Etwa 20.000 Bürger demonstrieren am 13. August 2010 in Stuttgart (Foto: SWR, Franziska Kraufmann)

Hintergrund: Zehn Jahre nach Baubeginn

2020: Besucherrekord auf der Baustelle, Sorge um Mauereidechsen

Stand

Die Anfänge des Bahnprojekts reichen weit zurück. Eine bessere Bahnverbindung zwischen Stuttgart und Ulm war das erste Ziel des Projekts, das dann als "Stuttgart 21" bekannt wurde. Eine Chronologie:

5. Januar 2020: An den "Tagen der offenen Baustelle" besuchen an drei Tagen insgesamt 64.000 Besucher die S21-Baustelle. Das sind deutlich mehr als in den Vorjahren, als im Schnitt 30.000 Menschen die Baustelle besichtigten.

Luftaufnahme eines städtischen Geländes mit zahlreichen Gleisen (Foto: Bahn AG)
So sieht das potenzielle Gelände für den S21-Abstellbahnhof in Untertürkheim aus. Wie die Aspekte Lärm und Artenschutz beachtet werden können, steht noch aus.

15. Januar 2020: Der Bau des geplanten S21-Abstellbahnhofs in Stuttgart-Untertürkheim rückt in den Fokus der Öffentlichkeit. Bei einem Erörterungstermin sprechen Gegner und Befürworter des Abstellbahnhofs mit Experten vor allem über die Themen Lärm und Artenschutz. Zur geplanten Abstellanlage auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs gehören 27 Abstellgleise sowie Hallen zur Reinigung, Wartung und Betankung. Doch eine Genehmigung fehlt der Bahn bisher. Anwohner haben 370 Einwendungen eingereicht. Auf dem Gelände leben schätzungsweise 6.000 streng geschützte Mauereidechsen, die möglicherweise umgesiedelt werden müssen.

1. Februar 2020: Zehn Jahre nach dem offiziellen Baubeginn für das Großprojekt Stuttgart 21 wird die siebte Kelchstütze in der Landeshauptstadt betoniert. 22.000 Armierungseisen müssen dafür millimetergenau pro Bauwerk eingepasst werden. Künftig soll das Bahnhofsdach auf insgesamt 28 solcher Kelchstützen ruhen.

3. Februar 2020: Die 500. Montagsdemonstration gegen Stuttgart 21 findet statt und zieht tausende Gegner auf die Straße. Laut den "Parkschützern" kommen 4.000 Teilnehmer vor den Stuttgarter Hauptbahnhof. Am 26. Oktober 2009 war es noch ein überschaubares Grüppchen, das protestierte, mit den regelmäßigen Montagsdemos 2010 wurden es dann immer mehr. Nach dem "Schwarzen Donnerstag" am 30. September 2010 erreichte die Bewegung ihren Höhepunkt. Selbst wenn der Protest im Vergleich dazu inzwischen stark nachgelassen hat, finden nach wie vor jeden Montag Demonstrationen gegen das Milliardenprojekt der Bahn statt.

11. Februar 2020: Die erste Röhre des über neun Kilometer langen Fildertunnels ist durchgeschlagen. Sie verbindet den neuen Tiefbahnhof des Milliardenprojekts Stuttgart 21 mit dem Stuttgarter Flughafen. Ein weiteres Etappenziel von Stuttgart 21 ist damit erreicht. Die Arbeiten dauerten 15 Monate.

17. Februar 2020: Noch ein wichtiger Tunnel kann fertiggestellt werden - der unter dem Stuttgarter Rosensteinpark. Er stellt die Verbindung zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und der neuen Neckarbrücke in Bad Cannstatt dar. Der Bau des 3,5 Kilometer langen Tunnels hatte sich verzögert, da an besagter Stelle an sechs Bäumen der streng geschützte Juchtenkäfer vermutet wurde. Schließlich erteilte die Europäische Union die Ausnahmegenehmigung zum Fällen der Bäume. Dabei wurde der Juchtenkäfer nicht gefunden.

Ein Juchtenkäfer auf der Hand (Foto: SWR, Jochen Bruche)
Nicht nur Eidechsen machen es der Bahn beim Bauprojekt Stuttgart 21 schwer - auch die kleinen Juchtenkäfer verzögerten die Bauarbeiten kurzzeitig.

22. Februar 2020: Der ehemalig Ministerpräsident von Baden-Württemberg Günther Oettinger hält das Bahnprojekt Stuttgart 21 trotz der ernormen Kostenexplosion nicht für zu teuer. "Das wird mal die zentrale Verkehrsinfrastruktur Baden-Württembergs werden", sagte Oettinger der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. "Der Flughafen wird's nie werden. Die Autobahn wird immer ein Problem sein. Die Schiene wird Weltklasse werden," so Oettinger. Er hatte 2009 als Ministerpräsident des Landes den Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 unterzeichnet. Statt der geplanten 4,5 Milliarden Euro sind es zu diesem Zeitpunkt bereits 8,2 Milliarden Euro.

15. März 2020: Die Corona-Pandemie legt das öffentliche Leben lahm - und vorerst auch die Montagsdemonstrationen des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Doch die Gegner protestieren weiter - und zwar digital. "Oben Bleiben TV" geht im Internet online. Ausgestrahlt werden die Beiträge immer um 18 Uhr, also zur Zeit der sonst üblichen Demo.

25. April 2020: Das Coronavirus gefährdet nicht nur die Proteste gegen das Bauprojekt, sondern auch die Bauarbeiten für Stuttgart 21. Nachdem das Virus unter den Bauarbeitern ausgebrochen war, verhängt die Stadt Quarantäne. Während die Stadt an diesem Samstag im April für das eine Wohnheim Entwarnung geben konnte - 31 Kontaktpersonen des Infizierten waren negativ getestet worden und durften zurück auf die Baustelle - mussten in einem anderen Wohnheim 43 Bauarbeiter in Schutzunterkünfte. 19 von ihnen waren positiv auf die Viruserkrankung getestet worden. Wenige Tage davor waren Stimmen von S21-Gegnern laut geworden, die Bauarbeiten wegen des Virus gänzlich zu stoppen. Arbeiter hatten zudem die Schutzmaßnahmen vor Ort kritisiert.

6. Mai 2020: Die zweite Röhre des Fildertunnels konnte durchgeschlagen werden. Gleichzeitig schreiben S21-Kritiker einen offenen Brief an Bahnverantwortliche, den Verkehrsausschuss des Bundestages und ans Landesverkehrsministerium. Sie werfen der Bahn Manipulation bei der Brandschutzsimulation vor. Konkret sehen sie Mängel beim Fildertunnel. Dabei beziehen sie sich auf Bahnunterlagen, deren Herausgabe sie beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim eingeklagt hatten. 

Mehrere Bauarbeiter in einem Tunnel, in den ein Bagger ein Loch geschlagen hat, (Foto: SWR, Philipp Pfäfflin)
Die zweite Fildertunnelröhre ist durchbrochen. Wegen der Corona-Pandemie gibt es keine Feier - dafür aber Kritik für den Brandschutz, der laut S21-Gegnern unzureichend ist.

3. Juni 2020: 23 Millionen Euro teurer - das ist die Kostenexplosion im Juni. So viel teurer wird der zweigleisige Bau der sogenannten Großen Wendlinger Kurve an der Neubaustrecke nach Ulm als im Jahr 2018 geplant. Als Grund wurden der Bau-Boom und der enge Zeitplan angeführt. "Das Land wird diese Mehrkosten übernehmen", teilte das baden-württembergische Verkehrsministerium damals mit.

18. Juni 2020: Die Flughafenanbindung von Stuttgart 21 ist freigegeben, die Bauarbeiten im Bereich des Landesflughafens können fortgesetzt werden. Umweltschützer hatten jahrelang geklagt und scheiterten schließlich in letzter Instanz vor dem Bundesverwaltungsgerichtshof in Leipzig. Der Umweltverband Nabu und die Schutzgemeinschaft Filder hatten gegen das Teilstück zur Flughafenanbindung sowie die Belastung der Ortsumfahrung Plieningen Klage erhoben. Dabei stützten sie sich auf einen Formfehler des Eisenbahnbundesamtes, welcher nachgebessert wurde.

26. Juni 2020: Der Infoturm zu den S21-Bauarbeiten am Hauptbahnhof wird eingeweiht. Der neue rund drei Millionen Euro teure Turm löst das frühere Infozentrum im Bahnhofsturm ab. Künftig sollen Interessierte hier alles rund um Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm erfahren können.

20. Juli 2020: Und wieder wird eine Röhre gefeiert - diesmal allerdings ihr Baustart statt ihrer Fertigstellung. Der Bau der zweiten Tunnelröhre am Stuttgarter Flughafen hat begonnen und wird symbolisch eingeweiht. Bereits Mitte Juni konnte der Bau der ersten Röhre nach vier Jahren Rechtsstreit mit Umweltschützern begonnen werden. Der Flughafenanschluss soll zusammen mit dem Tiefbahnhof Ende 2025 in Betrieb gehen.

25. August 2020: Der Abriss des Nordflügels am Stuttgarter Hauptbahnhof jährt sich. Zehn Jahre ist es nun her, dass Abrissbagger die ersten Steine aus dem Bonatzbau herausbrachen. Damals versuchten hunderte Polizisten die Baustelle zu sichern. Einigen Aktivisten gelang es dennoch, das Dach zu besetzen und die Abrissarbeiten für einen Tag zu unterbrechen. 

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SWR