Junge Flüchtlinge, teilweise mit Mundschutz, sitzen in einem Bus

Brandbrief an Ministerpräsidenten

Minderjährige Flüchtlinge: Landesregierung stellt Städten Hilfe in Aussicht

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Marc-Julien Heinsch
SWR-Redakteur Marc-Julien Heinsch Autor Bild

Mehrere Städte in BW wenden sich mit einem Hilferuf an die Landesregierung. Sie fordern Unterstützung bei der Unterbringung von geflüchteten unbegleiteten Kindern und Jugendlichen.

Weil immer mehr unbegleitete minderjährige Asylsuchende nach Baden-Württemberg flüchten, haben sich die Großstädte Karlsruhe, Mannheim und Freiburg sowie mehrere Kreise direkt an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gewandt. "Wir brauchen dringend eine wirksame Unterstützung aus Stuttgart", teilte Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) am Mittwoch mit. Ohne diese Hilfe könne eine Notunterbringung der jungen Menschen nicht dauerhaft gewährleistet werden, warnte Horn. Nun hat die Landesregierung Hilfe in Aussicht gestellt.

BW-Minister kündigt bundesweite Umverteilung an

Die bundesweite Verteilung aber auch die Umverteilung der unbegleiteten minderjährigen Ausländer laufe jetzt an, sagte BW-Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) dem SWR. Man beschleunige auch die Altersfeststellung der unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden. Das würde bald in Freiburg und anderen Städten möglich sein.

Der Brandbrief aus mehreren Städten zeige, wie überfordert gerade Kommunen am Ober- und Hochrein seien, so Migrationsministerin Marion Gentges (CDU). Sie appellierte an den Bund, die Zugangszahlen dringend zu begrenzen.

Unterbringung der Geflüchteten in Turnhallen und Zelten

Die Zugangszahlen in Freiburg und in anderen Stadt- und Landkreisen seien seit Ende Juli und insbesondere seit Anfang August stark angestiegen, berichtete die Stadt im Breisgau. Freiburg und andere Kommunen im süddeutschen Raum seien weit über die jeweiligen Kapazitätsgrenzen hinaus belastet: "Mehrere Kommunen mussten bereits auf Schulturnhallen und teilweise auf Zelte ausweichen."

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Hilferuf an die grün-schwarze Landesregierung

Das gemeinsame Schreiben wurde von den drei Großstädten und den Landkreisen Breisgau-Hochschwarzwald, Konstanz, Lörrach und dem Ortenaukreis verfasst, wie die Stadt Freiburg mitteilte. "Nicht nur das Jugendamt der Stadt Freiburg, sondern alle unterzeichnenden Städte und Landkreise stehen insbesondere seit Ende Juli erneut unter massivem Druck und gelangen dabei an die Grenzen des Machbaren", berichtete der Freiburger Rathauschef. Das gemeinsame Schreiben sei ein Hilferuf an die grün-schwarze Landesregierung.

Der Präsident des baden-württembergischen Städtetags, der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD), sprach sich angesichts der gestiegenen Zahlen bereits vor dem Brief dafür aus, Aufsichts- und Fürsorgepflichten etwas weniger streng zu handhaben. Jugendliche, die sich unter Umständen schon jahrelang auf ihrer Flucht alleine durchgeschlagen hätten, bräuchten vielleicht nicht alle zwingend ab Ankunft hier die volle Verantwortung durch Jugendämter, sagte Mentrup der Deutschen Presse-Agentur.

Präsident des Städtetags für Verschieben der Altersgrenze

Beispielsweise könnten auch Sicherheitsfachkräfte in bestimmten Fällen die Minderjährigen beaufsichtigen. In Ansätzen sei das ja bereits möglich. Denkbar ist für Mentrup auch, dass man die Altersgrenzen etwas verschiebe und Jugendliche schon ab 16 Jahren trotz ihres jugendlichen Alters in Gemeinschaftsunterkünften unterbringen dürfe. Dadurch könnten die bisher für sie zuständigen, jedoch völlig überforderten Jugendämter entlastet werden. "Es ist ein sehr heikles Feld, das weiß ich", sagte der SPD-Politiker. "Aber wenn die Zahlen weiter so steigen, wird man auch auf Bundesebene irgendwann um diese Diskussion nicht mehr herumkommen."

Dem Sozialministerium zufolge sind die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen eine besonders verletzliche Gruppe. "Deshalb gibt es im Kinder- und Jugendhilfebereich nirgends eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften für Erwachsene", sagte ein Ministeriumssprecher. Die Unterbringung in einer solchen Unterkunft sei mit dem Kindeswohl nicht vereinbar. Nach geltender Rechtslage ist es so, dass unbegleitete minderjährige Ausländer und Ausländerinnen einem Jugendamt zugewiesen, dort in Obhut genommen und einer Fachkraft übergeben werden.

Jugendämter in BW an Belastungsgrenze

Mangels Personal seien viele Städte und Landkreise damit aber überfordert, so Mentrup. Auch sei es ihnen nicht zuzumuten, die zuletzt beschlossene bundesweite Verteilung in die Wege zu leiten. Er habe erlebt, dass verzweifelte Jugendamtsmitarbeiter mit ihren Schützlingen auf Behördenfluren übernachtet hätten, weil sich keine geeignete Unterkunft für die Betroffenen gefunden habe und man die Jugendlichen nicht im Stich lassen wollte. Auf Bundesebene müsse diskutiert werden, ob es nicht Wege gebe, Jugendämter zu entlasten, ohne den für diese jungen Geflüchteten geltenden besonderen Schutz aufzugeben.

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Immer mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kommen nach BW

Nach Angaben aus dem Sozialministerium kamen im laufenden Jahr bisher 3.252 unbegleitete minderjährige Kinder und Jugendliche nach Baden-Württemberg (Stand 13. September). Im gesamten Jahr 2022 waren es 2.938 und im Jahr davor 1.186. Der Betreuungsrahmen für diese Gruppe sei bereits herabgesetzt worden, betonte ein Ministeriumssprecher. Eine weitere Absenkung solle es nicht geben.

Allein in Freiburg kamen im August 164 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge an - das ist für die Stadt ein monatlicher Höchstwert. In den anderen Stadt- und Landkreisen sei die Lage vergleichbar, berichtete die Stadt. Besonders die Jugendämter in Gegenden mit direkten Zugangswegen - in Südbaden hauptsächlich über die Schweiz - seien sehr belastet.

So berichtete SWR Aktuell BW am Mittwoch um 17 Uhr über das Thema:

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