Die Sängerin Brigitte Fassbaender hat während ihrer langen Karriere um die Wahrheit nie einen Bogen geschlagen, sich selbst nie verbogen. Auch das hat es ihr ermöglicht, viele Jahrzehnte auf der Bühne zu stehen. Jetzt schaut sie in Buchform auf ihr Leben zurück, nachdem sie im Juli ihren 80. Geburtstag feierte. Christoph Vratz hat ihre Erinnerungen gelesen.
Brigitte Fassbaender beginnt ihre Memoiren mit ihrer Herkunft und an erster Stelle mit ihrem Vater, dem berühmten Sänger Willi Domgraf-Faßbaender. Ihre Mutter war die Schauspielerin Sabine Peters. Eine Künstlerfamilie also, die der jungen Brigitte den späteren Weg erleichterte – aber auch nicht immer.
Von Beginn an beschönigt Fassbaender nichts. Die Partei-Mitgliedschaft ihres Vaters kann sie sich bis heute nicht erklären – von ihm selbst erhielt sie nur schamvolle Ausflüchte; und ein treuer Gatte war der Vater auch nie. Sie selbst haderte schon mit dem Zur-Welt-Kommen.
Anschaulich und lebensnah erzählt Brigitte Fassbenader ihr Leben. Mit dem Singen ging es anfangs nur mühsam aufwärts.
Doch dann schickt sie ihrem Vater ein Tonband mit der Bemerkung: „Das bin ich“:
Fassbaender schmeißt ein Jahr vor dem Abitur die Schule und studiert in Nürnberg: Ihr Vater bleibt ihr einziger Gesangslehrer. Immer schneller nimmt Fassbaenders Entwicklung Fahrt auf. Als sie im Dezember 1960 an der Staatsoper in München vorsingt, ist sie erst 21. Joseph Keilberth, damals Generalmusikdirektor des Hauses, versichert dem Vater brummend: „Wir passen auf, auf dies Talent.“ Für ein Gehalt von 700 DM wird Fassbaender Ensemblemitglied in München.
Fassbaender erzählt über 350 Seiten mit einer Direktheit, die den Leser in einen Bann schlägt. Sie berichtet von Bühnenerfolgen und von Diätversuchen, von Rückschlagen und Besuchen bei HNO-Ärzten. Sie spricht von Menschen, die sie geprägt haben – teils im Hintergrund, etwa als ihre Korrepetitoren; teils als ihre Bühnenpartner. Schon in ihrer ersten Saison gehört Fassbaender zur Premieren-Besetzung in Peter Tschaikowskys „Eugen Onegin“:
Bewunderung und Kritik – Brigitte Fassbaender legt alles offen auf den Tisch, Privates und Berufliches, dabei immer schonungslos zu sich selbst und voller Respekt für andere. Und natürlich erzählt sie von ihrer Liebe zum Lied:
Vor 25 Jahren, mit Mitte 50, beendet Brigitte Fassbaender ihre Sängerlaufbahn, widmet sich ihrer Arbeit als Lehrerin und Regisseurin. Seither hat sie über 80 Inszenierungen auf die Bühne gebracht, immer mit besonderem Fokus auf eine ausgefeilte Personenregie.
Fassbaenders Memoiren zählen unstrittig zu jenen Musiker-Erinnerungen, die von Substanz, nicht vom Klatsch oder Selbstbeweihräucherung, leben. Ein berührend unmittelbares, ehrliches Buch, vor allem lebendig erzählt für ein breites Publikum: für Nostalgiker von einst und junge Sänger-Kandidaten von heute, die auch zwischen den Zeilen zu lesen verstehen.