Mit dem Geburtshaus "Amma" in Aichtal-Grötzingen (Kreis Esslingen) wurde vor kurzem die zwölfte Einrichtung dieser Art in Baden-Württemberg eröffnet. Die Website der Einrichtung vermittelt ein alternatives, individualistisches Image. Werdende Mütter können demnach sowohl klassische Hebammenleistungen als auch alternativmedizinische Angebote wie Akupunktur oder verschiedene Rituale rund um die Geburt buchen. Eingebettet sind die Angebote in eine Wohlfühlatmosphäre mit teils anthroposophischen Akzenten. Könnte so die Zukunft der Geburtshilfe in Baden-Württemberg aussehen?
Gründerinnen kämpfen mit hohen Kosten Entbinden ohne Kreißsaal: Geburtshaus "Amma" in Aichtal eröffnet
Zwei Hebammen haben in Aichtal im Kreis Esslingen das Geburtshaus "Amma" aufgebaut. Nun ist es eröffnet. Es schließt eine weitere Lücke im Angebot für Gebärende.
Mehrheit der Kinder kommt im Krankenhaus zur Welt
Noch immer kommt die überwiegende Mehrheit der Kinder in Baden-Württemberg wie auch im Rest von Deutschland im Krankenhaus zur Welt. Laut der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) wurden 2022 in Deutschland 742.066 Kinder geboren. Nur knapp eines von fünfzig Kindern (1,94 Prozent) kam außerhalb eines Krankenhauses zur Welt. Auch die Zahlen für Baden-Württemberg sprechen eine klare Sprache: Gerade mal 2.349, also 1,96 Prozent der Kinder im Land, wurden 2022 zu Hause oder im Geburtshaus geboren.
Trotzdem verschwinden im Zuge von Konzentrationsprozessen in der Krankenhauslandschaft Baden-Württemberg immer mehr Geburtshilfestationen und sogar ganze Kliniken. Laut der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) wurden seit 2010 mindestens 15 Geburtsstationen im Land geschlossen, beziehungsweise verlagert. Können Geburtshäuser die verloren gegangenen Standorte ersetzen?
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In Baden-Württemberg soll es künftig weniger kleine Krankenhäuser geben. Große Kliniken sollen das Flächenland abdecken. Die Krankenhausgesellschaft kritisiert das scharf.
Berufsverbandsvorsitzende sieht keinen vollständigen Ersatz
Die Vorsitzende des baden-württembergischen Hebammenverbands, Jutta Eichenauer, sieht in Geburtshäusern zwar "eine Chance" für die Geburtshilfe in Baden-Württemberg. Als vollständiger Ersatz für geschlossene Geburtsstationen in Kliniken seien diese aber nicht einzustufen, betont sie.
"Alle Beteiligten brauchen die Sicherheit, dass die Geburt im Notfall in eine Klinik verlegt werden kann", stellt sie klar. Eine solche Entscheidung sei nicht etwa ein Zeichen, dass eine Hebamme die Sache im außerklinischen Bereich "verbockt" habe, sondern dafür, dass sie die Verantwortung für die Situation wahrnehme.
Eins-zu-eins-Betreuung kostet extra
Finanziert werden die Geburtshäuser über Pauschalen von den Krankenkassen. Allerdings übernehmen die Kassen nur Standard-Hebammenleistungen - Extras wie eine Rufbereitschaft werden teils bezuschusst - oder müssen komplett privat bezahlt werden. Viele Schwangere geben das Geld für die Eins-zu-eins-Betreuung jedoch offenbar gern aus - auch das Geburtshaus "Amma" im Kreis Esslingen war bereits Monate vor der geplanten Eröffnung ausgebucht.
Floriert mit den Geburtshäusern also eine Doppelstruktur? "Das würde ich so nicht sagen", meint die Hebammen-Verbandsvorsitzende. Für die meisten Geburten brauche es beispielsweise gar keine Kinderklinik, so Eichenauer. Für die Krankenkassen sei es wichtig, dass alle Frauen sich aussuchen könnten, wo und wie die Geburt stattfinden solle. Hebammen hätten als Lotsen die Verantwortung, sicherzustellen, dass Schwangere die adäquate Betreuung und Behandlung bekämen.
Hebammen-Vorsitzende: "Was zumutbar ist, können nur Frauen entscheiden"
In der Realität sei es jedoch in Baden-Württemberg mittlerweile so, dass immer wieder Frauen an der Kreißsaaltür abgewiesen und teils erst in der dritten Klinik hereingelassen würden - das Thema "Wunschklinik" sei passé. "Die Frage, was man Frauen in dieser Hinsicht zumuten kann, können nur Frauen beantworten, die schon mal Wehen hatten - und keine Männer, die noch nie ein Kind geboren haben", sagt die Vorsitzende. Sie wünsche sich eine flächendeckende Geburtshilfeversorgung in Baden-Württemberg. "Und 'flächendeckend' kann meiner Meinung nach nicht bedeuten, dass die Kliniken 100 Kilometer weit auseinander liegen", so Eichenauer.
Die Gründe für die Schließungen von Kreißsälen liegen ihr zufolge in den meisten Fällen im wirtschaftlichen Bereich. "Geburtshilfe ist für die Kliniken ein Minusgeschäft", erklärt sie. Die Krankenkassen bezahlten Pauschalen pro Geburt, nicht für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden.
Fachkräftemangel aufgrund geringer Arbeitszufriedenheit
Ein anderes zentrales Problem der Geburtshilfe ist der Fachkräftemangel. Zwar ist das Interesse an der Hebammenausbildung laut dem baden-württembergischen Sozialministerium auch nach der Akademisierung des Berufs ungebrochen hoch. Und das Land habe "seine Hausaufgaben gemacht" und die Ausbildungskapazitäten in Form von Studienplätzen zügig erhöht. Doch noch immer schieden zu viele Hebammen nach nur wenigen Jahren aus dem Beruf aus - oder reduzierten auf Teilzeit. Dies habe sowohl mit den teils schwierigen Arbeitsbedingungen in der stationären Versorgung zu tun als auch mit der mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf in einem typischen Frauenberuf, so das Ministerium.
"Frauen mit kleinen Kindern können keinen Schichtdienst leisten", sagt auch die Verbandsvorsitzende der Hebammen. Die ungerechte Verteilung von Sorgearbeit zulasten von Frauen sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, das sich ihrem Eindruck nach während der Corona-Pandemie wieder verstärkt habe. Die Alternative, unter diesen Umständen mehr Männer für den Beruf zu gewinnen, sei aus den gleichen Gründen schwierig, aus welchen Frauen den Beruf verließen, meint Eichenauer. Nicht ohne Grund habe sich in der Gesellschaft der Eindruck verfestigt, dass von Hebammen - wie auch in anderen medizinischen Berufen - viel zu viel für viel zu wenig Geld geleistet werden müsse. So müssten Hebammen in Spitzenzeiten bis zu fünf Geburten gleichzeitig betreuen - eine solche Überbelastung sei unverantwortlich und die Betroffenen hielten sie auf Dauer auch nicht aus.
Viele Hebammen sehen Geburtshäuser als Ausweg
In dieser Hinsicht stellten die Geburtshäuser für Hebammen einen Ausweg aus dem System dar. Viele Hebammen sehnten sich danach, ihre Arbeit in Eins-zu-eins-Betreuung mit der notwendigen Sorgfalt machen zu können. "Man kann von der außerklinischen Hebammenarbeit gut leben", sagt Eichenauer, allerdings erledigten die selbstständigen Hebammen dann immer noch eine Managertätigkeit von 60 bis 80 Stunden in der Woche für den Bruchteil eines Managergehaltes.