Boris Palmer und die Grünen - das ist Geschichte. Nach Debatten um seine jüngsten umstrittenen Äußerungen in Frankfurt am Main hatte der Tübinger Oberbürgermeister zuerst eine Auszeit angekündigt. Am Abend folgte dann überraschend auch der Parteiaustritt.
In der persönlichen Erklärung von Boris Palmer vom Nachmittag heißt es, es sei ihm klar, dass es so nicht weiter gehen könne. Er könne seiner Familie, seinen Freunden und Unterstützern, der Tübinger Stadtverwaltung, dem Gemeinderat und der Stadtgesellschaft die wiederkehrenden Stürme der Empörung nicht mehr zumuten. Seine ernsthaften Vorsätze, darauf zu achten, dass sich derartiges nicht mehr wiederholen darf, seien nicht erfolgreich gewesen, so Palmer. In dieser Erklärung bezog er sich ausschließlich auf die geplante Auszeit.
Wie diese konkret aussehen soll, dazu wollte sich Palmer auf Nachfrage des SWR nicht äußern. Dazu sehe er sich derzeit nicht in der Lage.
Palmer erklärt Austritt bei den Grünen
Am Montagabend teilte der Grünen-Landesverband dann mit, dass Palmer seinen Austritt aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen erklärt habe. Eine Sprecherin bestätigte, dass sein Austrittsschreiben eingegangen sei. Zur Begründung für den Schritt gibt Palmer darin an, er wolle vermeiden, dass die aktuellen Diskussionen um ihn eine weitere lang anhaltende Belastung für die Partei werden, für die er seit 1996 mit viel Herzblut gekämpft habe. Er sei sehr dankbar für alles, was er durch die Partei in dieser langen Zeit an Unterstützung und Verantwortung erhalten habe. Der Austritt gilt laut der Parteisprecherin ab sofort.
Auf einem Landesparteitag Anfang Mai 2021 hatten die Grünen beschlossen, ein Ausschlussverfahren gegen den wegen seiner Provokationen umstrittenen Tübinger Rathauschef einzuleiten. Doch dann kam es zu einem Kompromiss: Palmer erklärte, er lasse seine Mitgliedschaft bei den Grünen bis Ende 2023 ruhen, womit der Parteiausschluss vom Tisch war. Er gewann dann im Oktober 2022 erneut die Oberbürgermeisterwahl in Tübingen und trat eine dritte Amtszeit an.
Tübinger Bundestagsabgeordneter begrüßt Austritt
Der Tübinger Bundestagsabgeordnete Chris Kühn (Grüne) bezeichnete den Parteiaustritt von Palmer als konsequenten Schritt. Palmer habe sich besonders seit 2015 inhaltlich und programmatisch weit von der Partei entfernt, sagte Kühn der Deutschen Presse-Agentur. "Insoweit war das ein konsequenter Schritt nach einer Entfremdung, die sich über viele Jahre abgezeichnet hat", kommentierte er den Parteiaustritt Palmers.
Kühn, der einige Jahre im Tübinger Kreisvorstand der Grünen saß und Landeschef der Grünen war, galt als parteiinterner Gegner Palmers. Zu den Vorgängen in Frankfurt hatte Kühn am Samstag getwittert, dass er sich als Tübinger wieder einmal für den Oberbürgermeister seiner Heimatstadt schäme. Nach Palmers Parteiaustritt sagte er am Montagabend, dass er Palmer nun seit 21 Jahren kenne und großen Respekt vor dessen Schritt habe. Kühn, derzeit Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium, sprach von einer Zäsur für die Tübinger Grünen. "Ich glaube er hat erkannt, dass er wirklich einen großen Fehler begangen hat", sagte Kühn. "Dass die Partei nun Klarheit hat, ist auch gut."
So berichteten die Tagesthemen zu Palmers Parteiaustritt:
Palmer will professionelle Hilfe in Anspruch nehmen
Palmer kündigte an, professionelle Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen, um zu versuchen, seinen Anteil an zunehmend zerstörerischen Verstrickungen aufzuarbeiten. Er wolle sich bei den Menschen, die er enttäuscht habe, entschuldigen, vor allem bei den Wählerinnen und Wählern, die ihm ihr Vertrauen für eine ganz andere Aufgabe geschenkt haben. Dieser gerecht zu werden, stehe über allem anderen, schrieb Palmer in der Erklärung, die dem SWR vorliegt.
Palmer schreibt weiter, dass ihm die jüngsten Ereignisse in Frankfurt gezeigt hätten, dass nicht das Internet das Problem sei, sondern die Situation.
Es habe tiefsitzende Erinnerungen in ihm wachgerufen, aus einer großen Gruppe heraus als Nazi bezeichnet zu werden: An den Besuch des von Neo-Nazis geschändeten Friedhofs mit den Gräbern seiner Vorfahren. An den Vater, der mit dem Judenstern auf der Brust gegen Unrecht demonstrierte. An die Gruppe Jugendlicher, die ihm als Junge Schläge androhten und riefen, man habe nur vergessen, seinen Vater zu vergasen.
Palmer: "Erwähnung des Judensterns war falsch"
Der 50-jährige Politiker schreibt, er habe sich wehren müssen, als ihm vorgeworfen wurde, er sei ein Nazi. Aber als Politiker und Oberbürgermeister hätte er niemals so reden dürfen. "Die Erwähnung des Judensterns war falsch und völlig unangemessen", so Palmer. Niemals würde er den Holocaust relativieren. Dass dieser Eindruck entstehen konnte, obwohl auch in seiner Familie die Zeit des Nationalsozialismus ihre Spuren hinterlassen habe, tue ihm unsagbar leid.
Der Tübinger Oberbürgermeister war am Freitag zu einer Migrationskonferenz an der Goethe-Universtität Frankfurt geladen. Er sollte einen Vortrag zu seinem Ansatz in der Migrationspolitik halten, aber schon vor dem Gebäude kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung mit Protestierenden.
Migrationskonferenz an Universität Frankfurt Tübingens OB Palmer löst auf Konferenz Debatte über N-Wort aus
Im Rahmen einer Migrationskonferenz an der Uni Frankfurt hat Tübingens OB Palmer das N-Wort verwendet und einen Eklat ausgelöst. Die Konferenz war im Vorfeld bereits umstritten.
Dabei nahm Palmer dazu Stellung, wie er das N-Wort verwendet. Als er mit "Nazis raus"-Rufen konfrontiert wurde, sagte Palmer zu der Menge: "Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach." Das Video mit den Aussagen wurde in sozialen Medien verbreitet.
Nach diesen Äußerungen Palmers distanzierten sich viele Politikerinnen und Politiker von Palmer. Es gab massive Kritik. Auch sein langjähriger Weggefährte und Anwalt Rezzo Schlauch (Grüne) erklärte am Sonntag, ihn künftig nicht mehr juristisch zu vertreten. Auch kündigte er ihm die Freundschaft auf.