Aufnahme des Stolpersteins der Maria Zeitler in Mosbach

Lotsen-Tandems gegen das Vergessen

Mosbach: Maria-Zeitler-Pfad erinnert an Euthanasie-Opfer

Stand
Autor/in
Judith Hüwelmeier
Die multimediale Reporterin im SWR Studio Tübingen Judith Hüwelmeier

Christian Kretz und Thomas März arbeiten in der Johannes-Diakonie. Ehrenamtlich führen sie über den Maria-Zeitler-Pfad. Er erinnert an über 200 Opfer der NS-Euthanasie.

Christian Kretz und Thomas März sind ein eingespieltes Team: Beide arbeiten in der Johannes-Diakonie in Mosbach (Neckar-Odenwald-Kreis). Beide engagieren sich ehrenamtlich. Regelmäßig führen sie Schulklassen oder Gruppen über den Maria-Zeitler-Pfad. Ein 1,2 Kilometer langer barrierefreier Lehr- und Gedenkpfad auf dem Gelände der Johannes-Diakonie, der an acht Stationen an die NS-Euthanasie-Opfer der damaligen Mosbacher "Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache Mosbach/Schwarzacher Hof" erinnert.

NS-Euthanasie: 263 Opfer aus Mosbach

Mehr als 200.000 Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen wurden zwischen 1940 und 1945 Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Programme. Sie galten in der NS-Ideologie als "lebensunwert", wurden vergast oder starben in Pflegeeinrichtungen an Hunger. Viele wurden mit Medikamenten vergiftet. In der Mosbacher "Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwäche", wie die Johannes-Diakonie damals hieß, lebten 263 Menschen, die von den Nazis im Zuge der "Euthanasie-Programme" ermordet wurden.

Eine von ihnen war Maria Zeitler. Als einziges der Opfer wurde sie in Mosbach geboren. 2013 wurde der erste und bislang einzige Stolperstein in Mosbach für sie verlegt. Nach ihr ist auch der Erinnerungspfad benannt.

Maria Zeitler - eines der Mosbacher Opfer

Maria Zeitler, 1911 geboren und von der Familie liebevoll "das Mariele" genannt, erkrankte als Kleinkind an einer schweren Hirnhautentzündung. Sie überlebte die Erkrankung, blieb aber geistig behindert zurück. Auf Druck der Behörden wurde sie mit knapp drei Jahren in der Pflegeanstalt in Mosbach untergebracht. Sie lebte dort 25 Jahre, bis sie - ohne jede Vorwarnung - im September 1940, einen Tag nach ihrem 29. Geburtstag, in eine andere Anstalt verlegt wurde. Wohin, wurde der Familie nicht mitgeteilt.

"Graue Busse" fuhren nach Grafeneck

Einen Monat später bekam die Familie die Nachricht, ihre Tochter sei plötzlich an Typhus gestorben. In Wahrheit waren Todesdatum, Todesort und Todesursache frei erfunden. Maria Zeitler war in der Tötungsanstalt Grafeneck ermordet worden. Sie musste in einen der grauen Busse einsteigen, die Menschen mit Behinderung aus der damaligen Pflegeanstalt nach Grafeneck auf die Schwäbische Alb brachten. Dort wurden sie in einer Gaskammer ermordet. Die Nationalsozialisten erprobten damit die Ermordung von Menschen mit Behinderungen in Gaskammern. Es sei ein "Probedurchlauf" für die spätere Ermordung von rund sechs Millionen Juden gewesen, sagt Thomas März.

Zwei Lotsen klären eine Gruppe Schüler über die Verbrechen der Nazis an behinderten Menschen in der Johannes-Diakonie in Mosbach auf
Seit drei Jahren führen Thomas März und Christian Kretz gemeinsam Gruppen über den Erinnerungspfad

Inklusive Lotsen-Tandems

Christian Kretz und Thomas März sind eines von sieben inklusiven Lotsen-Tandems, die rund drei bis viermal im Monat über den Erinnerungspfad führen. Christian Kretz war schon im Kindergarten der Johannes-Diakonie, hat viele Jahre in Wohngruppen auf dem Gelände gelebt und in den Werkstätten gearbeitet. Thomas März arbeitet seit 22 Jahren als Bautechniker in der Einrichtung. Die beiden haben sich über das Ehrenamt kennengelernt, treffen sich aber auch mal privat. Meist redet Thomas März, aber Christian Kretz recherchiert gerne und hat die Fakten parat.

Die Schulklasse aus Azubis des Berufsbildungswerks Mosbach-Heidelberg, die das Tandem an diesem Tag über den Pfad führt, ist ergriffen und schockiert von dem, was sie hört. Gleich danach wieder in den regulären Unterricht zu gehen - das kann sich nach der Führung erstmal niemand vorstellen.

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Sonntagmorgen SWR1

Die Mordfabrik Grafeneck auf der Schwäbischen Alb

Schloss Grafeneck auf der Schwäbischen Alb. Hier starben zwischen Januar und Dezember 1940 etwa 11 000 Menschen durch Kohlenmonoxidgas. Grafeneck war damit der erste Ort im nationalsozialistischen Deutschland, an dem Menschen systematisch und „industriell" ermordet wurden.
Die Morde von Grafeneck gehören zu den schrecklichsten Verbrechen der Nationalsozialisten. Die Opfer, meist körperlich oder psychisch beeinträchtigt, stammten aus Krankenanstalten und Heimen im heutigen Baden-Württemberg, in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Die Morde waren Teil der von den Nationalsozialisten sogenannten „Aktion T4" oder „Euthanasie-Aktion". Sie verdeutlichen die menschenverachtende Politik und Ideologie des NS-Regimes und seiner Verantwortlichen. Diese mordeten, weil sie Nahrungsmittel sparen wollten, Platz für Militärlazarette benötigten und weil sie sich von der Ermordung der Schwachen und Kranken eine Gesundung des „Volkskörpers" versprachen. Die Opfer bezeichneten sie als „lebensunwerte Ballastexistenzen" und „seelenlose Menschenhülsen".
Im Zentrum dieser Dokumentation stehen drei Opfer und deren Hinterbliebene: Emma Dapp, deren Enkel Hans-Ulrich eine Biografie seiner Großmutter geschrieben hat; Martin Bader, dessen Sohn Helmut das Leben des Vaters recherchiert hat; und Dieter Neumaier, der als Kind ermordet wurde und dessen älterer Bruder ihn nie vergessen hat.

Spuren der NS-Zeit SWR

Wilhelmsdorf

Euthanasie-Morde der Nazis Heinrich Hermann aus Wilhelmsdorf leistete Widerstand

In Wilhelmsdorf wird am Freitag zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus 18 Menschen gedacht, die 1941 von den Nazis ermordet wurden. Heinrich Hermann leistete gegen diese Morde Widerstand.

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