Der sechs Monate alte Fiete sitzt auf dem Schoß seiner Mutter, während ein Arzt ihn abhört.  (Foto: SWR)

Ärzte und Fachverband uneinig

Grippe-Impfung für alle Kinder empfehlen - Ja oder Nein?

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Michael Hertle
Paula Zeiler
Bild von Autorin Paula Zeiler aus der SWR Aktuell Redaktion in Freiburg (Foto: SWR)

Sollten auch Kinder gegen Grippe geimpft sein? Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte sagt ja. Einige Ärzte sind aber gegen eine Empfehlung. Ihre Sorge: Mehr Impfmüdigkeit.

Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) plädiert für eine Ausweitung der Impfempfehlung gegen Grippe für alle Kinder ab dem Kleinkindalter. Bisher gilt die Impfempfehlung nur für Kinder mit Risikofaktoren. Daran wollen einige Kinder- und Jugendärzte aber festhalten. Denn für sie hat die Empfehlung einer Grippe-Impfung aktuell nicht die höchste Priorität. Darunter auch der Direktor der Kinderklinik in Villingen-Schwenningen (Schwarzwald-Baar-Kreis), Matthias Henschen.

Im Schwarzwald-Baar-Klinikum leiden viele Kinder unter mehreren Infekten

Die Kinderstation des Schwarzwald-Baar-Klinikums in Villingen-Schwenningen ist aktuell voll mit Kindern, die schwere Atemwegsinfekte haben. Manche von ihnen müssen sogar beatmet werden. Auch der kleine Fiete litt mit seinen erst sechs Monaten an Luftnot - vier Tage musste er in der Klinik bleiben. Jetzt geht es ihm wieder besser. Noch einmal inhalieren, dann darf der Kleine wieder nach Hause.

Fiete hatte eine RSV-Bronchitis, erklärt Kinderarzt Matthias Henschen. Er sei ein typisches Kind für die Jahreszeit gewesen. Denn der RS-Virus trete jedes Jahr aufs Neue auf und sei besonders für Babys und Kleinkinder gefährlich.

"Als Mama macht man sich da natürlich sehr Sorgen, vor allem, weil man nicht übertreiben will. Aber trotzdem will man natürlich nichts verpassen, um dem Kind zu helfen."

Besonders für Kleinkinder kann das RS-Virus gefährlich werden

Bei Erwachsenen löst der RS-Virus meist nur einen Schnupfen aus, für Babys ist es allein schon sehr gefährlich. Noch gefährlicher sind Kombi-Infektionen mit dem RS-Virus und dem Grippevirus oder einer Corona-Infektion. Im schlimmsten Fall kommen noch bakterielle Infektionen dazu.

Unser Immunsystem ist mit mehreren Infektionen stärker belastet und hat dann auch mehr Schwierigkeiten.

Der sechs Monate alte Fiete sitzt auf dem Schoß seiner Mutter, während ein Arzt ihn abhört.  (Foto: SWR)
Matthias Henschen behandelt im Schwarzwald-Baar-Klinikum aktuell auch Kinder, die an mehreren Infekten zeitgleich leiden.

Die drei Viren: RS-Virus, Grippe- und Coronavirus

Jeder müsse sich klar machen, dass es zu Kombi-Infektionen kommen könne, sagt Matthias Henschen. Grundsätzlich teilt der Klinikdirektor die Meinung des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte, dass Impfungen hier helfen könnten. Noch wichtiger als eine Impfung gegen die Influenza-Grippe wäre für den Kinderarzt bei Babys eine Impfung gegen das RS-Virus. Da gibt es neue Passiv-Impfungen - für die Allerkleinsten oder sogar schon für Mutter und Kind während der Schwangerschaft. Auf diese neuen Impfstoffe gegen das RS-Virus setzt auch die Freiburger Uni-Kinderklinik.

Grippe-Impfung empfehlen - Ja oder Nein?

Roland Elling, Oberarzt der Uni-Kinderklinik in Freiburg, rät allen Riskogruppen, Kindern wie Erwachsenen gleichermaßen, zur Grippe-Impfung: Personen über 60 Jahren und Menschen mit Grunderkrankungen. Das tut auch die Ständige Impfkommission (STIKO). Eine Empfehlung für alle Kinder und Jugendlichen gibt es von der STIKO aber nicht. Doch auch ohne Impfempfehlung könne man sich nach persönlicher Abwägung gemeinsam mit seinem Kinderarzt für die Grippe-Impfung entscheiden, sagt Kinderarzt Elling.

Der sechs Monate alte Fiete sitzt auf dem Schoß seiner Mutter, während ein Arzt ihn abhört.  (Foto: SWR)
Oberarzt Roland Elling rät besonders allen Menschen aus Risikogruppen zur Grippeimpfung.

Bundesverband glaubt an Nutzen von Grippe-Impfungen bei Kindern

Geht es nach dem Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) soll es in Zukunft aber hierfür eine klare Empfehlung geben. Um die Ausbreitung von Influenza zu stoppen, plädiert der Bundesverband nämlich für eine Ausweitung der Impfempfehlung gegen Grippe für alle Kinder ab dem Kleinkindalter. Für eine Impfung spreche, dass geimpfte Kinder keine anderen Familienmitglieder oder Klassenkameraden anstecken. Der Nutzen der Grippe-Impfung übersteige das Risiko, sagt der Bundesverband.

Ich sehe die Gefahr, dass das Gefühl entsteht: "Jetzt steige ich aus den ganzen Impfempfehlungen aus", schon. Deswegen ist für mich eine Impfempfehlung eine politische Frage.

Impfquote in BW unter dem Bundesdurchschnitt

Für Matthias Henschen vom Schwarzwald-Baar-Klinikum hat die Impfempfehlung gegen Influenza - im Vergleich zu anderen Impfungen - aktuell dagegen nicht die höchste Priorität. Mit dieser Meinung ist Henschen nicht allein. Viele Kinder- und Jugendärzte sträuben sich momentan gegen die Einführung einer Impfempfehlung gegen Grippe. Sie befürchten, dass zu viele Empfehlungen die Impfmüdigkeit befördern könnten. Die ist seit der Coronapandemie nicht mehr wegzudiskutieren. Laut dem Landesapothekerverband Baden-Württemberg liegt die Impfquote im Land auch seit Jahren unter dem Bundesdurchschnitt.

Wirksamkeit der Grippe-Impfung diese Saison offenbar gut

Die Wirksamkeit der Grippe-Impfung scheine für diese Saison überdurchschnittlich gut zu sein, meint Oberarzt Roland Elling. Wie effizient die Impfung ist, hänge vom Viren-Stamm ab, der für die Impfung gewählt wurde.

Noch ist nicht klar, wie die Grippewelle diesen Winter verlaufen wird. Nach Fietes Tagen im Krankenhaus denkt seine Mutter Nicole aber auf jeden Fall neu darüber nach, seine älteren Geschwister gegen Grippe zu impfen. Nicole selbst ist schon geimpft.

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