Jüdische Gemeinde Mannheim

Interview zum Jahrestag des Hamas-Angriffs: Zwischen Solidarität und Anfeindungen

Stand

Ein Jahr nach dem Überfall der Hamas auf Israel gedenkt die jüdische Gemeinde Mannheim der Opfer. Im Interview berichtet die Vorsitzende, wie präsent der Konflikt auch hier ist.

Am Jahrestag des Angriffs der Hamas auf Israel gedenkt auch die Jüdische Gemeinde in Mannheim - mit einer Dokumentation und einer Gedenkstunde. Im Interview mit dem SWR erzählt die Vorsitzende der Gemeinde, Deborah Kämper, wie präsent die Geschehnisse in Israel in ihrer Gemeinde sind und wie sehr sich der Alltag der Jüdinnen und Juden auch in Mannheim verändert hat.

SWR Aktuell: Frau Kämper, wie war das vergangene Jahr? Wie blicken Sie darauf zurück - jetzt am Jahrestag?

Deborah Kämper: Das vergangene Jahr hat uns gefordert, wie uns noch nie ein Jahr gefordert hat. Das können Sie sich vorstellen, emotional, aber auch rein physisch. Das ganze Jahr war besetzt mit diesem Thema. Wir hatten sehr viele Veranstaltungen hier. Wir haben Menschen eingeladen. Wir haben zum Beispiel die Tochter einer Geisel hier gehabt, die erzählt hat von ihrem Vater. Wenige Wochen später haben wir erfahren, dass er umgebracht wurde. Wir haben viele Gespräche auch mit den christlichen Kirchen und mit den muslimischen Gemeinden geführt. Dabei haben wir viel Solidarität erfahren, aber auch einiges erleben müssen, was wir nicht unbedingt erwartet haben. Insofern war es ein herausforderndes Jahr.

SWR Aktuell: Wie geht man hier in der Gemeinde mit den Ereignissen in Israel um? Wenn immer wieder neue Nachrichten kommen und damit, dass immer noch Geiseln von der Hamas festgehalten werden?

Kämper: Wir haben alle in irgendeiner Weise eine Beziehung, eine persönliche Beziehung zu Menschen in Israel - also Verwandte, Freunde. Insofern sind wir - ganz einfach gesagt - in andauernde Sorge. Und es ist nicht so, dass die Sorgen weniger werden, sondern sie werden mit jedem Tag eigentlich mehr. Jetzt hat es wieder ein neues Stadium erreicht in Israel mit dem Raketenangriff des Iran. Jetzt ist der Gegenschlag zu erwarten. Andauernd schlagen die Nachrichten bei uns ein und wir kommen nicht zur Ruhe. Wobei, wenn wir das sagen, wie muss es unseren Lieben in Israel zumute sein?

SWR Aktuell: Warum ist es so wichtig, so einen Jahrestag zu begehen?

Kämper: Es ist wichtig für die jüdische Gemeinschaft, obwohl der 7. Oktober ständig präsent ist. Aber mit diesem Akzent wird das Ereignis noch einmal ganz anders ins Bewusstsein geholt. Also für die jüdische Gemeinschaft ist es sehr wichtig. Es ist aber auch wichtig für die nicht-jüdische Gemeinschaft. Es muss in Jedermanns und jeder Fraus Bewusstsein sein, was passiert ist.

Baden-Württemberg

Erinnerung an die Opfer Ein Jahr nach dem Hamas-Angriff in Israel: Gedenkveranstaltungen in BW verliefen friedlich

Ein Jahr nach dem Überraschungsangriff der Hamas in Israel lassen die Ereignisse auch die Menschen in BW nicht los. Vielerorts fanden Veranstaltungen zum Gedenken statt.

SWR Aktuell: In Mannheim findet - gefühlt alle zwei Wochen - eine Demonstration der Palästinenser statt. Dort sind auch immer Israelis oder Menschen jüdischen Glaubens, die an der Seite stehen und auch ihre Schilder hochhalten. Dieser ganze Konflikt findet auch seinen Niederschlag hier in Mannheim. Wie gehen Sie damit um? Ist es wichtig oder reibt es auf? Wie ist da die Haltung in Ihrer Gemeinde?

Kämper: Leider findet der Konflikt, der viele tausend Kilometer entfernt von hier stattfindet, auch hier seinen Niederschlag. Das ist für uns natürlich ein großes Problem. Der Marktplatz, auf dem die Demonstrationen stattfinden, ist wenige Meter von hier entfernt. Was aber auch in diesen Zusammenhang gehört, ist der zunehmende Antisemitismus, den wir hier direkt erfahren: Täglich im Internet, auf diesen Demonstrationen mit Bespucken, Beleidigen, Falschaussagen und so weiter. Also, das ist ein ganz großes Problem und der zunehmende Judenhass allgemein natürlich auch. Da muss man sicher fragen: Wie kommt das eigentlich, dass dieser Konflikt sich hier in in dieser Weise ausdrückt, mit noch intensiverem Judenhass, der ja ohnehin existiert. Das ist ein großes Problem für uns.

SWR Aktuell: Das heißt, das hat seit dem 7. Oktober noch mal zugenommen?

Kämper: Es hat enorm zugenommen. Also in Social Media waren wir nie in dieser Weise im Fokus. Es gibt den allgemeinen Judenhass, den wir kennen und mit dem wir umgehen. Aber das, was hier jetzt passiert, seit dem 7. Oktober, das ist eine ganz andere Dimension.

SWR Aktuell: Haben Sie dafür Beispiele?

Kämper: Zum Beispiel unser Kantor, der niemals ohne Kippa in die Öffentlichkeit geht, wird angespuckt, angefeindet und beleidigt. "Zionist" ist die neue Beleidigung. Es ist von Genozid die Rede und dieser Spruch: "From the river to the sea" - was ist das anderes als ein Aufruf zum Genozid von der anderen Seite? Also dieses Schlagwort des Genozids. Das wird hier wie dort verwendet. Wobei das, was am 7. Oktober 2023 passiert ist - das war ein genozidaler Akt. Die Juden und Jüdinnen sollen vernichtet werden. Das ist das Ziel der Hamas und das ist das Ziel des Iran. Insofern wird das hierher getragen. Und wir müssen damit umgehen.

SWR Aktuell: Warum ist so eine Veranstaltung wichtig? Sie tun sich das an, sich diesen Film anzuschauen, in dem es um die Ereignisse am 7. Oktober geht. Warum machen Sie das? Was ist der Hintergedanke?

Kämper: Unser Eindruck ist, dass das im allgemeinen Bewusstsein nicht vorhanden ist - die Brutalität, die Bestialität dessen, was am 7. Oktober 2023 passiert ist. Es sind furchtbare, brutale, bestialische Dinge passiert. Frauen wurden auf eine unvorstellbare Weise missbraucht, auch Kinder, alte Menschen. Jeder und jede, der der Hamas vor die Füße gelaufen ist sozusagen, wurde abgeschlachtet. Ich benutze jetzt mal dieses schlimme Wort. Damit man, damit wir vielleicht dazu einen Beitrag leisten, dass wirklich klar ist, was da passiert ist. Und das vielleicht noch mal die Sicht auf die Dinge ein bisschen zurechtrückt. Das ist unser Ziel.

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