Etwa 20.000 Bürger demonstrieren am 13. August 2010 in Stuttgart (Foto: SWR, Franziska Kraufmann)

Hintergrund: Zehn Jahre nach Baubeginn

2011: Regierungswechsel, Stresstest, Volksabstimmung

Stand

Die Anfänge des Bahnprojekts reichen weit zurück. Eine bessere Bahnverbindung zwischen Stuttgart und Ulm war das erste Ziel des Projekts, das dann als "Stuttgart 21" bekannt wurde. Eine Chronologie:

Demonstrationen, Landtagswahl, Regierungswechsel

Januar 2011: Die während der Schlichtung unterbrochenen Bauarbeiten werden fortgesetzt. Auch die Großdemonstrationen gegen das Bauvorhaben gehen im neuen Jahr weiter.

Protestschild "ScheisS21 Widerstandshauptstadt" (Foto: SWR, Franziska Kraufmann)
... ein anderes Protestplakat in Form eines Ortsschildes wies Stuttgart als "Widerstandshauptstadt" aus und machte aus S21 "ScheisS21" ...

Februar 2011: Unter dem Protest von hunderten Demonstranten wird mit der Verpflanzung von 16 Bäumen am Hauptbahnhof begonnen. Eine befürchtete Eskalation bleibt aus. Die Kosten der rund 200.000 Euro teuren Umpflanzungen übernimmt die Bahn.

März 2011: Bei den Landtagswahlen erleidet die CDU eine historische Wahlniederlage und verliert die Macht an ein grün-rotes Regierungsbündnis. Noch am Wahlabend kommt es zu Zwischenfällen an der Baustelle von Stuttgart 21. Zwei Tage nach dem Regierungswechsel verhängt die Bahn einen Bau- und Vergabestopp bis zur Regierungsbildung im Mai.

April 2011: Der für den umstrittenen Einsatz gegen S21-Gegner am 30. September 2010 verantwortliche Polizeipräsident Siegfried Stumpf gibt sein Amt auf. Das Innenministerium teilt mit, dass der 60-Jährige Ende des Monats aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt wird.

Regierungswechsel: Winfried Kretschmann (Grüne) wird Ministerpräsident (Foto: picture-alliance / dpa, Marijan Murat)
Regierungswechsel: Winfried Kretschmann (Grüne) wird Ministerpräsident

Mai 2011: Winfried Kretschmann (Grüne) tritt sein Amt als Ministerpräsident an. Während die Grünen Stuttgart 21 verhindern wollen, ist die SPD dafür. Beide Parteien einigen sich nach hartem Ringen auf eine Volksabstimmung über das Bahnprojekt.

Ende des Monats trifft sich der Lenkungskreis, in dem Bahn, Land, Stadt und Regionalverband vertreten sind, erstmals seit dem Regierungswechsel. Das Land will eine Verlängerung des Baustopps bis Herbst, die Bahn fordert dafür eine Kostenübernahme von 410 Millionen Euro.

Udo Andriof beendet seinen Job als Sprecher des Bahnprojekt Stuttgart-Ulm.

Hany Azer gibt die Leitung des Bahnprojektes Stuttgart - Ulm auf eigenen Wunsch zum 31. Mai 2011 ab. Nach Mitteilung der Bahn sah sich Azer während seiner Arbeit immer wieder persönlichen Anfeindungen bis hin zu Drohungen ausgesetzt. Zuletzt war es ihm nur unter Personenschutz des Konzerns möglich zu arbeiten. Bahnchef Grube bedauert die Entscheidung sehr: "Er ist ein ungewöhnlich kompetenter Ingenieur, den ich persönlich hoch schätze." Auf Azer folgt Stefan Penn.

Vergeblicher Versuch Baustopp zu erwirken

Juni 2011: Ministerpräsident Kretschmann versucht bei Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) vergeblich einen Baustopp zu erwirken.

Bahnchef Rüdiger Grube bietet unter Bedingungen eine Verlängerung des Baustopps bis Mitte Juli (Ende des Stresstest) an. Das Land soll dazu Kosten von rund 50 Millionen Euro übernehmen. Kretschmann will das Angebot prüfen.

Der Stuttgarter Gemeinderat weist den Antrag auf ein Bürgerbegehren über das Bahnprojekt ab. Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) verweist darauf, dass man sich an die rechtmäßigen Verträge halten müsse.

Mitte des Monats setzt die Bahn die Bauarbeiten für Stuttgart 21 fort. Als Reaktion wirft Ministerpräsident Kretschmann der Bahn einen Bruch der S21-Schlichtung vor. Seiner Überzeugung nach müssten die Bauarbeiten bis zur Bekanntgabe der Testergebnisse ruhen.

Nach der Montagsdemo reißen Projektgegner einen S21-Bauzaun ein (Foto: picture-alliance / dpa)
Nach der Montagsdemo reißen Projektgegner einen S21-Bauzaun ein

Am 20. Juni 2011 beginnt die Bahn mit dem Aufbau eines Rohrleitungssystems für die Entwässerung der S21-Baugrube. Nach der traditionellen Montagsdemonstration stürmen zahlreiche Demonstranten die Baustelle am Grundwassermanagement. Es kommt zu massiven Sachbeschädigungen. Später verlässt ein Großteil der Demonstranten freiwillig das Gelände, die verbleibenden Protestierenden drängt die Polizei gegen Mitternacht vom Gelände.

Stress um den Stresstest: Am 26. Juni 2011 berichten mehrere Nachrichtenagenturen unter Berufung auf Bahnkreise, dass der geplante Tiefbahnhof in Stuttgart den Stresstest angeblich bestanden hat. Die Betriebssimulation am Computer habe ergeben, dass der Tiefbahnhof 30 Prozent mehr Zugverkehr ermögliche. Die grün-rote Landesregierung ist verärgert darüber, dass das mutmaßliche Ergebnis des Stresstests vorab bekannt geworden ist.

Ein Gutachten zu dem Stresstest, das das Schweizer Verkehrsberatungsbüro sma am 21. Juli 2011 offiziell vorlegt, bestätigt die Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofs. Es sieht aber auch gleichzeitig Nachbesserungsbedarf an dem Projekt.

Stresstestergebnis, Diskussion um Kostendeckel

Am 29. Juli 2011 werden die Ergebnisse des Stresstests im Stuttgarter Rathaus der Öffentlichkeit vorgestellt. Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler überrascht mit einer Kombi-Lösung: Er legt den Vorschlag eines kombinierten Tief- und Kopfbahnhofes vor, der 2,5 bis 3 Milliarden Euro kosten soll. Die Bahn lehnt die Kombi-Lösung tags darauf ab. Das Projekt würde dadurch um zehn Jahre zurückgeworfen. Später errechnet die Bahn für die Kombi-Lösung Kosten in Höhe von 5,2 Milliarden Euro.

Geißler vor einem Bild von Stuttgart21 (Foto: picture-alliance / dpa)
Geißler und seine Kombilösung

Mit der Vergabe der Bauaufträge für die Tunnel Filder und Obertürkheim werden am 30. Juli 2011 die ersten Großbauwerke von Stuttgart 21 beauftragt. Das Auftragsvolumen beläuft sich auf rund 700 Millionen Euro.

Mit der SPD stellt sich am 11. August 2011 der eine Teil der grün-roten Regierung in Baden-Württemberg gegen den Vorschlag Geißlers. In einem Kompromiss einigen sich die Koalitionspartner aber auf eine weitere Prüfung eines Kombi-Bahnhofs.

Das grün-rote Kabinett macht mit einem Beschluss am 13. September 2011 deutlich, dass das Land keinen Cent mehr als die vorgesehenen 824 Millionen Euro zahlt, sollte der Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro gesprengt werden.

Bahn-Technikvorstand Volker Kefer kündigt am 14. September 2011 an, mit den Abrissarbeiten am Südflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs erst nach dem geplanten Volksentscheid zu dem Projekt Ende November zu beginnen. Entsprechende Pläne hatte zuvor auch schon Bahnchef Rüdiger Grube angedeutet.

Volksabstimmung

Die S21-Gegner erleiden am 27. November 2011 eine Niederlage bei der Volksabstimmung: 58,8 Prozent der Teilnehmer stimmen gegen einen Ausstieg des Landes aus der Finanzierung des Bahnprojekts - und damit für Stuttgart 21. Die Beteiligung liegt bei 48,3 Prozent.

Am 28. November 2011 kündigt Bahnchef Rüdiger Grube an, das Projekt so schnell wie möglich und innerhalb der veranschlagten Kosten von rund 4,5 Milliarden Euro zu realisieren.

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SWR