In einer Apotheke werden Eltern beraten, die Medikamente für ihre Kinder brauchen.  (Foto: SWR)

Wenn Penicillin und anderes fehlt

Engpässe bei Medikamenten für Kinder: Apotheker schlagen Alarm

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Sandra Helmeke
Paula Zeiler
Bild von Autorin Paula Zeiler aus der SWR Aktuell Redaktion in Freiburg (Foto: SWR)

Weiterhin fehlen überall wichtige Medikamente für Kinder und Jugendliche, zum Beispiel Penicillin. Eine Emmendinger Apothekerin berichtet von verzweifelten Eltern.

Bundesweit fehlt es an diversen Medikamenten für Kinder und Jugendliche. Engpässe gebe es aktuell zum Beispiel beim Antibiotikum Penicillin, beklagt der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).

Auch der Landesapothekerverband Baden-Württemberg warnt vor einem zunehmenden Medikamentenmangel. Dass es an vielen Mitteln für die kleinen Patienten fehlt, bestätigt auch eine Apothekerin aus Emmendingen. In diesem Winter mangele es bei ihr zwar nicht an Fiebersäften, dafür aber an Asthma-Medikamenten und vor allem dem Antibiotikum Penicillin.

Apothekerin in Emmendingen kämpft mit Engpässen

Die Verzweiflung bei den Eltern sei manchmal groß, sagt die Emmendinger Apothekerin Friederike Habighorst-Klemm. Besonders, wenn Eltern nachts das passende Medikamente nicht bekommen und schon in drei Apotheken waren.

Diesen Montag etwa bekam Habighorst-Klemm eine Lieferung - doch ein bestelltes Medikament war nicht dabei, weil der Hersteller es derzeit nicht liefern kann, berichtet die Apothekerin. Dabei handelt es sich um ein Cholesterin-senkendes Mittel. So gehe das seit Monaten, denn zahlreiche wichtige Medikamente sind Mangelware: Vom Asthmaspray, über Psychopharmaka (etwa für Kinder mit Epilepsie), bis hin zu Cortisonpräparaten (gegen Hautausschlag).

Wir erleben hier oft aufgelöste, traurige Eltern weil sie von Apotheke zu Apotheke rennen.

In einer Apotheke werden Eltern beraten, die Medikamente für ihre Kinder brauchen.  (Foto: SWR)
Friederike Habighorst-Klemm berät in der Stadtapotheke Emmendingen auch Eltern.

Problem: Nicht jedes Medikament kann ersetzt werden

Für Habighorst-Klemm und ihre Kolleginnen in der Emmendinger Stadtapotheke bedeuten die Engpässe einen großen Mehraufwand. Denn ist ein Medikament nicht lieferbar, setzen sie sich gleich an den Computer und versuchen Alternativen zu finden.

Manchmal lassen sich Medikamente einfach durch andere ersetzen, aber nicht immer. Habighorst-Klemm erklärt: "Bei Diabetes bin ich zum Beispiel eingestellt auf bestimmte Wirkstoffe. Und wenn der nicht lieferbar ist, was mach ich denn dann? Dann bleibt nur der Weg zum Arzt, eine neue Therapieform entwickeln, umstellen - das ist ein Drama."

Kinderarzt aus Staufen ebenfalls besorgt

Wenn Kinderarzt Markus Sandrock Medikamente verschreiben will, weiß er inzwischen, dass er vorher ihre Verfügbarkeit prüfen muss. Denn es fehlt immer wieder an Fiebermedikamenten, an Nasentropfen und eben auch an Antibiotika, sagt der Kinderarzt aus Staufen (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald). So sei Amoxicillin, das man auch bei Mittelohrentzündungen verwendet, im Moment nicht verfügbar.

Wenn er auf so genannte Breitbandantibiotika ausweichen müsse, dann sei das ein Risiko, betont Markus Sandrock. Denn bei der Behandlung mit Breitbandantibiotika und Reserveantibiotika bestehe immer die Gefahr einer Resistenzentwicklung.

Mann mit weißen Haaren und Brille sitzt an einem Schreibtisch. (Foto: SWR)
Erkältungskrankheiten haben gerade Hochkonjunktur. Auch bei Kinderarzt Markus Sandrock in Staufen.

Apothekerverband Baden-Württemberg schlägt Alarm

Der Landesapothekerverband Baden-Württemberg warnte im Dezember 2023 vor Engpässen. Auf der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) herausgegebenen Lieferengpass-Liste standen neben Antibiotika und diversen Kinderarzneimitteln auch Insulin, Asthmasprays, Psychopharmaka, cortisonhaltige Produkte und Medikamente für Krebspatienten.

Forderung: Produktion von Medikamenten wieder in Europa

Ein Grund der aktuellen Misere: Rund 80 Prozent aller in Europa eingesetzten Wirkstoffe werden außerhalb Europas produziert. Seit 2020 wird intensiv darüber diskutiert, die Herstellung von Wirkstoffen und Medikamenten wieder nach Europa und Deutschland zu holen.

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Doch es scheint immer noch zu wenig passiert zu sein. Einer der größten Arzneimittelhersteller in Deutschland ist die Ulmer Marke Ratiopharm, Teil des israelischen Pharmakonzerns Teva. Die Geschäftsleitung sieht immer noch zu wenig Anreize für europäische Unternehmen, die Produktion von Medikamenten aus Asien zurückzuholen.

Der Markt ist zu unattraktiv.

Im Gegenteil, sagt Andreas Burkhardt von Ratiopharm in Ulm. Er beobachtet, dass sich immer mehr Lieferanten verabschieden. Deswegen gebe es immer wieder einen Mangel oder Lieferschwierigkeiten. Die Situation würde sich nur ändern, wenn der Markt wieder attraktiver werde, betont Burkhardt. "Wenn das Festbetrag-System angepasst wird, dann werden wieder mehr Hersteller an der Versorgung teilnehmen und dann wird die Lage besser", hofft er.

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Die Politik scheint auf die fehlenden Husten- und Fiebersäfte für Kinder im Winter 2022/23 reagiert zu haben: Anfang des Jahres 2023 wurden bereits Festbeträge für bestimmte Kinderarzneimittel ausgesetzt, teilte das Bundesgesundheitsministerium auf SWR-Anfrage mit. Ab Februar 2024 sollen dann alle Festbeträge für Kinderarzneimittel aufgehoben werden, mit dem Ziel, ökonomische Anreize für deren Herstellung zu schaffen. Denn Medikamente für Kinder seien für pharmazeutische Unternehmen in der Herstellung aufwendiger und weniger wirtschaftlich attraktiv, so ein Sprecher des Gesundheitsministeriums.

Mehr Geld für das Gesunheitssystem und Unabhängikeit von Asien - das fordert auch die Apothekerin Friederike Habighorst-Klemm. Der Politik müsse endlich klar werden, dass ein leistungsfähiges Gesundheitssystem nicht für Dumping-Preise zu haben sei, findet die Apothekerin aus Emmendingen.

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