auch der Kampf gegen die Sucht. Aber das funktioniert aus Ihrer Sicht nicht, wenn ich Sie richtig verstehe. Kann man beide Ziele nicht gleichzeitig erreichen?
Bach: Was die Suchtprävention betrifft, ist eine Legalisierung und der damit einhergehende häufigere Konsum aus meiner Sicht eher ungeeignet. Was die Verdrängung des illegalen Drogen-Markts betrifft: Beobachtung aus zum Beispiel den USA und Kanada, wo eine Legalisierung erfolgt ist, zeigen, dass es dort nicht gelungen ist, den illegalen Markt zu verdrängen. Das wäre also zu hinterfragen. Ähnliche Einschätzungen hat auch der Richterbund abgegeben. Der sieht das auch sehr skeptisch.
Umgang mit Cannabis könnte "sorgloser" werden
SWR Aktuell: Würden sie unterm Strich sagen, dass Cannabis durch die Legalisierung verharmlost wird?
Bach: Schwer zu sagen. Es wird sicherlich so sein, dass der Zugang zu Cannabis deutlich erleichtert wird, dass vielleicht auch der Umgang damit möglicherweise sorgloser wird, denn jetzt ist es eben legal. Gleichzeitig ist es nicht genau absehbar. Da ist auch Gesundheitsminister Lauterbach ganz ähnlicher Meinung wie wir, dass eine Präventionsstrategie schon vor einer Legalisierung enorm wichtig wäre. Denn wenn mehr Personen Kontakt damit bekommen, die vielleicht eine Anfälligkeit für eine Abhängigkeit haben, dann könnten noch mehr Personen abhängig werden. Und das ist, glaube ich, im Moment ein unabsehbares Risiko.
SWR Aktuell: Sie haben eindeutige Erkenntnisse, was die schädlichen Folgen des Cannabis-Konsums betrifft. Heißt das, Sie fürchten, diese Folgen werden künftig auch öfter auftreten?
Bach: Genau damit ist meiner Meinung nach absolut zu rechnen, dass es eben ein höheres Risiko für zum Beispiel Abhängigkeiten gibt. Auch bei Personen, die dafür anfällig sind oder die, ohne es zu wissen, ein Risiko dafür in sich tragen. Das Psychose-Risiko kann da auch höher sein.