Porträt

"Schweigen ist keine Option" – Der regimekritische kubanische Schriftsteller Ángel Santiesteban

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AUTOR/IN
Peter B. Schumann

Von Cubas auf der Insel geschriebener Gegenwartsliteratur erfahren wir wenig, weil sie meist in den eng gezogenen Grenzen des Erlaubten angesiedelt ist. Doch es gibt einen Autor, der nicht ins Exil gehen will und in seinen Erzählungen eine radikal-kritische Haltung einnimmt: Ángel Santiesteban. Er schreibt in einem System ständiger Repression und kann seine Bücher nur im Ausland publizieren.

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Es ist nicht ganz einfach, mit einem kubanischen Schriftsteller Kontakt aufzunehmen, der im halblegalen Raum lebt und dessen Telefonleitung mitunter blockiert wird von den „Genossen, die sich um uns kümmern“ – wie Dissidenten gern ihre Aufpasser nennen. Bei diesem dritten Versuch habe ich immerhin Anschluss bekommen mit Ángel Santiesteban. Auf meine Frage, wie es ihm geht, sagte er mir: „Sie haben mich ‚reguliert‘.“

„Me han regulado"

„Das heißt: ich darf nicht ausreisen. ... Aber ansonsten geht es mir gut. Ich habe drei Monate im Verborgenen gelebt, mich dann der politischen Polizei gestellt, und nun haben sie mir verboten, ins Ausland zu reisen."

Das muss ich erklären. Ángel Santiesteban hat am 11. Juli 2021 an dem sozialen Aufstand teilgenommen, bei dem Zehntausende von Kubanerinnen und Kubanern im ganzen Land gegen die unhaltbaren sozialen und politischen Verhältnisse protestierten. Zahllose Menschen wurden damals zusammengeknüppelt, Hunderte verhaftet.

Der Autor, als Dissident bekannt, wollte der Verhaftungswelle entgehen und entschied sich, eine Zeitlang im Untergrund zu leben. Dann meldete er sich bei der kubanischen Stasi, und die verpasste ihm zehn Monate Hausarrest. Als er im Dezember seinen Pass verlängern lassen wollte, um eine Einladung in Mexico anzunehmen, erhielt er Ausreiseverbot.

„Ich bin ein Feind der Diktatur, denn ich will als Künstler nicht zum Komplizen der Unterdrückung eines Volkes werden, sondern die Stimme des Volkes sein. Denn ich verstehe die Kunst als Widerspiegelung der Gesellschaft. ... Hier in Cuba gibt es viel zu viele Künstler, die lieber wegsehen, anstatt sich einzumischen, weil sie ihre Privilegien nicht verlieren, als Theaterregisseur weiterarbeiten oder als Schriftsteller publizieren wollen."

Er hat selbst die Folgen erlebt, als er, der Hoffnungsträger, aus der Reihe tanzte, zuerst Publikationsverbot erhielt und dann nach einem fadenscheinigen Prozess im Gefängnis landete, weil das Regime diesen rebellischen Geist aus dem Verkehr ziehen wollte. Diese Erfahrungen haben seine Literatur geprägt, auch sein neues Buch mit Erzählungen Stadt aus Sand.

„Die Stadt ist nichts Statisches, sie ändert ihre Form. Auch die Menschen ändern ihr Äußeres. Und die kubanische Lebensweise ist ständig im Fluss, so wie es dem Regime gerade gefällt. Die Menschen müssen sich manchmal in Sand verwandeln, um durch das feinmaschige Sieb der Repression hindurch zu sinken und nicht im Gefängnis zu landen. ... In meinem Buch sind die Figuren wie Sand, die einen Filter durchlaufen, um auf die Seite des Überlebens zu gelangen."

Wie Der Äquilibrist in der gleichnamigen Erzählung. Er stammt aus einer großbürgerlichen Familie, die vor der Revolution geflohen ist. Das versucht er ständig zu verbergen und lädt auch niemanden zu sich ein, damit sein Geheimnis – ein Haufen kostbarer, weil verbotener Bücher – nicht bekannt und er als Konterrevolutionär verhaftet wird. Ein Dasein in einer Atmosphäre der Angst.

„In dieser Angst ... leben wir ständig. Das war ein Symptom in allen sozialistischen Ländern Osteuropas, hier lässt es sich noch immer studieren. ... Ich schreibe darüber, damit es die junge Generation in anderen Teilen der Welt nachempfinden kann und sich die Geschichte nicht wiederholt."

Der Überwachungsstaat ist allgegenwärtig in einigen dieser 13 Erzählungen aus den letzten Jahren. In Auf der Suche nach Benny schlägt er plötzlich aus heiterem Himmel zu: ein allseits beliebter, junger Mann verschwindet. Verzweifelt suchen ihn tagelang seine Freunde. Da taucht er wieder auf, mit „zermanschtem Gesicht“, und schweigt.

„Das passiert uns immer wieder. Wir sind ein Leben lang befreundet, und dann wechselt der Andere die Straßenseite, ohne dich zu grüßen. Später erfährst du, dass er von der Stasi in die Mangel genommen wurde und du daran schuld sein sollst. Denn es gibt viele Leute, die von der Geheimpolizei gezwungen werden, andere zu verraten, und die dann alles tun, weil sie große Angst davor haben, ihre Arbeit zu verlieren."

Eine völlig desillusionierte Gesellschaft, in der jeder Funke von Hoffnung oder gar von Utopie ausgelöscht ist, zeichnet Ángel Santiesteban in seinen stilistisch ausgefeilten, bis ins Surreale zugespitzten Erzählungen. Da gerät in Der bedeutendste Popel der Welt ein Karrierist einer unbedachten Geste zur Nase wegen in die Psychiatrie. Und in Selbstmordwalzer wird ein einfacher Köhler einem aberwitzigen Verhör unterzogen, weil er in der Nähe des Ortes aufgegriffen wird, an dem sich der ‚Comandante‘ erleichtern will. Kubanische Autoren sind bereits wegen harmloserer Bilder und Äußerungen verhaftet worden. Hat Ángel Santiesteban keine Angst vor den Folgen seiner radikalen Kritik?

„Natürlich habe ich Angst. Aber ich habe noch mehr Angst vor meinem Gewissen, Angst davor, dass ich mich vor mir selbst ekle, weil ich schweige. ... Meine Literatur wurde dem Regime erst unbequem, als ich die Notwendig-keit verspürte zu sagen, was ich dachte. Das ist der Antrieb meines Schreibens, ich will mich nicht vor mir selbst ekeln."

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Peter B. Schumann