Seit 65 Jahren Kampf um sauberes Wasser

Als der Bodensee einst umzukippen drohte

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Autor/in
Karin Wehrheim
SWR-Redakteurin Karin Wehrheim Autorin Bild

Schaumiges Wasser, das in den Bodensee floss, stinkender Schlamm am Ufer: Vor 65 Jahren zogen die Bodensee-Anrainerländer die Notbremse. Denn der Trinkwasserspeicher drohte umzukippen.

Die Bilder aus dem TV-Bericht "Jetzt reicht's!" von 1962 sind heute schwer zu glauben: Schäumendes Abwasser gelangt über die Bodenseezuflüsse in den Trinkwasserspeicher. Stinkender Schlamm und Algenteppiche bedecken weite Teile des Seeufers und Flachwassers vor Friedrichshafen, Hagnau, im gesamten Überlinger See und vor dem Schweizer Ufer. Der Grund: Es gab damals kaum Kläranlagen. In Friedrichshafen beispielsweise ging die Kläranlage erst 1965 in Betrieb, in Konstanz ein Jahr später.

Vor 65 Jahren: Dramatisch viel Phosphor im Trinkwasser des Bodensees

Mit den ungereinigten Abwässern aus den Bodenseegemeinden und dem Hinterland gelangte vor allem Phosphor in den See. Laut der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) stieg der Phosphorgehalt im Bodensee ab Anfang der 1960er-Jahre dramatisch an. So lag der Wert 1963 bei etwa 20 Mikrogramm pro Liter Wasser, 1975 waren es über 80 Mikrogramm, heute sind es nur noch etwa fünf Mikrogramm pro Liter Wasser.

Wenn der Trinkwasserspeicher Bodensee umgekippt wäre?

Die ungeklärten Abwässer der 1950er-, 1960er- und auch noch 1970er-Jahre drohten den Bodensee umkippen zu lassen. Das ist der Fall, wenn durch übermäßigen Algenwuchs und sich zersetzende Algen der Sauerstoffgehalt eines Gewässers dramatisch sinkt. Dann sterben auch alle Kleinstlebewesen und Fische im Wasser ab, giftiger Faulschlamm entsteht. Trinkt man Wasser aus einem umgekippten See, drohen Durchfall und Erkrankungen der Atemwege.

Vor 65 Jahren bezogen bereits drei Millionen Menschen in Baden-Württemberg ihr Trinkwasser aus dem Bodensee. Der Zweckverband Bodensee-Wasserversorgung in Sipplingen (Bodenseekreis), aber auch alle anderen Wasserwerke am See hätten wohl ihre Filteranlagen und Reinigungsstufen aufwändig aufrüsten müssen. Denn eine Alternative zum Trinkwasser aus dem Bodensee gibt es in Baden-Württemberg nicht.

Vier Milliarden Euro für Kläranlagen im Bodensee-Hinterland

Heute hat das Wasser aus dem Bodensee nahezu Trinkwasserqualität - auch vor den Filteranlagen der Entnahmestellen. Das ist vor allem den Kläranlagen im Einzugsgebiet des Trinkwasserspeichers zu verdanken. Mehr als vier Milliarden Euro wurden seit damals in solche Anlagen investiert. Heute gibt es 211 Abwasserreinigungsanlagen rund um den See, die meisten filtern Phosphor heraus.

Diese Karte zeigt, wo es heute (2024) Kläranlagen im baden-württembergischen Einzugsgebiet des Bodensees gibt. Die hellblauen Segmente stehen für Reinigungsstufen, die Phosphor herausfiltern:

Karte zeigt die Standorte von Kläranlagen am baden-württembergischen Bodenseeufer und im Hinterland
98 Prozent der Haushalte im Einzugsgebiet des Trinkwasserspeichers Bodensee sind heute an Kläranlagen angeschlossen. Etwa 27.000 Haushalte fehlen noch.

Auch Blei und Nitrate im Bodensee

Phosphor gelangte vor 65 Jahren nicht nur über das Abwasser in den Bodensee. Auch aus Industrieanlagen wurden Phosphor und andere Gifte mit dem Regen in den See gespült. Hinzu kamen krebserregendes Blei aus den Abgasen von Autos und Fähren und Treibstoffe, die beim damals noch sorglosen Betanken ins Erdreich gelangten.

Im Oktober 1963 beschreibt ein "Abendschau"-Bericht die dramatische Lage und zeigt, was Wissenschaftler über die Belastung des Bodensees herausgefunden haben:

Seit nunmehr 65 Jahren sorgt die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee dafür, dass der Trinkwasserspeicher sauber wird und bleibt. Zu diesem Zweck hatten die Anrainerländer die IGKB Ende 1959 gegründet.

Bodensee ist heute "in einwandfreiem Zustand" - wirklich?

Seit 1974 veröffentlicht die Kommission regelmäßig Berichte über den Zustand des Sees. In der ersten Ausgabe heißt es noch: "Vom Standpunkt des Gewässerschutzes muss die Zustandsentwicklung des Obersees in der Berichtsperiode als ungünstig angesehen werden." Der jüngste Bericht von 2023 hingegen attestiert: "Die Wasserqualität des Bodensees befindet sich weiterhin in einem einwandfreien Zustand."

Das Mähboot "Seekuh" mäht Seegras im Bodensee vor Bregenz, Vorarlberg.
2022 war das Wasser im Bodensee sehr lange sehr warm, dadurch wuchs das Seegras stark. Das Mähboot "Seekuh" holte beispielsweise in Bregenz das Seegras aus dem Wasser.

Dem Trinkwasser im Bodensee drohen aber auch heute Gefahren: etwa die sogenannte Jahrhundertchemikalie PFAS, die steigende Wassertemperatur durch den Klimawandel und der dadurch sinkende Sauerstoffgehalt. So hat es laut dem Institut für Seenforschung zuletzt vor sechs Jahren eine vollständige Durchmischung des Oberflächen- und Tiefenwassers im Obersee gegeben. Das passiert im Winter, wenn es kalt genug ist, und bringt Sauerstoff auf den Grund des Bodensees.

Panoramaausblick auf den Bodensee bei einer Algen-Blüte 2022 (Archivbild)
Auch die Algenblüte war 2022 durch das warme Wasser sehr ausgeprägt - vom Pfänder aus gut zu erkennen.

Berufsfischer wollen Rückkehr zu etwas mehr Phosphor im Bodensee

Nicht zufrieden mit dem phosphatarmen Wasser des Bodensees sind allerdings die Berufsfischer. Sie beklagen seit Jahren drastisch sinkenden Fangerträge und führen das unter anderem auf das mangelnde Nahrungsangebot für Felchen und andere Fische zurück. Ihrer wiederholten Forderung nach weniger Herausfiltern von Phosphor in den Kläranlagen erteilen die Behörden rund um den Bodensee eine Absage: Denn EU-weit geltende Umweltgesetze verbieten es, eine Verschlechterung der Wasserqualität anzustreben.

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