SWR2 am Morgen

Korb von Andrea

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Deutsche Schriftsteller und Autoren schreiben über ihre kleinen Niederlagen

Es war um 1980 und ich war Anfang Zwanzig. Meine damalige Stammdisko wurde von jemandem betrieben, den ich aus Schulzeiten kannte. Seine Freundin galt unwidersprochen als die schönste Frau der Stadt. Sie hatte dunkle, ja eigentlich schwarze Haare, lang und gelockt, beinahe schwarze Augen, einen herzförmigen Mund und einen auffallend hellen Teint. Sie war immer perfekt gekleidet, aber das war nicht schwer; wer so aussah wie sie, dem konnte keine Mode etwas antun. Ihren Namen möchte ich hier verschweigen, womöglich ist sie in meiner Heimatstadt noch immer als die bestaussehende Frau Anfang Fünfzig bekannt. Ich nenne sie daher Andrea.

Ich muss nicht betonen, dass Andrea unberührbar war. Erstes wegen ihres Freundes, der als jähzornig galt. Und zweitens wegen ihres Auftretens, das stets eine Inszenierung ihrer Schönheit und damit auch eine Abschreckung jener war, die vielleicht in ihre Nähe kommen wollten.

Aber dann geschah es. Andrea und ihr Freund trennten sich. Ich musste also keine Schläge, sondern nur noch einen Korb befürchten. Woher ich damals den Mut nahm, den Sperrkreis ihrer Aura zu durchbrechen, weiß ich nicht. Jedenfalls saß ich irgendwann neben ihr und redete auf sie ein. Was ich gesagt habe, weiß ich nicht mehr. Ich vermute aber, heute könnte man mich mit einer Tonbandaufnahme meines damaligen Monologes foltern.

Ja, richtig: Monolog! Denn Andrea sagte kein Wort. Meine Sätze fielen in ihre schwarzen Augen wie in zwei Brunnen, die so tief sind, dass man nichts darin aufschlagen hört. Andrea schwieg. Ich kippte meinen Sätzen weitere Sätze hinterher. Andrea schwieg noch dunkler. Ich verzweifelte. Und als sich Andrea mit einer stummen Geste entschuldigte und aufstand, tat ich es Sekunden später auch. Im Laufschritt und mit Seitenstechen erreichte ich mein Auto. Nach Hause fuhr ich wie ein Kaninchen in seinen Bau kriecht. Die Nacht verbrachte ich in Scham gehüllt. Die Diskothek betrat ich monatelang nicht mehr.

Nachspiel: Etwa zwanzig Jahre später, da war ich längst Ehemann und Vater, treffe ich zufällig eine damalige Bekannte von Andrea. Wir kommen ins Reden. Plötzlich kichert die Bekannte und erzählt mir von meiner schlimmsten Viertelstunde, jetzt aber aus Andreas Sicht. Komisch, habe sie damals gesagt, so ein komischer Typ. Kein Wort habe sie verstanden von dem, was er geredet habe. Aber gerade das habe ihr so gefallen. Und wäre es nach ihr gegangen, dann hätte sie noch stundenlang zugehört. Doch plötzlich sei der Typ verschwunden. Doof.

Ja, doof. Zwanzig Jahre lang hatte ich geglaubt, einen Korb bekommen zu haben. Aber es war doch ein Schlag. Ausgeführt von dem, der meine schwachen Stellen am besten kennt. Nämlich von mir selbst.

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