Buchkritik

Bret Easton Ellis – The Shards

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AUTOR/IN
Christoph Schröder

Eine abgestumpfte Upper-Class-Clique im Kalifornien der frühen 1980er-Jahre. Und ein Serienmörder, der auf bestialische Weise junge Menschen umbringt. In seinem neuen Roman „The Shards“ läuft der amerikanische Starautor Bret Easton Ellis zu Höchstform auf.

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Zu Beginn ist alles strahlend und makellos: Es ist der Sommer des Jahres 1981. Der Ich-Erzähler von „The Shards“ heißt Bret Ellis, und das fehlende „Easton“ im Namen markiert den Unterschied zwischen dem Autor und seiner Figur. Bret ist siebzehn Jahre alt und haust alleine in der riesigen Villa seiner Eltern am berühmten Mulholland Drive in Los Angeles. Die Eltern haben sich für vier Monate nach Europa verabschiedet, um ihre Ehekrise zu überwinden, darum stehen Bret nicht nur sein eigener Mercedes, sondern auch noch der seines Vaters und der Jaguar seiner Mutter zur Verfügung. Dazu der Whirlpool und das mexikanische Dienstmädchen, das regelmäßig den Kühlschrank füllt.

Das ist die Welt, in der Bret Easton Ellis sich auskennt und von deren Atmosphäre sein Roman gerade zu Beginn lebt – ein Klima, in dem Bret, seine Freundin Debbie und seine besten Freunde Thom und Susan in ökonomischer Überfülle und in einer dezent gelangweilten Abgestumpftheit Poolpartys feiern, Kokain zu sich nehmen, Sex haben und sich auf ihr letztes Jahr an der elitären Buckley-Highschool vorbereiten. Dazu läuft der Soundtrack der Achtziger. „The Shards“ lässt sich an wie die Verheißung auf ewige Ferien:

„Sorgloser Sonnenbrand, endlose Softeis-Versorgung in der Cafeteria, während aus Kassettenrekordern und Transistorradios Elton John und Rod Stewart tönten und im Hintergrund die Uferklippen von Santa Monica aufragten.“

 Doch wer Bret Easton Ellis kennt, weiß, dass es dabei nicht bleiben wird. Das liegt am durch und durch unzuverlässigen Ich-Erzähler Bret, der gleich mehrere Geheimnisse hat. Zum einen ist er mindestens bi-, wenn nicht gar homosexuell und unterhält ein heimliches Verhältnis zu seinem dauerbekifften und undurchsichtigen Mitschüler Matt. So lässig und bohèmehaft das Ambiente auch daherkommen mag – für ein schwules Outing waren die frühen Reagan-Jahre nicht der richtige Zeitpunkt. Zum anderen schreibt Bret gerade an seinem ersten Roman, der selbstverständlich den Titel „Unter Null“ trägt. Von Beginn an ist Brets Erzählung jener Monate im Sommer und Herbst 1981 bedrohlich überschattet. Immer wieder ergeht sich der Erzähler in Andeutungen dessen, dass die sorglos zugedröhnte Sommerstimmung bald ein Ende haben wird:

„Wir waren Teenager, nur dem Anschein nach mondäne Kinder, die in Wahrheit nichts darüber wussten, wie die Welt wirklich funktionierte – über die Erfahrung verfügten wir wohl, nur ihre Bedeutung kannten wir nicht. Jedenfalls nicht, bis etwas geschah, was uns in einen Zustand erhabener Erkenntnis setzte.“

Alles wird anders mit jenem Tag nach den Ferien, an dem ein neuer Mitschüler an die Buckley-Highschool kommt: Robert Mallory ist ein rätselhafter junger Mann, der nicht nur Bret mit seiner reinen, eleganten Schönheit, sondern auch den Rest der Clique mit seinem Charisma in Bann schlägt. Die Struktur des Freundeskreises zerbröselt unter Roberts Einfluss. Zeitgleich treibt ein Serienmörder, dem die Polizei den Spitznamen „The Trawler“ gegeben hat, sein Unwesen. Er kommt der Welt der Schönen und Reichen auf bedrohliche Weise näher. In Bret, der glaubt, den neuen Mitschüler bei einer an sich harmlosen und doch entscheidenden Lüge ertappt zu haben, wächst das Misstrauen gegen den sinisteren Robert. Und die Erzählstimme von „The Shards“, die mit einem Abstand von rund 40 Jahren das Geschehen rekapituliert, tut alles, um das weitere Geschehen quasi auf Vorrat in ein unheimliches Licht zu rücken.

„An jenem ersten Schultag wussten wir nichts darüber, wie seine Mutter wirklich gestorben war, oder über die Vergewaltigung seiner Stiefschwester, den Selbstmordversuch oder darüber, dass Robert Mallory die zweite Hälfte des elften Schuljahres in einer psychiatrischen Anstalt in der Nähe von Jacksonville in Texas verbracht hatte.“

Ab einem bestimmten Punkt explodiert „The Shards“. Der Trawler, der Serienmörder, tötet auf bestialische Weise Brets heimliche Liebe Matt. Während das eintönig dekadente High Society-Leben an der Oberfläche weiter zu laufen scheint wie immer, zieht Bret Easton Ellis ein immer enger werdendes Netz von Paranoia, Verdachtsmomenten und Rätselhaftigkeiten um seinen Protagonisten. Kommt Bret der Welt abhanden oder sie ihm? Ist Robert tatsächlich der Trawler, wie Bret vermutet? Oder ist sein Verdacht ein Hirngespinst, genährt von Alkohol, Kokain und starken Beruhigungsmitteln? Bret selbst ist sich seines Zustandes auch nicht sicher:

„Ich versuchte mich mit dem üblichen Mantra zu beruhigen – du hörst Dinge, die gar nicht da sind –, aber diesmal war das Signal zu stark, um es zu ignorieren, denn es pulsierte und sandte fiebrige Wellen der Panik aus.“

Bret Easton Ellis lässt „The Shards“ in einen spektakulär blutigen Showdown münden, der die Identität des Serienmörders jedoch weiterhin im Unklaren lässt. Sogar Bret selbst stellt sich mit seiner Erzählung selbst unter Verdacht. Gerahmt wird die Haupthandlung von einem Anfangs- und einem Schlusskapitel, in dem der Autor aus der Gegenwart heraus seine Erinnerungen kommentiert. „The Shards“ lässt sich auch als die Erzählung von der Geburtsstunde eines Schriftstellers und als späte Fortsetzung des großartigen Romans „Unter Null“ lesen. Der neue Roman hat, zugegeben, die eine oder andere Länge, doch bleibt es insgesamt ein spannendes, an Easton Ellis‘ großem Vorbild Stephen King geschultes Buch, das das Psychopathische als die geradezu logische dunkle Seite der glamourösen Dekadenz vorführt. Und ein Buch, das die Atmosphäre der Achtzigerjahre exakt trifft, inklusive eines Soundtracks von „The Specials“ bis zu „Duran Duran“, den man auf Spotify mitlaufen lassen könnte. Bret Easton Ellis kann es also noch. Und wie.

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Christoph Schröder