Eine Schülerin zeigt in der Grundschule Feldstraße im Unterricht auf. Für rund 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler hat in Nordrhein-Westfalen der Unterricht nach den Sommerferien begonnen. (Zu dpalnw: "Start ins neue Schuljahr: Mit Corona und Personalmangel") (Foto: dpa Bildfunk, picture alliancedpa  Oliver Berg)

Wegen Defiziten bei Grundschülern in BW

Grüne und CDU einigen sich auf Paket für Sprachförderung in dreistelliger Millionenhöhe

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Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik (Foto: Henning Otte)

Grün-Schwarz will nach langem Zögern nun doch Bildungsreformen auf den Weg bringen. Neben dem G9 soll vor allem die Sprachförderung in Kita und Grundschule ausgebaut werden - für richtig viel Geld.

Die Regierungskoalition in Baden-Württemberg hat sich nach SWR-Informationen auf ein Paket zur Sprachförderung in Kitas und Grundschulen geeinigt. Grüne und CDU wollen für die Maßnahme in den nächsten beiden Jahren insgesamt bis zu 250 Millionen Euro ausgeben. Darauf verständigte sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) mit den Spitzen der Koalition bei einem Treffen am Freitagabend, wie der SWR aus Teilnehmerkreisen in Stuttgart erfuhr.

Verpflichtende Kita-Sprachförderung und Juniorklasse in Grundschule

Nach dem Konzept von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) sollen Kinder mit Förderbedarf in der Kita eine verpflichtende Sprachförderung von vier Stunden pro Woche in Gruppen mit durchschnittlich acht Kindern erhalten. Dann sollen die Kinder ein halbes Jahr vor der Einschulung nochmal getestet werden. Wer dann noch Förderbedarf hat, kommt in der Schule erst mal in eine Juniorklasse und wird vertieft gefördert. Diese ist der Klasse 1 vorgelagert und soll mit 22 Wochenstunden eingerichtet werden. Mit dem Paket reagiert die grün-schwarze Regierungskoalition auf die massiven Sprachdefizite von Viertklässlern. Schulstudien hatten ergeben, dass gut ein Drittel der Zehnjährigen große Probleme beim Lesen und Schreiben hat.

Eigener Turbo-Zug am Gymnasium?

Auch bei der Reform des Gymnasiums gibt es demnach eine Annäherung. Ab dem Schuljahr 2025/2026 soll das neunjährige Gymnasium wieder Standard werden. Im Zuge dessen soll es auch wieder eine strengere Grundschulempfehlung mit einem zusätzlichen Test geben. Beratungsbedarf gibt es wohl noch bei der Frage, ob es eigene G8-Züge an den Gymnasien geben soll. Hier sollen die Fachpolitiker von Grünen und CDU in der nächsten Woche eine Lösung erarbeiten. Schopper liebäugelte bisher mit dem bayerischen Modell, bei dem Schülerinnen und Schüler ab der 8. Klasse auf die "Überholspur" wechseln und dann die 11. Klasse überspringen. Die CDU plädiert bislang für eigene G8-Klassen, was die Grünen zu teuer finden.

Mit dem Startchancen-Programm, das im Februar beschlossen wurde, sollen zehn Jahre lang bundesweit 4.000 Schulen mit einem besonders hohen Anteil an sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern gefördert werden. 

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Sorge: G9 könnte überrannt werden

Nach über 20 Jahren soll auf Druck einer Elterninitiative das neunjährige Gymnasium in Baden-Württemberg wieder Standard werden. Das G8 soll nur noch die Ausnahme sein. Nun fürchtet die Regierung, dass das neunjährige Gymnasium - das weniger stressig sein soll - überrannt wird. Laut internen Prognosen könnten nach der geplanten G9-Einführung im Schuljahr 2025/2026 etwa 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler aufs Gymnasium streben. Bisher sind es 45 Prozent. Das würde bedeuten, dass die Gymnasien überlaufen und die Realschulen und berufliche Gymnasien austrocknen würden. Hier soll eine verbindlichere Grundschulempfehlung helfen.

Landtag muss Mittwoch über G9-Volksantrag entscheiden

Schon am kommenden Mittwoch wird im Landtag über den Gesetzentwurf einer Elterninitiative diskutiert, die einen Volksantrag gestartet hatte. Dieser sieht eine deutlich schnellere Umsetzung des G9 und Turbozüge zu G8 vor. Es wird damit gerechnet, dass die grün-schwarze Koalition den Antrag mit ihrer Mehrheit ablehnt. Allerdings müssen Grüne und CDU der Initiative dann ein Konzept anbieten, denn sonst könnten die Eltern damit beginnen, Unterschriften für ein Volksbegehren zu sammeln, das zu einer Volksabstimmung führen könnte.

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Beschluss für übernächste Woche geplant

Das Bildungspaket soll dem Vernehmen nach am übernächsten Dienstag in einer gemeinsamen Fraktionssitzung von Grünen und CDU beschlossen werden. Ursprünglich hatten vor allem die Grünen darauf gedrungen, die Sitzung schon diesen Dienstag abzuhalten. Doch die CDU bremste - auch weil sie in ihrer Sitzung den Generalsekretär der Bundes-CDU, Carsten Linnemann, zu Gast hat. Mit der Einigung auf das Sprachförderpaket legt sich die Koalition schon vor der Mai-Steuerschätzung auf eine klare Priorität fest. Angesichts der schwächelnden Konjunktur und sinkender Steuereinnahmen hatte Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) schon gesagt, dass die Spielräume deutlich kleiner werden dürften.

Trotzdem haben sich Grüne und CDU wohl auch im Grundsatz geeinigt, dass noch vor der Landtagswahl 2026 der Polizeifunk erneuert werden soll. Kostenpunkt: Rund 100 Millionen Euro. Das würde für die anderen Ministerien bedeuten, dass es für sie im Haushalt 2025/2026 nur noch wenig zu holen gibt.

230 Haupt- und Werkrealschulen könnten wegfallen

Bei der Sitzung am Freitagabend berieten die Spitzen von Grünen und CDU nach SWR-Informationen auch über weitere Reformen der Schulstruktur. Demnach wurde diskutiert, ob es künftig eine Art Verbundschule in der Sekundarstufe 1 geben könnte, die aus einer Realschule mit Hauptschulzweig bestehen würde. Das würde den Wegfall der etwa 230 Werkreal- und Hauptschulen bedeuten. Dem Vernehmen nach favorisiert die CDU dieses Modell. Die Grünen würden sogar noch weitergehen und alle Schulen der Sekundarstufe 1 zu einer Säule neben dem Gymnasium zusammenfassen - das würde auch die Gemeinschaftsschule umfassen. Die CDU befürchtet bei dieser Lösung aber, dass dann alle Schulen zu Gemeinschaftsschulen werden. Auch hier sollen die Bildungsexperten einen gemeinsamen Vorschlag erarbeiten, der dann womöglich beim Treffen mit SPD und FDP im Kloster Bebenhausen bei Tübingen am 2. Mai diskutiert werden könnte. Bei dem Gespräch soll mit den beiden Oppositionsfraktionen über die Möglichkeit von gemeinsam getragenen, langfristigen Reformen des Schulsystems gesprochen werden.

Sprachförderung kostet langfristig viel Geld

Die geplante Sprachförderung in Kita und Grundschule dürfte das Land auf Dauer viel Geld kosten. Kultus- und Finanzministerium hatten nach SWR-Informationen kurz vor dem Koalitionstreffen am Freitag erstmals gemeinsame Zahlen zu den erwarteten Kosten vorgelegt. Im Endausbau sollen die Kosten demnach bei rund 400 Millionen Euro pro Jahr liegen.

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Kultusministerin Schopper rechnet damit, dass etwa ein Drittel der Viereinhalbjährigen, die bei einer Schuleingangsuntersuchung getestet werden, zusätzlich gefördert werden müssen. Das wären ungefähr 30.000 Kinder pro Jahr. Weil das Lehrpersonal noch angeworben werden muss, rechnen die Experten in Kultus- und Finanzministerium mit einem stufenweisen Aufwuchs der Kosten. Im kommenden Jahr sollen die Investitionen bei gut 110 Millionen Euro liegen. Allerdings soll der Löwenanteil von 60 Millionen Euro in die Fortführung des Programms "Rückenwind" fließen, aus deren Finanzierung sich der Bund nach Ende der Corona-Pandemie zurückzieht. Weitere 40 Millionen Euro sind für die Weiterführung der Sprach-Kitas vorgesehen.

2026 sollen die Investitionen für die Sprachförderung dann schon bei rund 150 Millionen liegen. Ab 2027 gehen die Kosten stark nach oben, weil das Land die Kommunen als Schulträger beim Ausbau der Grundschulen unterstützen muss. Für 2028 wird erwartet, dass dann die Personalkosten für die zusätzlichen angestellten Lehrkräfte voll zu Buche schlagen. Hier rechnet die Landesregierung mit Kosten von 380 Millionen Euro. Danach soll es dem Vernehmen nochmal auf etwa 400 Millionen hochgehen.

GEW fordert Lockerung der Schuldenbremse für Bildung

Die Bildungsgewerkschaft GEW setzt sich für eine Lockerung der Schuldenbremse ein, um die notwendigen bildungspolitischen Reformen wie die Wiedereinführung des G9 und der Sprachförderung in Kitas und Grundschulen umsetzen zu können. Für Gymnasien schlägt sie ein "G-NEU" vor, bei dem es vor allem in der Sekundarstufe I mehr Zeit zum Lernen gibt, teilte ein Sprecher dem SWR am Sonntag mit.

Nicht zufrieden ist die SPD: "Auf den ersten Blick scheint die Regierung den Schuss gehört zu haben: Es ist höchste Zeit, dass in Sachen Sprachförderung endlich etwas passiert", sagte Andreas Stoch, Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag. "Schaut man sich die Zahlen genauer an, wird deutlich: Sie vertröstet unsere Kinder weiter auf die Zukunft."

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