Ein Frühchen erhält sein Fläschchen mit Muttermilch.

Schwäbisch Hall, Ravensburg und Reutlingen

Plan gegen Schließung: Frühgeborenen-Stationen sollen gerettet werden

Stand

Drei Frühgeborenen-Stationen in Baden-Württemberg müssten ab dem kommenden Jahr schließen, wenn es nach einer bundesweiten Gesetzesänderung geht. Das soll jetzt verhindert werden.

Drei von der Schließung bedrohte Stationen zur Versorgung sehr kleiner Frühgeborener sollen nach dem Willen von Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) auch weiter behandeln dürfen. Die Kliniken in Schwäbisch Hall, Ravensburg und Reutlingen müssten dazu einen Antrag für eine vorläufige Ausnahmegenehmigung stellen.

Den Antrag wolle das baden-württembergische Gesundheitsministerium dann so schnell wie möglich bearbeiten, so Lucha. "Ich möchte, dass alle Kliniken weiter versorgen können. Dazu werden wir all unsere Handlungsspielräume ausschöpfen."

Betroffene Kliniken beantragen Ausnahmegenehmigung

Die Oberschwabenklinik in Ravensburg kündigte am Donnerstag an, eine Ausnahmegenehmigung beantragen zu wollen. Auch das Diakonie-Klinikum in Schwäbisch Hall will einer Sprecherin zufolge zeitnah einen entsprechenden Antrag stellen. Man freue sich sehr über die Zusage des Ministers. "Ohne die Ausnahmegenehmigung hätte es kein Klinikum mit Level-1-Versorgung für Frühchen zwischen Heilbronn und Nürnberg sowie zwischen Würzburg und dem Ostalbkreis mehr gegeben", teilte die Sprecherin mit.

Von den Kreiskliniken Reutlingen hieß es, man freue sich außerordentlich und habe eine Ausnahmegenehmigung beantragt. Diese wäre nach Angaben des Sozialministeriums zunächst für ein Jahr befristet, eine Verlängerung danach aber theoretisch zulässig.

Mindestens 25 statt 14 Frühgeborene pro Jahr und Station gefordert

Hintergrund ist eine Änderung der sogenannten Mindestmengenregelung, die der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärztinnen und Ärzten, Kliniken und Krankenkassen (G-BA) beschlossen hatte. Demnach müssen Kinderkliniken in ganz Deutschland ab 2024 pro Jahr mindestens 25 Frühgeborene unter 1.250 Gramm Geburtsgewicht behandeln. Nur dann bekommen sie weiter die Versorgung der kleinen Frühgeborenen von den Krankenkassen bezahlt. Bislang lag die Mindestmenge bei 14 Frühgeborenen pro Jahr, in diesem Jahr gilt eine Übergangsregelung von 20.

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Die Chefärztinnen und -ärzte der Kinderkliniken in Baden-Württemberg hatten bereits im Juni vor massiven Auswirkungen auf die Versorgungslage gewarnt. Bislang gibt es im Südwesten 21 Kinderkliniken, die der höchsten Versorgungsstufe Level 1 zugeordnet sind. In diesen Krankenhäusern, auch Perinatalzentren genannt, können auch besonders früh geborene Kinder versorgt werden.

Zudem wird an diesen Standorten eine sogenannte Baby-Notärztin oder ein Baby-Notarzt vorgehalten. Mit diesen fahren Kinderärztinnen und -ärzte aus den Zentren bei Notfällen in Geburtskliniken ohne Kinderklinik, um dort Kinder nach der Geburt zu versorgen. Damals befürchteten die Chefärztinnen und -ärzte, dass potenziell elf Stationen bedroht sein könnten, nun sind es laut Sozialministerium drei Kliniken.

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BW will Neuregelung zu Frühgeborenen-Stationen gerichtlich prüfen lassen

Das Land plant neben der Ausnahmegenehmigung für die drei betroffenen Kliniken auch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Diese bereite man derzeit vor, sagte Lucha. Dazu sei man auch mit anderen Ländern im Gespräch. "Wir wollen das Vorgehen des G-BA grundsätzlich überprüft haben, weil wir dieses Wirken für nicht statthaft halten." Grundsätzlich sei er ein großer Befürworter von Mindestmengenregelungen in der Medizin, erklärte Lucha:

Ich möchte, dass jemand, der komplizierte Operationen macht, darin geübt ist. Das ist wie im Leistungssport, das kann man nicht nur einmal im Jahr machen.

Bei der Versorgung von Frühgeborenen sei die Lage aber eine völlig andere. "Die Frühchenversorgung ist täglich dieselbe Tätigkeit, ob ich sechs Kinder auf der Station liegen habe oder eins", so Lucha.

BWKG fordert flächendeckende Versorgung

Die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft (BWKG) begrüßte die geplanten Ausnahmegenehmigungen durch das Land. Diese seien aber nur eine Zwischenlösung, sagte Hauptgeschäftsführer Matthias Einwag. "Die damit gewonnene Zeit sollte vom G-BA genutzt werden, um die Regelungen zur Versorgung der Frühchen noch einmal grundsätzlich zu überdenken", forderte er. Die Mindestmengen in Verbindung mit der harten Grenze bei 1.250 Gramm Geburtsgewicht müssten auf den Prüfstand. "Wir brauchen sinnvollere Lösungen, die eine gute Versorgungsqualität und eine flächendeckende Versorgung bei gegebenem Fachkräftemangel sicherstellen."

Ähnlich äußerte sich auch der Gesundheitsexperte der FDP-Fraktion, Jochen Haußmann. Der G-BA müsse die Lage neu bewerten, um "die Zerschlagung der funktionierenden Strukturen in den Landkreisen, die für diese Kinder rund um die Uhr da sind und die auch die Notarztversorgung weitab der Universitäten wahrnehmen" zu verhindern.

SPD im Landtag kritisiert Lucha

Florian Wahl, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, verteidigte die neue Mindestmengenregel. Diese seien "im Sinne der Überlebenschancen für diese Kinder richtig", sagte Wahl. Die Neuerungen seien nicht vom Himmel gefallen, Gesundheitsminister Lucha hätte aus Sicht von Wahl deutlich früher darauf reagieren und die Krankenhausplanung entsprechend ausrichten müssen. "Jetzt versucht er mit wackligen Konstrukten die Situation zu retten. Ob das gelingt, ist mehr als fraglich."

Eine Sprecherin von Lucha wies die Vorwürfe zurück. Lucha kämpfe gegen die neuen Mindestmengen an, seit diese bekannt seien. "Es gibt unzählige Schreiben und Beschlüsse, die dies belegen", sagte die Sprecherin.

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