Mehrere Schulkinder lernen gemeinsam in einem Lernzimmer einer Ganztagsschule.

Losverfahren für Fördermittel "handwerklicher Zynismus"

Streit um Ausbau der Ganztagsgrundschule: Hagel kritisiert Kultusministerium

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Schon in zwei Jahren müssen Grundschulen eine Ganztagsbetreuung garantieren. In BW fehlen aber zehntausende Plätze - und Geld für den Ausbau. Grüne und CDU ringen um eine Lösung.

In den Streit über den Ausbau der Grundschul-Ganztagsbetreuung in Baden-Württemberg kommt Bewegung: CDU-Partei- und Fraktionschef Manuel Hagel kritisierte im Gespräch mit dem SWR das grün-geführte Kultusministerium heftig, weil es die knappen Fördermittel des Bundes für die Ganztags-Grundschule per Losverfahren an Städte und Gemeinden verteilen will. Hagel verlangt eine andere Lösung und will schon bei den Haushaltsberatungen an diesem Montag mit den Grünen darüber verhandeln. Die Frage ist nun, ob Grüne und CDU bereit sind, die nötigen weiteren Investitionen von über einer Milliarde Euro verteilt über mehrere Jahre nachzuschießen.

Hagel gegen Politik nach dem "Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Prinzip"

"Leider bekommen die Kommunen für die nötigen Investitionen beim Ganztagesausbau viel zu wenig Mittel", sagte Hagel dem SWR am Wochenende. "Und in dieser angespannten Situation kommt jetzt das Kultusministerium und will die Zuschüsse für die Kommunen im Losverfahren verteilen. In unseren Augen als Christdemokraten ist das handwerklicher Zynismus pur und ich kann absolut nachvollziehen, wenn das unsere Kommunen auf die Palme bringt." Der CDU-Politiker stellte weiter fest: "Über die Bildungschancen unserer Kinder kann man nicht nach dem Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Prinzip entscheiden." Das Losverfahren führe auch zu Streit zwischen den Kommunen, weil es viel mehr Förderanträge als Geld gebe.

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CDU-Landeschef Hagel will Kommunen bei Lösung einbinden

Das Verfahren könne auf keinen Fall so bleiben, sagte Hagel. "Das kann und das darf nicht die letzte Antwort des Landes an unsere Kommunen und unsere Familien bleiben." Der 36-jährige Fraktionschef erklärte weiter, "Würfelspiele" hätten in der Politik nichts verloren. "Wir brauchen jetzt ein gerechtes und vernünftiges Verfahren, wo die Förderungen nach dem Prinzip der Gerechtigkeit und Vernunft verteilt werden." Hier müssten die Kommunen eingebunden werden, die sich schon schwer ins Zeug gelegt und eine große Expertise hätten. "Deshalb werden wir jetzt dem Kultusministerium helfen und in unserer Koalition gemeinsam eine Lösung finden, die dem Ernst der Sache auch gerecht wird. Gleich am Montag beginnen wir damit." Die CDU wolle eine optimale Betreuung für Grundschulkinder. "Auch wenn Eltern arbeiten, soll sich niemand Sorgen machen müssen, dass sich die Kleinen optimal entwickeln und entfalten können."

Die kommunalen Landesverbände hatten das Losverfahren ebenfalls hart kritisiert und den finanziellen Mehrbedarf auf gut eine Milliarde Euro beziffert. Der CDU-Haushaltspolitiker Albrecht Schütte hatte schon gefordert, das Land müsse den nötigen "niedrigen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr" zur Verfügung stellen.

Andreas Schwarz, Fraktionsvorsitzender der Grünen, und Manuel Hagel, CDU-Fraktionsvorsitzender, bei einer Pressekonferenz im baden-württembergischen Landtag.
Andreas Schwarz, Fraktionsvorsitzender der Grünen, und Manuel Hagel, CDU-Fraktionsvorsitzender, äußerten sich beide zum Ausbau der Ganztagsbetreuung. (Archivbild)

Grünen-Fraktionschef will "Knoten lösen"

Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz kündigte am Sonntag an, aufgrund der Kritik an dem Losverfahren einen Vorschlag zu unterbreiten, "wie wir es besser machen können", sagte ein Sprecher dem SWR. Die Sitzung der Haushaltskommission biete dafür die beste Gelegenheit. Man sei überzeugt, dass die Koalition mit diesem Plan "den Knoten lösen" könne.

Vergangene Woche hatte Schwarz dem SWR gesagt, der Ausbau der Ganztagsbetreuung sei auch den Grünen sehr wichtig. "Jetzt muss man aber auch dazu sagen, dass der Bund uns - was die Finanzierung angeht - leider ein faules Ei ins Nest gelegt hat. Es kann im Grund nicht sein, dass die Länder und die Kommunen diese Finanzierung selber stemmen müssen." Man müsse nun in der Koalition darüber sprechen, "wie wir das hinbekommen".

Der Bund hat uns - was die Finanzierung angeht - leider ein faules Ei ins Nest gelegt.

Schwarz sagte mit Blick auf die CDU: "Wer konkrete Summen ins Spiel bringt, muss auch sagen, woher er das Geld nimmt und wie er das finanzieren möchte."

Gemeindetagspräsident: Kein Schulträger darf Verlierer werden

Auch Gemeindetagspräsident Steffen Jäger sieht Handlungsbedarf beim Investitionsprogramm. "Es muss dringend eine Lösung gefunden werden, die das Losverfahren überflüssig und allen förderfähigen Anträgen eine verlässliche Zusage macht", teilte Jäger auf SWR-Anfrage mit. Die Kommunen hätten dazu den Verantwortlichen bereits Vorschläge gemacht.

Von Hagels Kritik am Investitionsprogramm fühle sich der Gemeindetag bestätigt. Daher sei es gut, "dass nun offenbar sowohl CDU als auch Grüne eine belastbare Lösung finden wollen." Jäger weiter: "Eine tragfähige Lösung kann nur eine solche sein, die keinen Schulträger als Verlierer zurücklässt." Jeder Vorschlag, der in diesem Sinne funktioniert, werde vom Gemeindetag begrüßt.

BW hinkt bei Ganztag anderen Ländern hinterher

Von 2026 an haben Eltern bundesweit einen Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung in der Grundschule für ihr Kind. Baden-Württemberg hinkt aber in diesem Bereich im Vergleich zu anderen Bundesländern weit hinterher: Es müssen bis dahin laut Studien noch zehntausende Plätze geschaffen werden.

Das Ressort von Theresa Schopper (Grüne) hatte das Losverfahren verteidigt. Das Los werde ausschließlich für die Reihenfolge bei der Prüfung der Anträge verwendet, das sei üblich und rechtssicher. Alternativ hätte der Fördersatz von 70 Prozent gesenkt werden können, aber diese Lösung habe man verworfen, heißt es aus dem Ministerium. Angesichts der Masse der Anträge hätte der Satz aber stark gesenkt werden müsse, was nicht mehr sinnvoll gewesen wäre.

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Rechtsanspruch kommt vom Bund

Das Investitionsprogramm für die bauliche Erweiterung der Grundschulen kommt vom Bund, der auch den Rechtsanspruch von 2026 an beschlossen hat. Baden-Württemberg bekommt 380 Millionen Euro aus dem Topf. Die BW-Kommunen schätzen, dass Anträge in Höhe von 1,2 Milliarden Euro eingegangen sind. Hintergrund dieses hohen Bedarfs ist, dass die Ganztagsschule in Baden-Württemberg lange keinen hohen Stellenwert hatte.

Bei den Grünen heißt es immer wieder, diese Altlast habe man früheren CDU-geführten Landesregierungen zu verdanken. Neben der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll der Ganztag auch dafür sorgen, dass Lerndefizite aufgeholt werden können. Vor allem die fehlenden Sprachkenntnisse von Kindern aus Migrantenfamilien sollen angegangen werden.

BW-Kommunen halten Rechtsanspruch für unrealistisch

Angesichts des absehbaren Geld- und Personalmangels warnen die Kommunen schon lange, der Rechtsanspruch auf einen Platz in der Ganztagsbetreuung ab 2026 sei unrealistisch. So hatten die Kommunen der Landesregierung vorgeschlagen, dass die Schulträger zunächst in Vorleistung gehen und die fehlenden Fördermittel von Bund oder Land über die kommenden Jahre verteilt aufgebracht werden. Wenn das möglich sei, müsse der Rechtsanspruch um mindestens fünf Jahr nach hinten zu verschoben oder ganz zurückgenommen werden.

Die grün-schwarze Koalition von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) muss nun überlegen, wie sie mit diesem Problem umgehen will. An diesem Montag und Freitag treffen sich die Koalitionsspitzen in der Haushaltskommission. Zunächst sollen die Ministerinnen und Minister sowie die kommunalen Landesverbände an diesem Montag ihre Prioritäten vorstellen. Am Freitag soll Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) dann den aktualisierten Entwurf für den Etat 2025/2026 einbringen.

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Kommt weiterer Landeszuschuss?

Dem Vernehmen nach ist ein weiterer Landeszuschuss schon länger im Gespräch. Zuletzt hatte sich die Haushaltslage in BW etwas entspannt. Dank eines höheren Überschusses, Einsparungen und einer geringeren Zuführung zum Pensionsfonds kann die Koalition nun etwa 1,3 Milliarden Euro für politische Schwerpunkte ausgeben. Doch ein großer Teil des Geldes ist schon gebunden, etwa für das Sprachförderpaket in Kitas und Grundschulen.

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