Musikmarkt: Buch-Tipp

Joonas Sildres Graphic Novel: Zwischen Zwei Tönen. Aus dem Leben des Arvo Pärt

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AUTOR/IN
Dorothea Hußlein

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Der in Tallinn lebende Comickünstler Joonas Sildre hat an der dortigen Kunsthochschule unterrichtet und Comicfestivals organisiert. Als freischaffender Künstler illustrierte er bereits viele Kinderbücher. Mit „Zwischen den Tönen. Aus dem Leben des Arvo Pärt“ schuf er seine erste Graphic Novel in estnischer Sprache, die im Oktober 2018 anlässlich der Eröffnung des Arvo-Pärt-Zentrums in Laulasmaa in Estland veröffentlicht wurde. Die mehrfach ausgezeichnete Graphic Novel wurde jetzt von Maximilian Murmann ins Deutsche übersetzt.

Der Weg vom rastlosen Künstler zum Komponisten

Auf den ersten Blick mag es manchem Musikfreund seltsam erscheinen, dass Joonas Sildre das Leben des 1935 geborenen weltberühmten Komponisten Arvo Pärt in Form eines Comics erzählt. Aber schlägt man das in Schwarz, Weiß und Grau gestaltete Buch auf, wird man sofort in seinen Bann gezogen.

Es gelingt Sildre mit seinen Zeichnungen, Pärts Weg vom bescheidenen, rastlosen Künstler zum Komponisten, der sich mit der Findung einer eigenständigen Musiksprache gegen alle Widerstände durchsetzt, in einfühlsamen aber nicht kitschigen Bildern deutlich zu machen.

Impressionen aus der Graphic Novel von Joonas Sildre

Jonas Sildre: Arvo Pärt - Grafik Novel (Foto: Pressestelle, Verlag Voland & Quist GmbH)
In einer alltäglichen Situation mit der Familie hat Arvo Pärt einen Einfall und setzt sich sofort ans Klavier. Bild in Detailansicht öffnen
Jonas Sildre: Arvo Pärt - Grafik Novel (Foto: Pressestelle, Verlag Voland & Quist GmbH)
„Um zu fliegen, brauche ich zwei Flügel!" Bild in Detailansicht öffnen
Jonas Sildre: Arvo Pärt - Grafik Novel (Foto: Pressestelle, Verlag Voland & Quist GmbH)
Arvo Pärt versinkt in seine eigene musikalische Welt. Bild in Detailansicht öffnen

Pärt komponiert schon als Teenager

Im „Prolog“ geht es um das musikalische Talent von Arvo Pärt, der schon als Kleinkind die ihm quasi an der Wiege von seiner Mutter vorgesungenen Lieder nachsingen konnte. Pärt fängt schon als Teenager an, aus den vorgegebenen Stücken eigene Kompositionen zu entwickeln. Die folgenden Kapitel sind nach den großen Kompositionen und der musikalischen Entwicklung Pärts: Credo, Silentium und Tabula Rasa benannt.

Ein Talent, das sich auch gegen ideologische Grenzen durchsetzt

In „Credo“ beginnt Joonas Sildre mit Pärts Aufnahme in das Konservatorium Tallinn. Seine Lehrer Heino Eller und Heimar Ilves leiden unter der Unfreiheit einer Kunst, die das Volk zum Aufbau des Sozialismus anspornen soll. Für Ilves ist Kunst auf Gott ausgerichtet und dies beeinflusst Pärt tief. Sein Stück „Nekrolog“, das erste estnische Werk in der verpönten Zwölftontechnik, wird als bürgerlich missbilligt. Aber der Erfolg mit „Perpetuum Mobile“ 1963 beweist, dass sich Pärts Talent auch gegen ideologische Grenzen durchsetzt.

Die Spannung zwischen Stille und überwältigender Tonalität ist bei den Bildern von der Uraufführung nach dem Motto‚ ein Bild sagt mehr als tausend Worte‘ sehr eindrucksvoll gezeichnet. Erst fliegen einzelne Töne wie kleine Kugeln durch den Konzertsaal, die bald immer zahlreicher und gigantischer werden. Das Publikum klammert sich sprachlos an die Sitze und seine Gesichter sind, während die Musik laut wird, ohne Mund gezeichnet.

Sildres zeichnerische Vielfalt entspricht der Kollagetechnik von Arvo Pärt

Joonas Sildre ist es in seiner Graphic Novel sehr gut gelungen, äußeres und inneres Erleben anschaulich zu machen und die Vielfalt der Einflüsse auf Pärt, die sich überschneiden, zu illustrieren. Wir sehen Pärt als Hochzeiter und im Spiel mit den Kindern des Rundfunkchores, aber auch als Patienten, der schreckliche Schmerzen wegen seiner Nierensteine erleidet.

Diese zeichnerische Vielfalt von Sildre entspricht gut der Kollagetechnik von Arvo Pärt, der in seiner Komposition „Credo“, Klangmaterial aus den Werken vor allem von Johann Sebastian Bach verarbeitet.

Bei den gezeichneten Klangbildern der Uraufführung entfesselt der Chor ein Blitze schleuderndes göttliches Unwetter, das „anbrüllt gegen die Obrigkeit, die Macht“. Kein Wunder, dass dieses Werk vom Moskauer Zentralkomitee verboten wird.

Zwischen zwei Tönen liegt womöglich eine kosmische Distanz

Im Kapitel Silentium zeigt Sildre den mühsamen Weg Pärts, bis er nach einer großen schöpferischen Pause zu seiner ganz eigenen, aus vollkommener Stille heraus entstandenen Musik findet. Die ausgewählten einzelnen Episoden sind mit Jahreszahlen versehen, um den langen Weg von der Entdeckung der gregorianischen Musik über philosophische und religiöse Reflexionen bis zur Entwicklung seiner Tintinnabuli-Musik zu verdeutlichen. Dazu gehört die titelgebende These „Und zwischen zwei Tönen liegt womöglich eine kosmische Distanz“ sowie die Frage an einen Straßenkehrer. Diese Geschichte hat Arvo Pärt selbst erzählt:

„Ich hab in meinem Leben eine große Krise gehabt, eine Sehnsucht gehabt und habe keine Antwort bekommen, von niemandem. Und eines Tages stand ich vor unserem Haus, eine Bushaltestelle und ein Straßenfeger war dort. Ich ging zu ihm und fragte: Wie soll ein Komponist Musik schreiben. Er hat dann auf mich geschaut: Ja, vielleicht muss man jeden einzelnen Ton lieben.“

Arvo Pärt tritt Anfang der 1970er Jahre der orthodoxen Kirche bei und beschließt, Ordnung in sich zu schaffen durch Reinigung der Seele im Gebet. Denn Komponieren und Gottesdienst, Musik und Gebet sind für ihn eins.

Das letzte Kapitel „Tabula Rasa“ beginnt mit Pärts Suche nach dem Kern der Religion in der Verbindung von Wort und Ton. Ein Bekenntnis, das Pärt so formuliert:

Alle Musik ist geistlich, nur der Geist ist verschieden, unterschiedlich. Das ist nicht nur mit Musik so, das ist auch mit allem, was es in der Welt gibt so (lacht). Eines Tages, wenn wir vor Gottes Gericht stehen, wissen wir nichts. Unser ganzes Wissen kostet nichts, es kostet nur, wie wir gelebt haben. Kürzer gesagt: haben wir gelebt?“

Ein Buch, das auch Einsteiger neugierig macht

Pärt weiß jetzt, was er als Komponist tun muß, und so werden auch wieder äußere Ereignisse wichtig. Sildre bebildert in seinem 224 Seiten umfassenden Buch „Zwischen zwei Tönen“, das im Volkand & Quist Verlag erschienen ist, auch die Entstehung von „Tabula Rasa“ und die Uraufführung mit Gidon Kremer.

Dieses außergewöhnliche Buch passt mit seinem Wechselspiel von Ruhe und Dynamik gut zu Pärts Musik. Es bringt Kennern den Komponisten Arvo Pärt als Mensch nahe und macht Einsteiger neugierig.

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