Kommentar

Filmfestspiele Venedig: Die besten Filme gehen leer aus

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AUTOR/IN
Rüdiger Suchsland

Mit erwarteten Siegern und ohne große Überraschungen ist das 80. Filmfestival von Venedig 2023 zu Ende gegangen. Der Goldene Löwe ging an den in Großbritannien lebenden Griechen Yorgos Lanthimos für seinen Film „Poor Things“. Doch die interessantesten Filme seien leer ausgegangen, meint der Filmkritiker Rüdiger Suchsland.

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Postmoderne „Frankenstein“-Geschichte erhält den Goldenen Löwen

Der Gewinner-Film „Poor Things“ ist eine eigenwillig erzählte, postmodern zugespitzte „Frankenstein“-Geschichte. Yorgos Lanthimos' Kino ist ein sarkastisch zugespitztes Kino des Schmerzes: verstörend und provokativ. Der Grieche analysiert menschliche Niedertracht und die Unmenschlichkeit von jeder Konsequenz.

Einer Frau, Bella Baxter (gespielt von Emma Stone), wird nach ihrem Tod das Gehirn eines ungeborenen Kindes eingesetzt. Dann wird sie wieder zum Leben erweckt, eine erwachsene Frau mit dem Hirn eines Kindes, die sich durch Schmerz und Freude emanzipiert. Mit Neugier entdeckt sie die Welt und bleibt ähnlich optimistisch wie Voltaires Candide. 

Trailer zu „Poor Things“ von Yorgos Lanthimos:

Den zweiten Preis bekam der Japaner Ryusuke Hamaguchi für „Evil does not exist“. In seinem ruhigen, beiläufigen Stil erzählt Hamaguchi vom Konflikt zwischen Dorfbewohnern und einer Tourismusfirma, die staatlich unterstützt wird. Es geht um das ökologische Gleichgewicht einer zurückgebliebenen Hochebene, um Folgen des Tourismus für die Lebensweise der Bewohner, um Natur und Ökologie.

Die interessantesten Filme gingen leer aus

Ansonsten gingen die interessantesten Filme leer aus – darunter auch der Beitrag des Deutschen Timm Kröger. 

Stattdessen gewannen Filme wie „Green Border“ von der Polin Agniezka Holland: Sympathische und grundgute Syrer wollen nach Europa, böse polnische Soldaten und weißrussische Schergen knüppeln auf sie ein. Die Schwarzweißmalerei der Polin hat Elemente von Propagandakino, sie hat aber auch Wirkung und ist eine somit aufwühlende wie moralisch triftige Anklage der Doppelmoral der EU und ihrer Heimat. 

Trailer zu „Die Theorie von Allem“ von Timm Kröger:

Keine Richtungsentscheidung für das Kino

Die Jury, in der unter anderem der US-Regisseur Damien Chazelle, die Neuseeländerin Jane Campion, die Französin Mia Hansen-Love saßen, traf keine Richtungsentscheidung für das Kino. 

Ihre Kriterien blieben unklar: Falls die geografische Herkunft ein Kriterium für die Auszeichnungen gewesen sein sollte, so waren die Preise immerhin sehr divers: die Zone Japan/Asien fand ebenso Berücksichtigung wie Süd- und Mittelamerika oder Osteuropa.

Tatsächlich ging die Jury mit ihren Entscheidungen aber wohl vor allem auf Nummer sicher: Kein einziger unbekannter Name sondern sämtlich Altmeister des europäischen Autorenkinos standen auf der Preisträgerliste. 

Venedig als Startrampe für die Oscars

Cailee Spaeny hält den Preis Coppa Volpi als beste Schauspielerin in Venedig
Erhielt den „Coppa Volpi“ als beste Darstellerin: Die amerikanische Schauspielerin Cailee Spaeny.

Nur die Amerikaner wurden ausgeblendet – bis auf Cailee Spaeny, die Hauptdarstellerin in Sofia Coppolas „Priscilla“, die die „Coppa Volpi“ als beste Darstellerin für die Figur der Elvis-Presley-Gattin erhielt – ein Preis, der endlich einmal ruhigen Ausdruck und ein eher passives Spiel gegenüber dem aufdringlichen Chargieren belohnte, das bei dergleichen Preisen oft gewinnt. 

Von Hollywood dürfte man dann aber wieder bei der Oscarverleihung hören. Auch die diesjährige Oscar-Saison wurde am Lido von Venedig, das im letzten Jahrzehnt zur Startrampe der Academy-Awards geworden ist, wieder eingeleitet.

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