Ankunftszentrum PHV (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Uwe Anspach)

Menschen suchen nach Sicherheit wegen Krisen und Krieg

Steigende Flüchtlingszahlen: "Große Herausforderung" für Ankunftszentrum Heidelberg

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Viele Ukrainer, aber auch Menschen aus Afghanistan und dem Irak: Bundesweit steigt die Zahl der Flüchtlinge aktuell stark an. Spürbar ist das auch im Ankunftszentrum Heidelberg.

Das Ankunftszentrum im Patrick-Henry-Village in Heidelberg ist derzeit so voll wie selten zuvor. Dort sind auch die ersten russischen Kriegsdienstverweigerer angekommen. Sie machen aber aktuell nur einen Bruchteil aller Menschen im Ankunftszentrum aus. Das sagte dessen Leiter, Markus Rothfuß vom Regierungspräsidium Karlsruhe, im Interview mit dem SWR.

SWR Aktuell: Welche Menschen kommen im Moment bei Ihnen im Ankunftszentrum in Heidelberg an?

Markus Rothfuß: Jeden Tag kommen eigentlich mehr Flüchtlinge bei uns an. Im Moment haben wir es hauptsächlich mit Menschen zu tun, die auf den "normalen" Migrationsrouten zu uns kommen und die wir bislang auch schon kannten. Menschen aus Syrien, aus dem Iran, dem Irak, aus Afghanistan, der Türkei und aus afrikanischen Staaten. Wir haben derzeit einen Zugang von etwa 300 Personen pro Tag. Das fordert uns schon sehr.

SWR Aktuell: Woran liegt es, dass gerade jetzt so viele Menschen kommen?

Rothfuß: Ein Stück weit bleibt das natürlich ein Blick in die Glaskugel. Wir fragen auch ab und zu mal Personen, die hier ankommen, danach. Ein Grund ist bei vielen zum Beispiel die Energiekrise, die suchen jetzt in der kalten Jahreszeit eben auch wärmere Gefilde. Nicht, dass es in Deutschland wärmer wäre, aber viele vermuten wohl, dass sie hier zumindest in einer warmen Unterkunft unterkommen. Auch sonst stellen wir fest, dass die Krisenherde auf der Welt nicht weniger werden und dass sich sehr viele Menschen mehr als sonst auf die Flucht begeben und sicherere Zielländer suchen.

SWR Aktuell: Wie kommen Sie im Moment damit klar?

Rothfuß: Wir waren vorbereitet. Wir überlegen seit 2015, wie wir mit dieser Situation umgehen. Deswegen war die Erstaufnahme des Landes vorbereitet. Auch zu Beginn der Ukraine-Krise konnten wir sehr starke Flüchtlingsaufnahmen verzeichnen, Stadt- und Landkreise haben stark unterstützt. Das ist jetzt im Zuge der gestiegenen Migrationsbewegungen zurückgegangen. Unsere originäre Aufgabe - die Sicherung des Asylverfahrens - stellt uns im Moment vor große Herausforderungen. Allerdings muss man auch sagen: Man kann sich zwar auf Krisen vorbereiten, aber man kann nicht dauerhaft in einer Krise leben. Wir mussten uns auch jetzt nach der Decke strecken. Dass die Zahlen weiter steigen werden, erwarte ich auch für die Zukunft. Wir müssen eventuell weitere Unterbringungsmöglichkeiten ertüchtigen. Wir müssen mehr Personal einstellen. Wir müssen mehr Verträge mit Dienstleistern schließen, die sich um die Flüchtlinge kümmern, damit wir auch künftig Herr der Lage sein können. Es sind herausfordernde Zeiten. Ich kann auch nur meinen Blick Richtung Stadt und Landkreise richten, die im Moment natürlich die Hauptlast tragen müssen. Weil all das, was in die Erstaufnahme reingeht, muss ja irgendwann auch mal wieder hinaus.

Ein Flüchtling aus Togo mit einem Sachbearbeiter im PHV in Heidelberg (Foto: SWR)
Ein Flüchtling aus Togo bei der Registrierung im Ankunftszentrum Heidelberg

SWR Aktuell: Jetzt ist im Moment mit Russland und der Einberufung der Männer in die Armee eine neue Lage eingetreten. Sind schon Kriegsdienstverweigerer im Ankunftszentrum angekommen?

Rothfuß: Ja, wir können Zugänge aus Russland jetzt aufgrund dieser Situation verzeichnen, allerdings auf sehr niedrigem Niveau.

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SWR Aktuell: In welcher Form hat das Ankunftszentrum in Heidelberg mit dem Ukraine-Krieg zu tun - auch wenn die Ukrainer gar nicht bei Ihnen ankommen, sondern gleich in die Kommunen und Landkreise gehen?

Rothfuß: Wir versuchen, die Stadt- und Landkreise weiter zu entlasten, indem wir rund um die Uhr Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen. Aufgrund der insgesamt starken Zugänge auch aus anderen Ländern können wir sie aber nur sehr kurz bei uns behalten und müssen sie dann direkt - also ohne Registrierung und große Erfassung - in die Stadt- und Landkreise verteilen. Dazu sind wir im Moment gezwungen, weil unsere eigentliche Aufgabe die Sicherung der Migration im Rahmen des Asylverfahrens ist. Die Stadt- und Landkreise müssen die ukrainischen Flüchtlinge, die nicht durch ein Asylverfahren laufen müssen, direkt aufnehmen. Das ist eine große Herausforderung für die Erstaufnahme, aber auch für die Stadt- und Landkreise, die jetzt sehr wenig Zeit haben, sich auf diese Zugänge vorzubereiten.

SWR Aktuell: Befürchten Sie Konflikte unter den Geflüchteten, die aus verschiedenen Ländern kommen?

Rothfuß: Die Situation ist hier im Moment so, dass ein deutlich höherer Anteil aus der Ukraine kommt. Meistens Frauen mit ihren Kindern. Parallel dazu kommen jetzt die ersten russischen Bürger an. Vor allem Männer, die sich dem Wehrdienst dort entziehen wollen. Wir erwarten jetzt keine konkreten Konflikte in diesem Bereich. Aber wir müssen wachsam sein und müssen das beobachten. Aber auch bislang ist bei uns Standard, dass wir Frauen und Männer, die nichts miteinander zu tun haben, getrennt voneinander unterbringen. Es gelten auch Gewaltschutz-Konzepte, die wir auch weiterhin anwenden wollen. Im Moment spricht eigentlich nichts dafür, dass sich hier Konflikte auswirken können.

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SWR