Marcel Beyer: Dämonenräumdienst (Foto: Suhrkamp Verlag)

Buch der Woche

Marcel Beyer - Dämonenräumdienst

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AUTOR/IN
Carsten Otte

Der neue Gedichtband von Marcel Beyer heißt „Dämonenräumdienst“, und tatsächlich beschäftigt er sich in diesem Buch mit merkwürdigen Untoten aus der Popkultur, aber auch mit traurigen Helden und schlimmen Ungeheuern der Kindheit.

Es scheint, als würden all diese Dämonen die Grenzen von Tod und Leben verwischen wollen. Daher ist auch ein poetischer Dämonenräumdienst nötig.

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Im Jahr 2016 erhielt Beyer den Georg-Büchner-Preis

Vor vier Jahren erhielt Marcel Beyer den Georg-Büchner-Preis. Und in der Begründung hieß es über den 1965 geborenen Schriftsteller:

Seine Texte sind kühn und zart, erkenntnisreich und unbestechlich. So ist während dreier Jahrzehnte ein unverwechselbares Werk entstanden, das die Welt zugleich wundersam bekannt und irisierend neu erscheinen lässt.

Das Leben in vielen verschiedenen Städten prägte das Werk des Autoren

Geboren wurde Beyer 1965 in Tailfingen, aufgewachsen ist er in Kiel und Neuss. Er studierte in Siegen, lebte in London, in Berlin und seit 1996 im Dresdener Stadtteil Strehlen.

Die vielen Umzüge prägen auch sein Werk, das von den Arbeiten Friederike Mayröckers und den Autoren des französischen Nouveau Roman geprägt ist.

Ungeheuer der Kindheit und Dämonen der Popkultur

Collage, Zitat, Vielstimmigkeit sind wesentliche Merkmale seiner Arbeiten, die immer auch ein Echoraum deutscher Geschichte sind.

Im neuen Gedichtband mit dem Titel „Dämonenräumdienst“ beschäftigt sich Beyer nicht nur mit merkwürdigen Untoten aus der Popkultur, sondern auch mit verletzlichen Figuren und schlimmen Ungeheuern der Kindheit.

Ein leichter Ton trotz ernster Thematik

So leicht der Ton, so unheimlich die Dämonen schon in den ersten Gedichten.  Kinderstimmen sind zu hören, Bambi tritt auf, und der Dichter fühlt sich „als Reh im Innendienst“.

Das lyrische Ich erkundet die eigene Vergangenheit und damit auch die Welt des Vaters, über den es heißt:

In meines Vaters Haus sind viele
Wohnungen. Ich möchte keine
einzige von innen sehn. Parterre
Steht man knöcheltief in Marzipan.

Beyer sagt mit wenigen Worten sehr viel

Es ist eine zähe und klebrige Masse der Erinnerung, durch die hier gewatet wird. Vom Knabenchor geht es zum Dentallabor, und daheim, im „ersten Stock / greift einem etwas in den Schritt.“

Marcel Beyer macht nicht den Fehler, die Zumutungen, Ungeheuerlichkeiten und Übergriffe in der Kindheit auszubuchstabieren. Mit wenigen Zeilen ist alles gesagt.

Geister sind das, hier in deiner
Bude, deren letzte Winkel
die Tchibo-Taschenlampe nicht
erfaßt.

Beengte Lebens- und Seelenräume werden aufgezeigt

Es gehörte immer zu den Stärken Marcel Beyers, mit Verweisen auf Popkultur und Konsumgüterwelt beengte Lebens- und Seelenräume abzustecken.

Das dunkle Kinderzimmer wird als „Blutbude“ bezeichnet, etwas Freiheit und begrenztes Glück gibt es nur außerhalb. Das Gefühl aber, dass an jeder Ecke seltsame Figuren lauern, wird diese Dichterstimme, die an vielen Orten unterwegs ist, ein Leben lang nicht mehr los.

Der merkwürdige und schon zu Lebzeiten untote Modeschöpfer Moshammer trägt sein Hündchen Daisy durch München, in „Köln, einer Stadt der Knochen / und Kutten, mit Kopfsteinpflaster / zum Schädelknacken“ riecht und mieft es auf mal betörende und dann wieder ekelhafte Weise.

Jedes Gedicht umfasst vierzig Zeilen

Bei Marcel Beyer scheint das ganze Leben, wo auch immer es stattfindet, dem Tod nah zu sein.

Die Tage gibt es, an denen man
als Zombie durch die Szene
wanken muß, über den Wertstoffhof
am Rand der Stadt, bei zwei
Grad Außentemperatur, mit Dunst
im Blick und kaltem Staub.

Genau vierzig Zeilen ist jedes Gedicht lang, in übersichtlichen Vierer-Päckchen zusammengeschnürt. Der strenge Rahmen der fünf Zyklen im „Dämonenräumdienst“ erinnert auf formaler Ebene an das Haus des Vaters, dem es zu entkommen gilt.

Autobiografische Bezüge bleiben ungeklärt

Das Schreiben, das „unterkühlt und lichterloh“ zugleich sein möchte, wird zur Fluchtbewegung, die doch immer wieder von der Kindheit eingeholt wird.

Er schreibe diese Gedichte „wie ein Kind, das heimlich / tut und einfach froh ist, wenn / niemand mit ihm schimpft“ sagt die Autorenstimme, wobei diese Eigenanalyse natürlich auch eine gewisse Selbsttäuschung enthält, denn der Blick des Dichters ist auch in diesem Stück alles andere als kindlich. 

Es wäre interessant, mit dem Autor einmal darüber zu sprechen, inwieweit das lyrisches Ich hier tatsächlich autobiographisch angelegt ist. Der Text aber hinterlässt vielmehr einen fast schon altmeisterlichen Eindruck.

Teilweise wirkt der Schreibstil überambitioniert

Manchmal ist es mühsam, dem Schriftsteller auf allen Poesie-Pirouetten in die Düsternis zu folgen. Einige Wortneuschöpfungen, manche Metaphern wirken auf routinierte Weise überambitioniert.

Was Beyers sprachliche Such- und Fluchtbewegungen hingegen auszeichnet, ist eine ständige Reflexion über die lyrische Perspektive, die eben nicht naiv ist, in den besten Momenten aber eine Lust am Sprachspiel zeigt.

Marcel Beyer sucht sprachliche und seelische Abgründe

Die Dämonen haben diesem Dichter den Schalk jedenfalls nicht austreiben können.

Irgendwer sollte endlich einmal
HAAR auf GEFAHR reimen,
oder GEFAHR auf ein keimiges
Rattansofa, und sei es
auch nur um den Klang
in den Abgrund gleiten zu lassen.

Marcel Beyer sucht die Abgründe, die seelischen und sprachlichen. Er geht dabei ein hohes Risiko ein, wenn er beispielsweise mit „Ginster“ Paul Celans Todesfuge reformuliert.

Der politische Fingerzeig bleibt nicht aus

Der Tod ist hier kein „Meister aus Deutschland“, sondern ein „Arschloch aus Strehlen“, der „mit seiner schwarzen Zunge / die Blüten des Ginsters berührt.“ Die Pflanze ist bekanntlich hochgiftig.

Wenn Beyer sie nun in den Vorgärten des Dresdner Vorortes Strehlen üppig wachsen lässt und die Bildwelt der Todesfuge paraphrasiert, dann ist das auch als politischer Fingerzeig zu lesen, hat der Autor in zahlreichen Interviews doch oft auf den wachsenden Alltagsrassismus in seiner Wahlheimat hingewiesen.

Der Autor ist ein Geisterjäger der deutschsprachigen Lyrik

Im Titelgedicht, das in der Mitte des Bandes platziert ist, lässt der Dichter endlich den „Dämonenräumdienst“ kommen, der auch nötig ist, um die vielen Untoten zu stellen, die in diesen Versen herumspuken.

In gewisser Weise ist Marcel Beyer so etwas wie ein Geisterjäger der deutschsprachigen Lyrik, der weiß, dass die Ghostbusters der Poesie letzten Endes nicht erfolgreich sein können.

Denn kaum ist ein Zombie erkannt, vielleicht sogar niedergestreckt, irren sensible Helden schon wieder „in einem anderen Wald“.

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Carsten Otte