Buchkritik

Fernando Aramburu: Reise mit Clara durch Deutschland

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AUTOR/IN
Julia Schröder

Unterhaltsam erkundet er Herz und Hirn der Deutschen: Der baskische Schriftsteller Fernando Aramburu, gefeierter Autor des Romans „Patria“, lebt schon lange in der Nähe von Hannover. Jetzt erzählt er von einer Reise durch Norddeutschland, von den Nöten des Schreibens und von einem Hund, der Goethe heißt. Dieser kluge Roman beginnt harmlos, hat es aber in sich!

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Das Ehepaar geht auf Deutschlandreise. Sie will an ihrem Reisebuch arbeiten.

Fernando Aramburus Roman „Reise mit Clara durch Deutschland“ ist ein Buch, dem man leicht auf den Leim geht. Es fängt so harmlos an, mit einem Ich-Erzähler, der eines Morgens im Hitzesommer 2003 irgendwo bei Wilhelmshaven das letzte Frühstück zubereitet, bevor er mit seiner Frau auf große Deutschlandreise geht.

Sie, Lehrerin und Schriftstellerin, kann dank Vorschuss ihres Verlegers ein Jahr lang die Schule Schule sein lassen und an ihrem Reisebuch arbeiten. Er wird sie herumchauffieren, begleiten und allerlei Hilfsdienste verrichten. Die zwei geben den Hund – er heißt Goethe – bei der Nachbarin ab, kehren noch einmal um, weil der Herd nicht abgeschaltet sein könnte, verabschieden sich mit Zeilen aus Heines „Harzreise“ übermütig vom verhassten Schulgebäude und landen bei Claras Tante Hildegard in Cuxhaven.

Bei Claras Tante Hildegard in Cuxhaven gibt es erste Komplikationen

Zu deren Eigenheiten zählt eine gewisse Schwerhörigkeit, jedenfalls sobald der spanischstämmige Mann ihrer Nichte den Mund aufmacht, und das tränenreiche Dauerlamento über die Widrigkeiten des Alltags. Eine davon ist ein verstopftes Waschbecken, und hast du nicht gesehen sieht der Ich-Erzähler sich genötigt, dieses zu reparieren. Ohne Werkzeug und eigentlich auch ohne handwerkliche Kenntnis:

„Ich blieb mit dem verstopften Abfluss allein und fühlte mich wie ein Rekrut, der mit dem Entschärfen einer Mine betraut worden ist.“
(Aus: Fernando Aramburu: Reise mit Clara durch Deutschland)

Man glaubt das zu kennen aus Büchern über allerlei erheiternde Irrungen und Wirrungen in Familie und Partnerschaft, aus Romanen, die sich wie Magazinkolumnen über kleine Kräche mit der besten Ehefrau von allen und drollige Versöhnungen lesen: viel Scherz, wenig Satire, sanfte Ironie und keinerlei tiefere Bedeutung.

Das Buch ist ein nuanciertes Sittengemälde - man merkt es nur nicht gleich

Tatsächlich ist „Reise mit Clara durch Deutschland“ stellenweise sehr lustig, zuweilen sogar reiner Blödsinn und grober Unfug. Aber es steckt mehr dahinter. Das Buch ist ein nuanciertes Sittengemälde und sozusagen eine Arbeitsplatzbeschreibung des Romanciers. Man merkt es nur nicht gleich.

Schon Aramburus Romanen vom Anfang des Jahrtausends hielten deutsche Kritiker vor, sie gingen zu flapsig mit dem Terror der baskischen Untergrundorganisation Eta um – was dann widerlegt wurde von „Patria“, dem großen Zeitbild, in dem Fernando Aramburu das Erbe der Eta mit literarischen Mitteln erledigte.

Ein vergleichbares Vexierspiel treibt der Autor in seiner „Reise mit Clara durch Deutschland“. Praktisch keine der Erwartungen, die der Titel weckt, wird eingelöst. Die „Reise“ führt nämlich nur durch Norddeutschland, und sie ist auch weder Grand Tour noch Road Trip, sondern besteht aus längeren Aufenthalten in günstigen Unterkünften in Bremen, Göttingen, auf Rügen und in Berlin mit einer Reihe von Tagesausflügen nach Lübeck und Hamburg, ins Teufelsmoor und in die Lüneburger Heide und dazwischen immer mal zurück nach Wilhelmshaven, um im Garten und beim Hund nach dem Rechten zu sehen.

Der Roman spiegelt im Erzählen die Entstehung des Erzählens selbst

Fernando Aramburu, Jahrgang 1959, lebt seit Mitte der Achtzigerjahre in der Nähe von Hannover und ist mit einer Deutschen verheiratet. Sein Roman, im Original bereits 2010 erschienen, mag in vielen Einzelheiten von Selbsterlebtem inspiriert sein, aber er ist kein autobiografischer Roman.

Vielmehr spiegelt er im Erzählen die Entstehung des Erzählens selbst. Was Clara, die „Frau Schriftstellerin“, wie der Erzähler sie mit liebevollem Spott nennt, zu Papier bringt, erfahren wir Leser nicht, dafür aber, wie sie sich dabei quälen muss – und wie er selbst zu seinen eigenen Notizen steht.

„Ich spüre die Unentschlossenheit in meinen Fingern, während ich diese Erinnerungen aufschreibe, und wenngleich ich auch nicht schreibe, um gelesen zu werden, und daher unbekümmert sage, was ich denke, vernehme ich dennoch eine innere Stimme, die mir rät, mich anfleht, mir befiehlt, diese peinliche Episode aus meinem erinnerungsseligen Zeitvertreib herauszuhalten. Aber nun; da ich keine Leser befürchten muss, werde ich mir nicht gehorchen, und sei es um der Illusion willen, an meiner Erinnerung wieder etwas wettgemacht zu haben.“
(Aus: Fernando Aramburu: Reise mit Clara durch Deutschland)

Es gibt ausschweifende Schilderungen des Arno-Schmidt-Hauses oder eines Striptease-Abends auf der Reeperbahn

Aramburu bedient sich bei den Großen des pikarischen Romans, zitiert die poetologischen Selbstgespräche seines Landsmanns Cervantes wie die Selbstironie und den herumwuselnden Stillstand von Laurence Sternes „Tristram Shandy“.

Er liefert barock ausschweifende Schilderungen, etwa der aufschlussreichen Inneneinrichtung des Arno-Schmidt-Hauses in Bargfeld, eines Abends bei Cola und Striptease in „Susis Show Bar“ auf der Reeperbahn oder des Verzehrs handgefertigter Pralinen bei Gewitter in Worpswede am Grab von Paula Modersohn-Becker.

Ebenso liebevoll und detailliert widmet er sich den Interieurs und ungeschriebenen Regeln der Haushalte nicht nur von Tante Hildegard, sondern auch von Claras verzweifelt alleinerziehender Schwester, einer Studentinnen-WG in Berlin oder eines Paars biodynamischer Weltverbesserer. Ein Leitmotiv dabei ist die Aufforderung, die Straßenschuhe an der Wohnungstür auszuziehen.

Nur für Goethe – den Hund – geht es nicht gut aus

Clara ruft ihren treusorgenden Gatten beim Kosenamen „Maus“ oder auch „Mäuschen“. Das ist bezeichnend, denn tatsächlich erfüllt der Blick des immer noch Fremden, den Fernando Aramburu sich bewahrt hat, den Wunsch seiner Leser, einmal Mäuschen zu spielen: nicht nur in der Schriftstellerwerkstatt, sondern auch in den Herzen und Hirnen der Leute, die dieses Land bevölkern. So wird sein Roman dann doch zur Reise durch Deutschland, und zwar zu einer sehr unterhaltsamen. Nur für Goethe – den Hund – geht es nicht gut aus.



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Julia Schröder