Die beiden Hebammen Janna Hufnagel (links) und Nathalie Rose bei der Untersuchung einer Schwangeren in ihrem neuen Geburtshaus "Amma" in Aichtal im Kreis Esslingen. (Foto: SWR)

Gründerinnen kämpfen mit hohen Investitionskosten

Entbinden ohne Kreißsaal: Geburtshaus in Aichtal eröffnet

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Barbara Siebert
Fabian Ziehe
Fabian Ziehe (Foto: SWR, SWR / Foto: Patricia Neligan)

Geborgenheit statt Krankenhaus-Flair: Zwei Hebammen haben in Aichtal das Geburtshaus "Amma" aufgebaut. Nun ist es eröffnet. Es schließt eine weitere Lücke im Angebot für Gebärende weit über den Kreis Esslingen hinaus.

Bereits im März waren die Terminbücher für die Hebammenpraxis "Amma" gut gefüllt. Das half den zwei Gründerinnen der Gemeinschaftspraxis allerdings kaum: Das Geburtshaus in Aichtal-Grötzingen (Kreis Esslingen) der Hebammen Janna Hufnagel und Nathalie Rose wurde und wurde nicht fertig. Zu aller Verzögerung kam hinzu, dass die Bauleitung insolvent gegangen war. Nun aber, Anfang September, ist das Geburtshaus fertig - bis auf einen einzigen Raum. "Hier fehlt noch das Waschbecken", sagt Janna Hufnagel.

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Nachfrage für Geburtshaus über die Region Stuttgart hinaus

Es geht zwar zu Fuß noch über einen behelfsmäßigen Eingang in die Praxis, trotzdem dürfte vielen Schwangeren der Hebammenpraxis ein Stein vom Herzen gefallen sein. Nun haben sie Gewissheit, dass sie in Aichtal gebären können. Aus Stuttgart, der Region Neckar-Alb und sogar aus Pforzheim kommen die Frauen. Das zeigt die hohe Nachfrage nach Geburtshäusern. Allerdings gibt es laut dem Hebammen-Verband Baden-Württemberg aktuell nur zwölf solcher Häuser - "Amma" ist eines davon. Weitere sind in Planung.

Blich in ein Zimmer: Hebamme Janna Hufnagel (Mitte) stellt das neue Geburtshaus "Amma" vor: Für die Klientin kam die Fertigstellung zu spät. Aber ein zweites Kind würde sie gerne dort zur Welt bringen. (Foto: SWR)
Hebamme Janna Hufnagel (Mitte) stellt das neue Geburtshaus "Amma" vor: Für die Klientin kam die Fertigstellung zu spät. Aber ein zweites Kind würde sie gerne dort zur Welt bringen.

Wenig Geburtshäuser trotz schwindender Kreißsäle

Deutschlandweit werden jährlich 800.000 Babys geboren, davon allerdings nur rund 17.000 bei Hausgeburten oder im Geburtshaus. Dabei wurden vielerorts bereits Kreißsäle geschlossen. Weitere sind im Bestand bedroht - aktuell etwa in Leonberg und Herrenberg im Kreis Böblingen. Zudem ist das Personal knapp, wie sich aktuell in Kreißsälen im Kreis Konstanz zeigt.

Eine Kerze, eine Schale und die Statuette einer Schwangeren schmückt einen kleinen Tisch im Geburtshaus "Amma" in Aichtal im Kreis Esslingen. (Foto: SWR)
Eine Kerze, eine Schale und die Statuette einer Schwangeren schmücken einen kleinen Tisch im Geburtshaus.

Vier von fünf Frauen könnten im Geburtshaus oder zu Hause entbinden

Geburtshäuser wie nun "Amma" in Aichtal könnten Engpässe bei der flächendeckenden Versorgung durch Kreißsäle kompensieren. Davon ist der Hebammenverband überzeugt. "Risikoschwangerschaften gehören zur Entbindung natürlich in die Klinik", sagt die Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg Jutta Eichenauer. Doch laut Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO könnten etwa 85 Prozent aller Geburten "physiologisch", also auf natürlichem Weg ablaufen. "Das bedeutet also durchaus als Hausgeburt oder im Geburtshaus", sagt Eichenauer.

Die SWR-Reportagereihe "7 Tage" gibt Einblicke in die Arbeit und den Alltag einer Hebamme außerhalb des Kreißsaals.

Heimelige Atmosphäre für werdende Mütter und Väter

Wie andere Geburtshäuser ist auch "Amma" speziell für ruhige, störungsfreie Geburten eingerichtet: Parkettboden, Bilder an der Wand, Holzmobiliar und Wände gestrichen in beruhigenden Farben. Keine sterile Krankenhaus-Atmosphäre also. Die notwendige Technik für die Geburtshilfe, so erklärt Hebamme Janna Hufnagel beim Rundgang, sei "eingebettet zwischen dem anthroposophischen Regenbogen und dem goldenen Bild an der Wand".

Die Hebammen Nathalie Rose (links) und Janna Hufnagel sitzen an einem Holztisch in ihrem Geburtshaus "Amma" in Aichtal: Der Bau hat den beiden viel Kraft und noch mehr Nerven abverlangt. (Foto: SWR)
Den Hebammen Nathalie Rose (links) und Janna Hufnagel hat der Bau des Geburtshauses "Amma" viel Kraft und noch mehr Nerven abverlangt.

Hohe Belastungen für Hebammen durch Geburtshaus-Bau

Allerdings ist für Hebammen wie Janna Hufnagel und Nathalie Rose ein solches Geburtshaus ein Wagnis. Bereits zuvor sind sie den Weg in die Selbständigkeit gegangen - trotz der Belastungen durch Versicherungskosten und ständiger Rufbereitschaft. Nun müssen sie auch noch die rund 80.000 Euro für ihre Geburtshaus-Räumlichkeiten vorstrecken. Denn von Kommune, Kreis oder Land gibt es keine Zuschüsse. Und die Kosten für das halbe Jahr Bauverzögerung gehen zudem in die Tausenden.

So war der Stand beim Geburtshaus "Amma" noch beim Besuch des SWR im Frühjahr.

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Drei weitere Hebammen werden anfangen

"Wenn wir eine Gesellschaft hätten, der bewusst ist, wie wichtig Geburt ist, wäre uns auch bewusst, dass Hebammen besser finanziert werden müssen", sagt Janna Hufnagel. Entmutigen lassen sich die beiden Geburtshaus-Gründerinnen aber nicht: Drei weitere Hebammen sollen nun bei ihnen zu arbeiten anfangen.

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