Das Wappen der Polizei Baden-Württemberg. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Silas Stein (Fotomontage SWR))

Vorwürfe sexueller Nötigung gegen Inspekteur

#MeToo-Fall bei BW-Polizei: Einzelfall oder strukturelles Problem?

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Marc-Julien Heinsch
SWR-Redakteur Marc-Julien Heinsch Autor Bild (Foto: David-Pierce Brill)

Sexuell übergriffiges Verhalten durch Vorgesetzte habe viel mit Macht und Abhängigkeiten innerhalb der Polizei zu tun. Das erklärt Polizeiforscher Rafael Behr im SWR-Interview zur BW-Polizei-Affäre.

Die Polizei in Baden-Württemberg steht aktuell besonders im Fokus der Öffentlichkeit. Andreas R., Inspekteur der Polizei und ehemals ranghöchster Beamter im Land, muss sich vor Gericht wegen Vorwürfen der sexuellen Nötigung und des Machtmissbrauchs verantworten. Ausgerechnet R., der zusammen mit Polizeipräsidentin Stefanie Hinz die Kampagne "Nicht bei uns!" verantwortete, die auch über Sexismus im Dienstalltag aufklären sollte.

Im SWR-Interview spricht der Polizeiforscher Rafael Behr darüber, was der #MeToo-Fall um den Inspekteur der Polizei in Baden-Württemberg über die Polizei aussagt. Der ehemalige Polizist und jetzige Wissenschaftler sieht einen Zusammenhang zwischen Machtstrukturen und sexuell übergriffigem Verhalten innerhalb der Polizei.

SWR Aktuell: Sie waren selbst jahrelang Polizist, forschen zur Polizei und haben mit Studierenden aus den Reihen der Polizei zu tun. Was haben Sie gedacht, als Sie von der Affäre um den Inspekteur der Polizei in Baden-Württemberg gehört haben?

Rafael Behr: Dass das Thema sexuelle Übergriffe und toxische Männlichkeit in der öffentlichen Wahrnehmung sehr stark mit den Polizisten an der Basis und mit ihrer Wirkung nach außen verbunden wird. Die innerbetrieblichen Auswirkungen von toxischer Männlichkeit aber, die hat man ganz selten im Blick und noch seltener diejenigen, die von Führungspersonen ausgehen. Man glaubt offenbar, die polizeilichen Leitungsbeamten und -beamtinnen sind alle integer. Ich habe mich ehrlich gesagt gewundert, warum in der Polizei keine laute #MeToo-Debatte geführt wird, wie es etwa in der Kulturbranche der Fall ist.

SWR Aktuell: Hat die Polizei ein strukturelles Problem mit sexuell übergriffigem Verhalten?

Behr: Lassen Sie mich etwas ausholen: In meiner Arbeit an der Hochschule für Polizei bekomme ich jedes Semester Erzählungen aus dem Innenleben der Polizei mit. Natürlich höre ich auch Geschichten über Beziehungen zwischen Männern und Frauen, zwischen Männern und Männern, Frauen und Frauen; aber vor allen Dingen gibt es immer wieder Berichte über Beziehungen, die von Vorgesetzten ausgenutzt werden. Wenn beispielsweise Praktikumsanleiter ihren Praktikantinnen sexuelle Avancen machen, oder wenn Vorgesetzte nachts anzügliche Nachrichten schicken.

Das ist ausdrücklich nicht immer strafbar, es geht nicht immer um sexuellen Missbrauch oder gar um Vergewaltigung. Wir bewegen uns da in einer Grauzone. Und immer ist es den Opfern aufgetragen, zu entscheiden: Ist das jetzt noch normal oder ist das schon Übergriff? Ist das nur ein penetranter Typ oder darf ich da schon was nach außen tragen? Es gibt Ausbildungsverhältnisse und Machtstrukturen, die sexuell übergriffiges Verhalten begünstigen - das ist in Sachen #MeToo total auf die Polizei übertragbar. Eine vergleichbar laute Debatte gibt es trotzdem nicht.

Der Polizeiforscher von der Hochschule für Polizei Hamburg.  (Foto: Daniela Hunold)
Je höher man in der Polizei aufsteigen wolle, desto größer werde die Abhängigkeit von - meist männlichen - Fürsprechern, sagt Polizeiforscher Rafael Behr.

SWR Aktuell: Warum ist das so?

Behr: Die Polizei ist nach wie vor eine männlich dominierte Organisation, in der Frauen zwar mitspielen dürfen, wo Männer aber weiterhin die Strukturen der Institution bestimmen. Gerade die Führungsetage der Polizei wird weiter bestimmt durch eine sehr traditionell-männliche Vorstellung davon, wie man durch Dominanz Interessen durchsetzt. Wer oben mitspielen will, sitzt in der deutlichen Überzahl mächtigen Männern gegenüber, die entscheiden, ob ein neues Mitglied in die Gruppe des höheren Dienstes aufgenommen wird. Das ist eine enorme Machtfülle. Und um diese auszunutzen muss die Person nicht einmal unbedingt drohen, es reicht, wenn sie Andeutungen macht oder Einladungen ausspricht.

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SWR Aktuell: Was Sie da beschreiben, klingt stark nach dem Auswahlgespräch der Beamtin für den höheren Dienst, währenddessen und nachdem es zur sexuellen Nötigung durch den Inspekteur gekommen sein soll.

Behr: Was mich total wundert: Wenn der höchste Polizeibeamte des Landes zum Personalgespräch mit einer Beamtin, die in den höheren Dienst aufsteigen will, Sekt ausschenkt, müssten doch bei allen die Alarmglocken angehen. Stattdessen kommt die Polizeipräsidentin vorbei und geht fröhlich wieder weg. Hier klafft natürlich eine Riesenlücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Man könnte auch sagen: Wasser predigen und Wein trinken. Auf der einen Seite verbietet man Alkohol auf Betriebsfeiern, weil es dann drunter und drüber geht. Auf der anderen Seite schenkt die Führung bei Auswahlgesprächen Sekt aus. Das ist ein krasser Widerspruch. Und es ist ganz egal, dass die Beamtin vielleicht anfänglich gute Miene zum bösen Spiel gemacht hat. Die Geste, während eines offiziellen Personalgesprächs mit Sekt anzustoßen ist übergriffig: mit und ohne Libido.

SWR Aktuell: Was müsste sich ändern, damit solche Fälle häufiger publik werden, wie im Falle des Inspekteurs?

Behr: Oft sind die Fälle ja nicht so krass und deutlich und lassen sich nur schwer oder gar nicht beweisen. Dann steht Aussage gegen Aussage und die Betroffenen haben ganz wenig Chance, gehört zu werden. Was dann passiert, können wir ja auch gerade beobachten: Dann wird dem Opfer nachgesagt, es habe geflirtet und es so gewollt, es sei ja selbst Schuld. Das sind typische Männerphantasien. Diese Täter-Opfer-Umkehr stimmt zwar nicht, wenn es aber keine Beweismittel gibt, wird sie immer noch reproduziert. Hätte die Frau im Fall des Inspekteurs in Baden-Württemberg das Gespräch nicht mitgeschnitten, kann ich Ihnen genau sagen, wie der Fall ausgegangen wäre. Aussage gegen Aussage, oben sticht unten und der mit der größeren Reputation und dem besseren Netzwerk geht als Sieger vom Platz.

SWR Aktuell: In strafrechtlich relevanten Fällen braucht es Beweismittel - auch für den Inspekteur gilt bis zu einem möglichen Urteil die Unschuldsvermutung. Aber was ist mit sexistischem Verhalten im Arbeitsalltag? Wie schafft man es, dass Betroffene sich häufiger trauen, über Erlebtes zu sprechen oder sogar, dass andere aufmerksam werden und die Missstände ansprechen? Eine Kultur der Offenheit statt Verschwiegenheit sozusagen.

Behr: Bei der Polizei lernt man früh, sich einzuordnen. Man lernt die Inhalte des offiziellen Lehrplans. Daneben gibt es aber auch noch ein verstecktes Curriculum: füge dich ein, folge der Hierarchie und erhebe nicht deine Stimme. In der Polizei gibt es keine Kultur der Gegenrede.

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SWR Aktuell: Braucht es ein schärferes Disziplinarrecht oder weitere Meldestellen, wie es gerade politisch gefordert wird? Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte dazu, Betroffene könnten sich ja an die bestehenden Meldestellen wenden.

Behr: Es wird immer gesagt, wir haben ja Personalräte, wir haben Gleichstellungsbeauftragte, und so weiter. In dem Fall aber, wo Personalräte und Vertrauenspersonen auch Beamte sind, sind sie eben nicht jenseits der Logik der Polizei, sondern funktionieren innerhalb dieser Logik. Ich will nicht sagen, dass sie keine gute Arbeit machen können, sie bieten mir als Betroffenem im Zweifel aber keine Gewähr dafür, unabhängig oder sogar auf Opferseite zu sein. Die Gleichstellungsbeauftragten nehme ich da ausdrücklich aus. Aber auch sie haben keine ausreichenden Machtbefugnisse, um Opfer zu schützen. 

Anders verhält es sich mit der Bürgerbeauftragen des Landes. Sie ist für die Polizei zuständig und unabhängig. Was sie aber nicht kann, ist ermitteln. Eine Krux aller Polizeibeauftragten in Deutschland ist, dass sie nur Gespräche einleiten und um Klärung bitten kann. Ein scharfes Schwert hat sie nicht, kann zum Beispiel keine Handys sicherstellen. Eine Polizeibeauftragte ist ein wichtiger Schritt, aber der reicht noch lange nicht aus. Wer sich jetzt zurücklehnt und sagt, wir haben ja diese Stelle für Betroffene, den finde ich zynisch. Insbesondere dann, wenn ich höre, wie sehr die Polizeibeauftragten immer wieder kämpfen müssen, um ihre Rechte gegenüber den Behörden durchzusetzen.

SWR Aktuell: Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Gundram Lottmann, sagte im vergangenen Jahr nach Bekanntwerden des Falls um den Inspekteur, er sehe kein systemisches Problem bei der Polizei. Es handele sich um Einzelfälle. Also: Einzelfälle oder systemisches Problem?

Behr: Erstmal bringt jeder Fall eine Notwendigkeit zur Demut mit sich. Man kann sich nicht erhobenen Hauptes hinstellen und behaupten, bei uns passiert nichts. Deshalb verstehe ich nicht, dass man dieser Gewerkschaftsrhetorik von wegen schwarzer Schafe und Einzelfälle noch Glauben schenkt. Wenn man sich wirklich traut, die Augen aufzumachen, kann man so etwas nicht mehr sagen. Ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, dass die Gewerkschaften und Personalräte diejenigen Instanzen innerhalb der Polizei sind, die am ehesten eine Aufklärung und Modernisierung verhindern.

Wenn ich zum Beispiel höre, dass das Land Baden Württemberg und das Land Hamburg als einzige zwei Bundesländer bei einer großen Polizeistudie nicht mitgemacht haben - und zwar auf Intervention der Personalräte hin -, dann ziehe ich daraus den Schluss, dass diese Personalräte so viel Macht haben, dass sie Aufklärung durch Forschung in der Organisation verhindern können. BW-Innenminister Strobl hätte sich zwar darüber hinwegsetzen können. Das hat er aber nicht getan, weil auch er offenbar Angst vor der Macht der Gewerkschaften hat.

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