Das Verlangen, sich möglichst positiv in Szene zu setzen, ist keine Entwicklung im 21. Jahrhundert. Davon könnte auch der Komponist Alban Berg berichten, von dem es zahlreiche Porträt-Fotografien gibt, die Daniel Ender, Generalsekretär der Alban Berg Stiftung, in Buchform unter die Lupe genommen hat.
4.000 Bilder im Nachlass
Ein bisschen verräterisch mutet eine Aufnahme vom Sommer 1906 an. Dort sieht man einen großen schlanken Mann, Adolf Alexander Ritter von Eger, links davon seine künftige Frau, Smaragda Berg, und ganz rechts ihren Bruder Alban. Er hält in seinen Händen eine Kamera. Offenbar ein Mann, der die Fotografie liebt, wie auch sein späteres Erbe verrät.
„Im Teilnachlass von Alban Berg in seinen ehemaligen Wohnräumen […] haben sich rund 4.000 Bilder erhalten: […] Darstellungen, mit denen die Wände geschmückt wurden, Fotografien, Fotopostkarten, Ansichtskarten, einige Zeichnungen und Drucke.“
Aus dem der Öffentlichkeit bislang weitgehend verborgen gebliebenen Nachlass sind weitere hunderte Bilder hinzugekommen. Das Spektrum ist groß und reicht vom zweijährigen Alban im üppig bestickten Kinderanzug bis zu einem letzten Porträt aus Wien im Herbst 1935, als Berg schon an den Folgen seines letztlich tödlichen Insektenstichs litt.
Schwierige Datierung
Daniel Ender ist Musikwissenschaftler und Generalsekretär der Alban Berg Stiftung. Er hat dieses Material gesichtet, ausgewertet und die Ergebnisse seiner Arbeit in einem Foto-Bildband veröffentlicht.
Die Kommentare zu den gezeigten Aufnahmen sind bewusst knapp gehalten, oft geradezu sparsam, was auch mit Problemen einer genauen Datierung zusammenhängt. Denn von einigen Fotos gibt es gleich mehrere Abzüge, was die Sache allerdings nicht einfacher macht.
Manchmal liegen zwischen den Datierungen derselben Abzüge mehrere Jahre. Ein Puzzle-Spiel, dem sich Daniel Ender mit größtmöglicher Sorgfalt gewidmet hat.
Ein Komponist im Auto oder Zoo
Ender hat ein Bilderbuch im eigentlichen und besten Sinne des Wortes herausgegeben. Das hängt auch mit seiner überlegten Anordnung des Materials zusammen. Weitgehend folgen wir Bergs Leben in chronologischer Folge. Doch zwischendurch gibt es beispielsweise ein Kapitel über Bergs Freizeitvergnügen von A wie Auto bis Z wie Zoo.
Man sieht den Komponisten stolz am Steuer eines alten Ford-Wagens am Fuße der Berge, neben ihm, mit modischem Hut, seine Frau Helene. Im September 1930 heißt es in einem Brief an Arnold Schönberg:
„[Wir] erfreuen […] uns täglich nachmittag der Ausfahrten in herrlich schöne, bisher so schwer erreichbare Gegenden und empfinden die physische Unabhängigkeit, die einem ein solches Fahrzeug verschafft, sehr wohltuend.“
Freizeit und Wehrdienst
Außerdem sieht man Berg 1911 knöcheltief im Ossiacher See stehend, bereit zum Baden; 1926 entspannt auf einer Wiese sitzend, die Beine lässig übereinandergeschlagen; um 1930 begegnen wir ihm auf der Tribüne des Fußballplatzes „Hohe Warte“. Zudem gibt es ein eigenes Kapitel, das dem Soldatenleben gewidmet ist: Alban Berg in Uniform, immer wieder. 1918 schreibt er:
„Meine Gesundheit hat in den 3½ Jahren meines Militärdienstes derart gelitten, daß ich jetzt Monate, ja vielleicht Jahre brauchen werde, um wieder annähernd so gesund zu werden, wie ich es vor dem Krieg […] war.“
Schüler und Freund Arnold Schönbergs
Was in einem solchen Buch natürlich nicht fehlen darf, ist ein Kapitel über Bergs Werkstatt: sein Arbeitszimmer, seine Bibliothek, sein Schreibtisch, sein Bösendorfer-Flügel in der Trauttmansdorffgasse.
Abgedruckt sind in diesem Buch außerdem einige wenige der bereits weithin bekannten Bilder, etwa eine Aufnahme an der Seite von Anton Webern oder das Porträt, das Arnold Schönberg um 1910 von seinem Schüler und Freund angefertigt hat.
Privat aber ohne Voyeurismus
Nach der im Jahr 2020 erschienen Bild-Dokumentation „Zuhause bei Helene und Alban Berg“ hat Daniel Ender nun einen zweiten Bild-Band veröffentlicht, der uns erlaubt, Berg auf ungewöhnliche Weise näher zu kommen.
Ein Buch, das auch den Privatmenschen erlebbar macht; und zugleich ein Buch, das nie voyeuristisch wirkt. Daniel Enders „Alban Berg im Bild“ ist im Böhlau Verlag erschienen. 280 Seiten kosten (der Ausstattung angemessene) 45 Euro.
Klanginstallation bei den Donaueschinger Musiktagen 2021 Am Grabe | Aus der Ferne: Alban Berg
Die Klanginstallation "Am Grabe | Aus der Ferne" gedenkt seit 2021, seit dem 100. Geburtstag der Donaueschinger Musiktage, mit vier- bis fünfminütigen Field Recordings an den jeweiligen Beisetzungsstätten der Protagonist*innen, deren Werke beim weltweit ältesten Festival neuer Musik (ur)aufgeführt worden sind.