In Oberwolfach (Ortenaukreis), mitten im Schwarzwald, steht die Siedlungsgemeinschaft. Sie tritt als ein Best-Practice-Beispiel beim Bundeswettbewerb für Eigenheim-Siedlungen des Verbands Wohneigentum an und repräsentiert Baden-Württemberg. Rund 50 historische Häuser gehören dazu. Im Laufe der Jahrzehnte wurden sie renoviert. Am Donnerstag hat die Wettbewerbsjury Gebäude, Gärten und das generationenübergreifende Zusammenleben genau unter die Lupe genommen.
Der Fernsehbeitrag aus der Sendung SWR Aktuell BW über die Siedlergemeinschaft:
"Ich würde nirgends anders wohnen wollen"
Dieter Jehle ist Vorstandsvorsitzender der Siedlungsgemeinschaft. Er ist dort geboren, aufgewachsen und lebt mit seiner Familie in zweiter Generation im Haus seines Vaters. So ist das bei den meisten Bewohnern im Quartier. Er könne sich nicht vorstellen, woanders zu wohnen.
Siedler sind gespannt auf die Reaktion der Jury
Wochenlang haben er und seine Nachbarn auf den Tag hingefiebert. Schließlich wollen sie die aus ganz Deutschland angereiste Wettbewerbsjury von ihrem Quartier überzeugen. "Wenn ich ehrlich bin, bin ich ziemlich aufgeregt", sagt Jehle vor dem Besuch. Nur zwei Stunden haben die Siedler, wie sie sich selbst nennen, Zeit, alle Projekte vorzustellen.
Sie haben einen Rundgang vorbereitet: Von der Ruine Wolfach - einer der ältesten Burgruinen des Schwarzwalds - über einen kurzen Wanderweg in die Siedlung. An mehreren Stationen erklären Dieter Jehle, Stefan Decker, Bauplaner der Siedlungsgemeinschaft, und Wolfgang Welle, Landschaftsgärtner der Siedlung, was sie als Verein in den letzten Jahrzehnten auf die Beine gestellt haben.
Wanderweg und Grillplatz von Jung und Alt gebaut
In Zusammenarbeit mit der Schwarzwald Touristik GmbH hat die Gemeinschaft etwa aus einem Fußweg direkt am Hang der Siedlung einen neun Kilometer langen Rundwanderweg gebaut. Mit dem Schwarzwaldverein Wolfach haben sie auch die Beschilderung nach den Richtlinien des Hauptverbandes erstellt. Der Weg führt entlang vieler weiterer Projekte der Siedler, zum Beispiel vorbei an einem selbstgebauten Ziegenstall, einer 2019 angepflanzten Streuobstwiese mit Nistkasten für Bienen, einem Holzhaus gefüllt mit Getränken und einem Grillplatz von 1982 mit Brunnen und Trinkwasser, der als Stammtisch für die Siedler gilt. Jung und Alt haben sich laut Siedler an den Projekten beteiligt.
Solche Projekte werden meist finanziert von Spenden. Die Gemeinde oder Sponsoren fördern manche Vorhaben. Bürgermeister und Siedlergemeinschaft seien im Austausch, so Dieter Jehle. Wie die Häuser renoviert und saniert werden, entscheiden die Siedler selbst. Dafür organisiert die Siedlergemeinschaft aber zum Beispiel Info-Abende mit Experten. Aktuell läuft etwa eine Umfrage über Pläne eines eigenen Nahwärmenetzes. Die fielen und stünden mit der Beteiligung der Eigentümer, sagt Jehle.
Jury bewertet verschiedene Kriterien
Für den Wettbewerb betrachtet die fünfköpfige Jury verschiedene Aspekte der Siedlung. Dem Vorsitzenden Bernd Heuer zufolge gehe es darum zu sehen, inwieweit eine Siedlung die Verantwortung für künftige Generationen bei der Gestaltung von Haus, Garten und Wohnumfeld mitdenkt. Dazu gehöre beispielsweise die Anpassung an sich verändernde klimatische Bedingungen wie Starkregen, Trockenheit und Hitze. Wie die Energieeffizienz der Gebäude gesteigert werden kann, spielt dabei unter anderem eine wichtige Rolle.
Auch ein solidarisches, generationenübergreifendes und nachbarschaftliches Zusammenleben zählt. Jedes Jurymitglied hat dafür seinen eigenen Fachbereich. Anja Monschau - zuständig für den Bereich Soziales Leben - habe in Wolfach-Oberwolfach eine ganz aktive Gemeinschaft erlebt, sagt sie. Sie findet insbesondere die Projekte toll, bei denen die Jugend genauso eingebunden wurde, wie ältere Menschen.
Ältestes Siedler-Ehepaar lebt seit 1940 da
Dieter Jehle rechne sich durchaus einen der vorderen Plätze im Wettbewerb aus. "Hier haben wir einiges zu bieten", sagt er. Als Ehrenamtlicher in der Freiwilligen Feuerwehr, Gemeinschaftsleiter und Mitglied in etlichen Vereinen engagiert er sich in der Gemeinde. Seinem 85-jährigen Nachbarn Hansjörg Hockenjos hilft er regelmäßig - etwa beim Rasen mähen, Schnee schippen und Getränkekisten tragen.
"Wir haben ein herzliches Verhältnis zu den Nachbarn", sagt Hockenjos. Als Dankeschön organisieren sein Nachbar und dessen Frau immer wieder Feste. Seine Frau, Ingrid Hockenjos, ist 1940 in dem Haus geboren, in dem beide bis heute leben. Sie freuen sich über die Gemeinschaft in der Siedlung.
Siedlung existiert seit 1936
Ab 1936 wurde die Siedlung unter der Herrschaft der Nationalsozialisten gebaut. Doch der Gedanke von Gemeinschaftssiedlungen ist älter und stammt aus der Weimarer Republik - unter anderem mit dem Ziel, die Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg zu bekämpfen.
Viele regionale Vereine, die damals Kleinsiedlungen förderten, hatten sich zusammengeschlossen und 1935 den "Deutschen Siedlerbund e.V." gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich der Verein reorganisiert und später zum Verband Wohneigentum e.V umbenannt. Mit der Entwicklung zum Bau von individuellen Eigentumswohnungen hat sich der Verein zur Aufgabe gemacht, diesen Trend zu unterstützen. Auch die Siedlergemeinschaft Wolfach-Oberwolfach gehört zu dem Verein.
Vieles aus dem Quartier könnte als Beispiel dienen
Seit der Gründung ist dort viel passiert. Häuser wurden umgebaut und renoviert. Etwa ein Viertel der Häuser haben Solaranlagen auf dem Dach, rund ein Drittel sind - etwa mit Wärmepumpen - energieeffizient saniert.
Die Wettbewerbsjury möchte in Oberwolfach Praxisbeispiele sehen, die auch für neue Siedlungen übertragbar wären. "Alle wollen klimagerecht und kostengünstig bauen. Alle wollen Mehrgenerationenhäuser", meint Juryvorstand Bernd Heuer. In der Siedlungsgemeinschaft Oberwolfach gibt es bisher bereits zehn Mehrgenerationenhäuser, in denen Großeltern, Eltern und Kinder in einem Haus leben. Ein größeres Mehrgenerationenhaus mit zehn bis zwölf Familien ist bereits in Planung.
Verband fällt Entscheidung im November
An dem Wettbewerb nehmen elf weitere Wohnsiedlungen aus anderen Bundesländern teil. Im Moment ist die Jury auf Rundreise durch ganz Deutschland, um sie sich alle anzusehen. Unter anderem das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen fördert den Wettbewerb. Bauministerin Klara Geywitz ist Schirmherrin.
Wer am Ende den Wettbewerb und das Preisgeld gewinnt, entscheidet die Jury noch in diesem Jahr. Am 1. November ist eine Siegerehrung in Berlin geplant. Die Oberwolfacher müssen sich also noch etwas gedulden, bis sich herausstellt, ob es ihre Siedlung unter die ersten schaffen wird. Doch über die Anerkennung durch den Besuch freuen sie sich jetzt schon.