In der Nacht zum Montag wurden in Los Angeles die Oscars verliehen. Gewonnen hat unter anderem "The Zone of Interest" mit Sandra Hüller und Christian Friedel. Der Film erzählt die Geschichte des Lagerkommandanten Rudolf Höß und seiner Familie.
Was viele nicht wissen: eine Frau aus Mannheim hat hautnah miterlebt, was der Film zu rekonstruieren versucht - ein scheinbar normales Familienleben direkt neben einem Vernichtungslager.
Als Zeugin Jehovas ins KZ
Die Mannheimerin Sophie Stippel kam ins KZ, weil sie sich als Zeugin Jehovas gegen den Nationalsozialismus aufgelehnt hat. Als sie 1942 vom Frauenlager Ravensbrück nach Auschwitz verlegt wurde, begegnete sie zufällig einem Bekannten aus ihrer Kindheit: dem Lagerkommandanten Rudolf Höß, der ebenfalls in Mannheim aufwuchs. Er machte sie zu seiner Köchin.
Ein Massenmörder als Lebensretter
Es ist eine unglaubliche Geschichte. Hätte Rudolf Höß Sophie Stippel bei der Ankunft im Konzentrationslager nicht erkannt, hätte sie Auschwitz wahrscheinlich nicht überlebt. Der Mann, der für den Tod von rund einer Million Menschen verantwortlich war, hat ihr vermutlich das Leben gerettet, indem er sie im Haushalt seiner Kommandantenvilla in Auschwitz arbeiten ließ. Und zwar als Köchin und Kinderfrau.
Höß und Stippel sind beide in Mannheim in der gleichen Gegend aufgewachsen, wobei Sophie Stippel acht Jahre älter war als er und aus einer wohlhabenderen Familie stammte. Rudolf Höß schrieb in seinen Memoiren zwar, dass er aus privilegierten Verhältnissen kommt, historische Forschungen haben allerdings nachgewiesen, dass das nicht stimmt. Die Metzgerstochter kümmerte sich offenbar immer wieder um den Jungen aus ärmlichen Verhältnissen.
Die Banalität des Bösen: Das Leben der Familie Höß
Wie im Film gezeigt, lebten Rudolf und Hedwig Höß mit ihren fünf Kindern in einer Villa mit großem Garten. Das Grundstück lag direkt neben dem Stammlager von Auschwitz. Nur wenige Kilometer entfernt vom Lager Birkenau, über dem permanent der Rauch der Krematorien aufstieg. Auch Schreie und andere Geräusche müssen zu hören gewesen sein.
Auch Sophie Stippel hat dort gelebt. In Briefen, die man nach dem Krieg fand, berichtet sie, wie sehr die Familie ihre Karthäuserklöße mit Weinschaumsoße schätzte - und davon, wie sich Häftlinge in den Elektrozaun stürzten. Sie erzählt davon, wie launisch und unberechenbar Hedwig Höß war und wie sehr ihr dennoch deren Kinder ans Herz gewachsen waren.
Nachkommen sorgen für Aufarbeitung der Geschichte
Sophie Stippel überlebte den Krieg und wohnte danach in Weinheim, in der Nähe ihrer Tochter. Ihr Enkel Gerald Sander - der heute noch in Weinheim lebt - kann sich daran erinnern, dass sie manchmal beiläufig von ihren Erinnerungen erzählte. Wirklich aufgearbeitet wurde ihre Geschichte allerdings erst, als Sanders Tochter, also Stippels Urenkelin, einen Schuhkarton mit Unterlagen fand. Darin lagen der Häftlingsausweis aus Auschwitz, Briefe und der lila Winkel - ein Erkennungszeichen, den alle Zeugen Jehovas im Konzentrationslager tragen mussten.
Die Familie wandte sich mit dem Material an das Mannheimer Stadtarchiv Marchivum. Nach umfangreichen Recherchen entstand dort 2018 das Buch "Der Kommandant und die Bibelforscherin" und die Filmdokumentation "Die Köchin des Kommandanten". Inwieweit diese Arbeiten auch in die Recherchen zum Film "The Zone of Interest" eingeflossen sind, ist nicht bekannt.
Sophie Stippel starb hochbetagt in Weinheim
Sophie Stippel starb 1985 im Alter von 93 Jahren. Sie war bis zu ihrem Lebensende eine gläubige Zeugin Jehovas. Rudolf Höß wurde von einem polnischen Gericht zum Tode verurteilt und 1947 am Ort seiner Verbrechen erhängt, im ehemaligen Stammlager von Auschwitz. Seine Frau Hedwig Höß wurde 81 Jahre alt und starb in den USA.