Polizisten nach der Amokfahrt am Trierer Hauptmarkt (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Harald Tittel)

Behandlung von psychisch kranken Straftätern

Trierer Amokfahrer: So könnte sein Leben in der Psychiatrie aussehen

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Christian Altmayer
Foto von Christian Altmayer, Redakteur bei SWR Aktuell im Studio Trier (Foto: SWR)

Wenn psychisch kranke Menschen wie der Trierer Amokfahrer Straftaten begehen, werden sie häufig in forensischen Kliniken untergebracht - einige für den Rest ihres Lebens.

Nachdem der Trierer Amokfahrer am 1. Dezember 2020 fünf Menschen in der Innenstadt ermordet hat, erzählt er den Polizisten teils wirre Geschichten. Zum Beispiel, dass er als Kind eine radioaktive Substanz gespritzt bekommen habe. Später wird ein psychiatrischer Gutachter bei dem Trierer eine paranoide Schizophrenie feststellen, eine Erkrankung, die zu Wahnvorstellungen und Halluzinationen führt.

Im Revisionsverfahren geht es daher weiter um die Frage, ob der Amokfahrer rechtlich gesehen überhaupt die volle Verantwortung für seine Taten trägt oder ob er im Wahn gehandelt hat. Wenn das Gericht ihn für schuldfähig erklärt, müsste er lebenslang ins Gefängnis. Erklärt das Gericht ihn für vermindert schuldfähig, könnte das Urteil Gefängnis und psychiatrische Klink bedeuten. Kommt das Gericht zu dem Schluss, dass der Angeklagte schuldunfähig ist, würde er in einer forensischen Psychiatrie untergebracht.

In Rheinland-Pfalz gibt es drei solcher Einrichtungen. Die größte ist das Klinikum Nette-Gut bei Andernach. Frank Goldbeck, der ärztliche Direktor, gibt einen Einblick, wie das Leben des Amokfahrers in einer solchen Psychiatrie aussehen könnte.

Die Klinik Nette-Gut bei Andernach ist die größte forensische Psychiatrie des Landes.  (Foto: Landeskrankenhaus Andernach)
Die Klinik Nette-Gut bei Andernach ist die größte forensische Psychiatrie des Landes.

SWR Aktuell: Es könnte passieren, dass das Landgericht Trier den Trierer Amokfahrer für schuldunfähig erklärt und somit freispricht. Was bedeutet es für einen solchen Menschen, wenn er dann in einer forensischen Klinik landet?

Goldbeck: Zunächst einmal ist es nach deutscher Rechtsprechung so, dass jemand, der für seine Tat nichts kann, auch nicht bestraft werden darf. Wir haben aber den Auftrag, die Bevölkerung vor weiteren Taten zu schützen. Leute, die schuldunfähig sind und freigesprochen werden, kommen also nicht wieder in Freiheit. Solange wir der Auffassung sind, dass eine Person noch eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, entlassen wir sie nicht aus der Klinik. Dadurch ist es so, dass unsere Patienten durchaus längere Zeit hier verbringen als im Strafvollzug.

Frank Goldbeck ist der ärztliche Direktor der forensischen Psychiatrie Nette-Gut bei Andernach.  (Foto: Landeskrankenhaus Andernach)
Frank Goldbeck ist der ärztliche Direktor der forensischen Psychiatrie Nette-Gut bei Andernach.

SWR Aktuell: Wie lange verbringen Ihre Patienten durchschnittlich in der Einrichtung?

Goldbeck: Die durchschnittliche Behandlungszeit in unserem psychiatrischen Krankenhaus beträgt zehn Jahre. Rund ein Viertel unserer Patienten ist hier aber länger als 15 Jahre untergebracht, also länger als eine "lebenslange Haft" in Deutschland ohne Anordnung einer anschließenden Sicherungsverwahrung dauert. Wir haben auch einen Patienten bei uns in der Einrichtung, der hier schon seit 40 Jahren lebt. Manche Menschen bleiben hier ihr ganzes Leben lang. Auf der anderen Seite entlassen wir manche Patienten auch früher, wenn wir gute Fortschritte sehen. Und wir müssen auch die Verhältnismäßigkeit beachten: Jemand, der beispielsweise Diebstähle begangen hat, kann bei uns nicht lebenslang untergebracht werden, sondern höchstens fünf Jahre. Das ist gesetzlich geregelt.

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SWR Aktuell: Wie viele Ihrer Patienten werden denn rückfällig?

Goldbeck: Es gibt eine aktuelle Untersuchung, dass rund ein Drittel der Patienten, die aus forensischen Kliniken entlassen werden, wieder mit Straftaten auffallen. Nur 13 Prozent begehen laut dieser Studie aber schwerwiegende Delikte. Somit ist die Rückfallquote signifikant niedriger als bei den Entlassenen aus dem Strafvollzug.

SWR Aktuell: Wie sieht der Alltag für die Patienten in der Klinik aus?

Goldbeck: Rund 90 Prozent der Patienten können sich auf unserem Gelände frei bewegen. Sie können hier auch Sport treiben und ihre Freizeit gestalten. Und auch die übrigen 10 Prozent sind in der Regel nicht 24 Stunden am Tag eingesperrt. Wir versuchen, unsere Patienten schrittweise in die Gemeinschaft zu integrieren - oft in Begleitung von Personal, das dann eingreifen kann. Die meisten Patienten sind im Übrigen auch nicht rund um die Uhr gefährlich, sondern nur in bestimmten Phasen, etwa wenn sie Krisen durchmachen. Zum Alltag gehört natürlich auch die Therapie. Das kann durchaus auch so etwas wie eine Ergotherapie oder eine Arbeitstherapie sein, aber eben auch Einzel- und Gruppengespräche mit Psychiatern und Psychologen stehen auf der Tagesordnung.

SWR Aktuell: Wie hoch sind die Sicherheitsvorkehrungen in Ihrer Klinik?

Goldbeck: Wir sind die Einrichtung mit den höchsten Sicherheitsvorkehrungen in ganz Rheinland-Pfalz. Das fängt schon damit an, dass die gesamte Klinik umzäunt ist. Das müssen Sie sich so vorstellen wie am Flughafen. Da wird jeder, der rein oder raus will, durchleuchtet. Unser Personal ist außerdem geschult, auch in schwierigen Situationen mit den Patienten deeskalierend tätig zu werden.

Ein hoher Zaun umschließt die landesweit größte forensische Klinik Nette-Gut in Weißenthurm (Rheinland-Pfalz), aufgenommen am 03.11.2017. Nach einer Gesetzesänderung sollen auch in Rheinland-Pfalz psychisch kranke Straftäter nicht mehr unverhältnismäßig lange in geschlossenen Kliniken festgehalten werden.  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Thomas Frey/dpa | Thomas Frey)
Ein hoher Zaun umschließt die Klinik Nette-Gut bei Andernach.

SWR Aktuell: Wie gefährlich sind die Menschen, die bei Ihnen untergebracht sind?

Goldbeck: Erstmal gilt es festzuhalten, dass 99 Prozent aller Straftaten von psychisch gesunden Menschen verübt werden. Trotzdem ist es so, dass ein Teil der psychisch Kranken für sich und andere eine erhebliche Gefahr darstellt. Insbesondere dann, wenn man auch nicht nur eine Diagnose hat, sondern mehrere. Häufig nehmen wir zum Beispiel Patienten auf, bei denen eine Schizophrenie, aber auch ein Substanzmittelmissbrauch festgestellt wird. Gerade diese Kombination von Psychosen, Persönlichkeitsstörungen und Suchtmitteln gibt es oft.

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