Das Wasser spritzt im Becken, die Beine strampeln hoch und runter, aber noch lässt niemand den sicheren Beckenrand los: Acht Mädchen und Jungen sind an diesem Nachmittag Ende April im Rheinhessen-Bad in Nieder-Olm, um richtig schwimmen zu lernen. Hoch motiviert versuchen sie in ihren knallbunten Badehosen und Schwimmanzügen die Bewegungsabläufe nachzuahmen, um am Ende das begehrte Seepferdchen-Abzeichen zu erhalten.
Manche Eltern in RLP melden Kind bei Geburt zum Schwimmkurs an
Dass die acht Kinder es überhaupt ins Becken geschafft haben, ist inzwischen nicht mehr selbstverständlich: Die Wartezeiten für Schwimmkurse betragen zum Teil zwei Jahre. "Das ist irre", sagt Malte Rieth von der DLRG Rheinhessen. Er beobachtet den Schwimmkurs vom Beckenrand aus. "Wir kennen das aus den Kindertagesstätten: Das Kind anmelden, wenn es auf die Welt kommt. Zum Teil wird das sogar so gemacht."
Situation sorgt für Frust bei der DLRG
Es sei frustrierend und traurig, wenn er E-Mails von Eltern erhalte, die verzweifelt für ihr sieben Jahre altes Kind einen Schwimmkurs suchen, erzählt Rieth. Eigentlich sollten Kinder in diesem Alter längst Schwimmen können. "Ich muss denen dann leider antworten: Es tut mir leid, wir haben zwei Jahre Wartezeit. Das macht manchmal keinen Spaß."
Jedes dritte Kind in Rheinland-Pfalz kann nicht schwimmen
Die nackten Zahlen sind alarmierend: Jedes dritte Kind in Rheinland-Pfalz gilt als Nichtschwimmer und immerhin noch jedes fünfte Kind ist kein sicherer Schwimmer, heißt es von der DLRG. Auch Malte Rieth findet die aktuelle Situation "sehr bedrohlich". Doch was fehlt, um den Schwimmunterricht in Rheinland-Pfalz wieder mehr Kindern zu ermöglichen?
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In Rheinland-Pfalz werden immer mehr Schwimmbäder geschlossen
Die DLRG wird in diesem Punkt sehr deutlich und fordert mehr Schwimmunterricht an Schulen, mehr Wasserflächen und mehr Ehrenamtliche, die sich beispielsweise bei Schwimmkursen engagieren. Das Schwierige daran: Zum Teil bedingen sich die Probleme gegenseitig. 16 Hallen- und Freibäder sind in Rheinland-Pfalz laut dem Fachportal Bäderleben seit 2020 geschlossen worden.
Schwimmen im Schulsport: Für viele Schulen nicht möglich
Ein Schwimmbad ist für eine Gemeinde in der Regel eine enorme finanzielle Belastung im Haushalt. Wird das Geld knapp, wird häufig zuerst bei den freiwilligen Leistungen der berühmte Rotstift angesetzt. Dazu gehören auch die Bäder. Die Folge: Schulen haben oft keine Möglichkeit mehr, Schwimmunterricht in den Schulsport zu integrieren. Für manche Klassen sei der Weg zum nächsten Becken so weit, dass nach Angaben der Bildungsgewerkschaft GEW nur noch 20 Minuten im Wasser bleiben - bei einer Doppelstunde Sport.
Landesregierung hat keine Kenntnis über Zustand der Schwimmbäder
Doch wie kann das sein? Denn auch die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) antwortet auf eine kleine Anfrage im Landtag zu den Schwimmbädern im Land: "Kinder sollen möglichst früh einen freudvollen und vertrauten Umgang mit dem Wasser einüben und das Schwimmen angstfrei erlernen." Vielleicht, weil sie im gleichen Dokument an anderer Stelle zugibt: "Der Landesregierung stehen keine fortlaufenden Informationen über den aktuellen Betriebszustand [...] der Schwimmbäder zur Verfügung."
Auch Angaben zum Bau neuer Schwimmbäder kann das Ministerium für Bildung auf SWR-Anfrage nicht machen. Dies falle in die Zuständigkeit der Kommunen sowie des Innenministeriums, hieß es. Immerhin: Lehrer, die Schwimmen als Unterrichtsfach unterrichten dürfen, gebe es in Rheinland-Pfalz genug.
DLRG fordert Ausbau der Bäderinfrastruktur
Die DLRG verweist in diesem Zusammenhang auf das von der Kultusministerkonferenz ausgegebene Ziel, dass jedes Kind am Ende der Grundschule sicher schwimmen kann. Der Verband fordert einen Ausbau der Bäderinfrastruktur: "Jede Grundschule sollte in erreichbarer Nähe, also maximal 15 bis 20 Minuten Entfernung, die Möglichkeit haben, adäquat den Schwimmunterricht zu erteilen", so ein Sprecher der DLRG.
Politik soll mit Zuschüssen unterstützen und Bürokratie abbauen
Auch Malte Rieth fordert "Zuschüsse und Bürokratieabbau" von der Politik, während hinter ihm die Kinder lernen, sich über Wasser zu halten. "Es kann nicht sein, dass ein Schwimmbad für die Allgemeinheit und mit einem wahnsinnigen ideellen Wert nicht gebaut wird, weil der Kommune fünf Euro im Haushalt fehlen", so Rieth. "Wir brauchen die Schwimmbäder. Wir müssen ganz schnell handeln", blickt er düster in die Zukunft. Denn wenn es immer mehr Nichtschwimmer gibt, gibt es auch niemanden mehr, der anderen das Schwimmen beibringen kann.
Rheinwelle versucht es online: Schwimmkurs bei YouTube
Das Schwimmbad Rheinwelle in Gau-Algesheim versucht es genau aufgrund dieser Probleme mit einem zusätzlichen Angebot: YouTube-Tutorials. Heißt: Eltern können sich Videos anschauen, in denen Fachkräfte zeigen, wie man seinen Kindern das Schwimmen beibringen kann. "Wir haben uns das zu Corona-Zeiten schon überlegt", erklärt Dirk Osterhoff, Geschäftsführer der Rheinwelle.
Bäderchef sieht beim Schwimmen lernen auch Eltern in der Pflicht
Früher sei es normal gewesen, dass die Eltern oder Großeltern den Kindern das Schwimmen beigebracht haben. "Mittlerweile guckt man immer, dass andere dafür zuständig sind", so Osterhoff. Aber aufgrund des Fachkräftemangels werden auch in der Rheinwelle nicht mehr so viele Schwimmkurse angeboten. Die YouTube-Videos seien ein Lösungsansatz, um dem entgegenzuwirken.
"Wir geben euch die Unterstützung mit den Tutorials, dann kommt doch am Wochenende zu uns schwimmen und bringt es euren Kindern bei", fordert Osterhoff die Eltern auf, wieder aktiver zu werden. "Am Ende ist es wirklich kein Hexenwerk", so der Bäder-Chef zum Schwimmen lernen. Bei der DLRG findet die Idee der Rheinwelle durchaus Zuspruch. Wenn Eltern keinen Platz im Schwimmkurs finden, dann sei es immer noch besser, im Selbstversuch die Anregung eines solchen Videos zu nutzen, "als die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten bis wieder ein Jahr vorbei ist."
DLRG sieht Schwimmkurs bei YouTube auch kritisch
Die DLRG gibt jedoch auch zu bedenken, dass Eltern zwar die Bewegungen erkennen, jedoch der fachlich Hintergrund, das "Warum", häufig nicht erschlossen wird. "Ein weiterer Aspekt ist, dass Kinder Ihre Eltern nicht immer als 'Lehrperson' ansehen, um eine angesagte Übung auch korrekt auszuführen und zu wiederholen", so ein DLRG-Sprecher. Daher sei ein klassischer Schwimmkurs durch YouTube nicht zu ersetzen.
Es lernen wieder mehr Menschen schwimmen, aber ...
Trotz der alarmierenden Gesamtsituation gibt es jedoch auch eine kleine, gute Nachricht: "Wir gehen aber davon aus, dass die Situation in den Schulen inzwischen besser ist. Es lernen wieder mehr Menschen schwimmen", so Marco Vogt von der DLRG. Immerhin das Vor-Pandemie-Niveau sei wieder erreicht. Allerdings hat der DLRG-Sprecher auch hier noch einen Nachsatz: "Es lernen wieder mehr Menschen schwimmen, aber bei Weitem nicht genug."