Die Zellen in den rheinland-pfälzischen Gefängnissen sind ohnehin voll. Nun sollen aber viele neue Gefangene hinzukommen.  (Foto: SWR)

Ersatzfreiheitsstrafen werden vollstreckt

Warum es in rheinland-pfälzischen Gefängnissen bald voll wird

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Christian Altmayer

Die Zellen in den rheinland-pfälzischen Gefängnissen sind gut gefüllt. Bald bekommen die Justizvollzugsanstalten aber viele neue Gefangene. Das hat mit Corona zu tun.

Eine Straftat zu begehen, kann teuer sein. Denn wer bei einer Prügelei, beim Diebstahl oder beim Schwarzfahren erwischt wird, muss mit einer Geldstrafe rechnen. Und die beträgt nicht selten mehrere Tausend Euro.

Wenn der Täter das Geld allerdings nicht zahlen kann oder will, kann er die Strafe auch im Gefängnis absitzen. Der Gesetzgeber spricht hier von sogenannten Ersatzfreiheitstrafen.

Ersatzfreiheitsstrafen wegen Corona aufgeschoben

Rund 2.200 Verurteilte sitzen jährlich in Rheinland-Pfalz in Haft, weil sie ihre Geldstrafe nicht gezahlt haben. Zumindest war das bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie, beziehungsweise bis zum 13. März 2020, noch so.

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Denn an diesem Tag hat das rheinland-pfälzische Justizministerium die Staatsanwaltschaften gebeten, die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen erstmal aufzuschieben. Ziel war es, zu verhindern, dass das Virus sich hinter Gittern verbreitet.

Hohe Hygienevorschriften in Gefängnissen

Die Gefängnisse hatten ohnehin Mühe, Covid-19 aus dem Arrest fernzuhalten. Denn der Platz in den Zellentrakten ist begrenzt und Kontaktbeschränkungen kaum aufrechtzuerhalten.

Es wurden daher unter anderem Quarantänestationen geschaffen, Einlasskontrollen und strenge Regeln eingeführt - für die Insassen, aber auch für das Personal. Was sicher dazu beigetragen hat, Ausbrüche zu verhindern.

Ersatzfreiheitsstrafen sollen nun vollstreckt werden

Nun klettern die Infektionszahlen wieder in die Höhe. Dennoch hat das rheinland-pfälzische Justizministerium beschlossen, die Ersatzfreiheitsstrafen sukzessive zu vollstrecken.

Das heißt: Die Gefängnisse werden es in den kommenden Wochen womöglich mit Hunderten neuen Gefangenen zu tun bekommen. Pandemie hin oder her.

Wie viele genau kommen werden, kann niemand sagen. Denn viele Verurteilte zahlen die Strafe noch im letzten Moment, bevor die Handschellen klicken. Dennoch betrachtet der Strafvollzug die Entwicklung mit Sorge.

Gefängnisse erwarten Welle von neuen Gefangenen

"Da rollt eine Welle von Gefangenen auf uns zu", sagt Jörn Patzak, Leiter der Justizvollzugsanstalt in Wittlich. Im größten Gefängnis des Landes sind die meisten Zellen ohnehin belegt. Und nun stehen noch 5.000 bis 6.000 Verfahren aus.

Die JVA Wittlich ist die größte in Rheinland-Pfalz. Sie soll aber noch weiter wachsen.  (Foto: SWR)
Die JVA Wittlich ist die größte in Rheinland-Pfalz. Sie soll aber noch weiter wachsen.

"Wir stehen in engem Kontakt mit der Staatsanwaltschaft, um eine Überbelegung der JVA Wittlich mit zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafen möglichst zu vermeiden", sagt Patzak. Ob das gelinge, sei allerdings unklar.

JVA Rohrbach rechnet mit Überbelegung

Auch Annabel Franzen, die Anstaltsleiterin der JVA Rohrbach im rheinhessischen Wöllstein, rechnet nach eigenen Angaben mit einer Überbelegung. Denn in den vergangenen zwei Corona-Jahren habe sich in der Pfalz ein Rückstau von 400 bis 500 zu verbüßenden Strafen gebildet.

Vorausschauend habe das Justizministerium bereits Ausweichhaftplätze im weniger ausgelasteten Jugendvollzug in Aussicht gestellt. Das Wittlicher Gefängnis hat bereits 64 Haftplätze und drei Flügel von der Jugendhaftanstalt übernommen. Dennoch könnte es eng werden.

Justizministerium sieht große Herausforderungen

Das ist auch in Mainz und bei den Staatsanwaltschaften im Land bekannt. "Die Wiederaufnahme der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen stellt die Justizvollzugsanstalten vor große Herausforderungen, da dort unverändert Zugangs- und Quarantänebereiche vorgehalten werden müssen und deshalb die Aufnahmekapazität insgesamt weiter reduziert ist", heißt es aus dem Justizministerium.

Einblicke in die neue Abteilung in der Justizvollzugsanstalt Wittlich.  (Foto: SWR)
Eine leere Zelle, wie hier in der JVA Wittlich, ist in rheinland-pfälzischen Gefängnissen eher selten zu finden.

Zu berücksichtigen sei allerdings auch, dass es aus Sicht der Staatsanwaltschaften "ein dringendes Bedürfnis für die Rückkehr zu einem geregelten Vollstreckungsbetrieb gebe".

Debatte um Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen

Andererseits werden seit Jahren immer öfter Stimmen laut, die eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe fordern. Zuletzt hatte die Fraktion der Linken 2018 erfolglos einen solchen Antrag in den Bundestag eingebracht.

Begründet wurde der Vorschlag seinerzeit aber nicht nur mit einer Überlastung des Justizbetriebs. Die Ersatzfreiheitsstrafe diskriminiere einkommensschwache Menschen, argumentierte die Linke. Und zudem führe sie zu hohen Kosten für den Staat. Recherchen des WDR zufolge gibt die öffentliche Hand im Jahr rund 200 Millionen Euro für die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen aus.

Haftvermeidung statt Abschaffung der Strafe

Dennoch sieht man die Forderung nach einer vollständigen Aufgabe der Strafen im rheinland-pfälzischen Justizministerium kritisch. Denn bei einer Abschaffung verliere auch die Geldstrafe an Abschreckungspotential.

Einer Reformierung des Systems verschließt sich die Regierung in Mainz allerdings nicht. So wolle man darauf hinwirken, die Ersatzfreiheitsstrafen zu verkürzen.

Zudem erscheint es dem Ministerium sinnvoll, Haftvermeidungsangebote zu machen, sei es durch gemeinnützige Arbeit oder die Chance, die Geldstrafe noch kurz vor dem Haftantritt zu begleichen.

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Christian Altmayer