"Wir können nicht mehr!" Das ist – kurz zusammengefasst – der Inhalt des öffentlichen Briefes, den der Enzkreis und die dortigen Kommunen kürzlich an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) geschickt haben. Von Überlastung ist darin die Rede, von Personalnot und von ständig neuen Aufgaben und Verordnungen, die vor Ort nicht einfach umgesetzt werden könnten.
Corona führt noch immer zu Krankheitsausfällen in Kitas
Das Beispiel Neulingen im Enzkreis: Silke Elsässer ist in der 6.700-Einwohner-Gemeinde Neulingen unter anderem für die Kindergärten in den drei Ortsteilen zuständig. In ihrem Bereich herrsche seit der Corona-Pandemie Ausnahmezustand, erzählt sie – und es sei keine Besserung in Sicht.
Die Auswirkungen von Corona seien noch immer spürbar, zahlreiche Krankheitsfälle machten eine vernünftige Planung kaum mehr möglich, erzählt Silke Elsässer. Ständig sei man im Austausch mit den Eltern, um nach bestmöglichen Möglichkeiten zu suchen. Immerhin dürfe man jetzt wieder größere Gruppen in den Kindergärten bilden.
"Es herrscht großer Unmut bei den Bürgern. Ständig müssen wir erklären, warum wir Betreuungszeiten einschränken müsse.“
Stimmung im Rathaus Neulingen droht zu kippen
Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen wüssten häufig nicht mehr, wo ihnen der Kopf stehe. Auch weil immer wieder offensichtlich neue Verordnungen von Land oder Bund auf ihrem Schreibtisch landen, die nicht ausgereift seien, kritisiert die Mitarbeiterin der Gemeindeverwaltung Neulingen.
Zusätzlich heize sich die Stimmung innerhalb und außerhalb des Rathauses immer mehr auf, heißt es in dem offenen Brief an die Landes- und Bundespolitiker. So könne es nicht weitergehen.
"Beschäftigte, die bereits massiv Überstunden angehäuft haben [...] müssen sich von unzufriedenen Kunden fragen lassen, wieso sie nicht in der Lage seien, Anträge zeitnah abzuarbeiten."
Bürger laden Frust an Mitarbeitern der Rathäuser ab
Dass auch das Rathaus allzu oft ratlos ist, das würden die Bürger immer weniger verstehen, sagt Hauptamtsleiterin Silvia Günter-Roth. Und das zerre an den Neven aller ihrer Kolleginnen und Kollegen. Die Bürger hörten in den Nachrichten von neuen Bestimmungen, die das Rathaus aber nicht umsetzen könne, weil der genaue Wortlaut noch nicht bekannt sei. Das würden die Menschen nicht verstehen und ihren Ärger allzuoft bei den Rathausmitarbeitern abladen, so Günther-Roth.
"Die Kolleginnen und Kollegen sind sehr dünnhäutig geworden. Sie müssen sich wappnen gegen solche Anschuldigungen: Ihr müsst das doch wissen, ihr seid doch das Rathaus!"

Ärger in der Bevölkerung im Enzkreis wächst
Anspruch und Wirklichkeit klafften immer häufiger auseinander, klagt Bürgermeister Michael Schmidt, auch Sprecher der Enzkreis-Gemeinden. Beispiel: die Unterbringung von Flüchtlingen. Im Kreis seien bis Mitte November sämtliche Kapazitäten erschöpft, weiß Schmidt. Dann müsste man – wie vereinzelt bereits geschehen - zum Beispiel den Vereinen wieder Sporthallen wegnehmen, die sie nach der Corona-Pandemie gerade erst wieder nutzen durften. Das führe zu weiterem Frust und Ärger.
"Wenn Sie schon den eigenen Leuten keinen Kindergartenplatz anbieten können, dies aber selbstverständlich für Flüchtlinge stattfinden soll – mit solchen Versprechungen ist es nicht getan."

Bürgermeister Schmidt: Plädoyer gegen leere Versprechungen
Bürgermeister Schmidt könnte zahlreiche weitere Beispiel für realitätsfremde Bestimmungen aufzählen. Der gesetzlich vorgeschriebene Schwimmunterricht für Grundschüler etwa. Der finde in der Praxis schlichtweg nicht statt – aus Mangel an Schwimmbädern. Nur hin und wieder zeige die Politik Vernunft, wie etwa zuletzt bei der vorgeschriebenen Maximalgröße von Kita-Gruppen, was man wieder gelockert hat.
"Wir müssen uns wieder auf die Kernaufgaben konzentrieren und nicht lauter Luftschlösser bauen, wo hinten und vorne nichts funktioniert."
Die Enzkreis-Bürgermeister fordern in Krisenzeiten wie diesen noch viel mehr pragmatische Lösungen. Die politisch Verantwortlichen müssten aufhören, Dinge zu versprechen, die man in der Praxis schlicht nicht umsetzen könne. Dies führe nur zu Frust in der Bevölkerung – und, so Rathauschef Schmidt, "das wird unsere Gesellschaft irgendwann mal sprengen."