Buchkritik

Hartmut von Sass – Atheistisch glauben

Stand
AUTOR/IN
Wolfgang Schneider

Atheismus und Glauben – das scheint ein Widerspruch. Der Berliner Theologe und Religionsphilosoph Hartmut von Sass will den Atheismus nun nicht widerlegen, sondern seine Schubkraft nutzen für eine nach-theistische Theologie auf der Höhe aufgeklärter Zeitgenossenschaft.

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Hartmut von Sass beginnt seinen Essay mit einem Gleichnis. Drei Menschen stehen vor einem Gemälde. Der Auktionator betrachtet es unter dem ökonomischen Aspekt, der Kenner erfreut sich an den künstlerischen Reizen, die Chemikerin analysiert die verwendeten Materialien. Es sind drei ganz unterschiedliche Betrachtungsweisen, die nicht miteinander in Konflikt geraten, weil jede Sicht auf das Werk ihre eigene Berechtigung hat. Ähnlich sieht Hartmut von Sass den religiösen Glauben nicht als Konkurrenz zum heute dominierenden naturwissenschaftlichen Weltbild, sondern als andere „Hinsicht“ auf die Welt.

„Zwar kann der Glaube von alternativen Weltbeschreibungen lernen, doch einen Widerspruch zwischen diesen Angeboten kann es nicht geben. Der gesamte Diskurs zu einer vermeintlichen Konkurrenz zwischen Glauben und Wissenschaft löst sich damit in Nichts auf.“

Deshalb könne jemand zugleich überzeugter Christ und moderner Biologe sein. Der Glaube bezieht sich demnach nicht auf eine Wirklichkeit neben, über oder nach dem Leben. Vielmehr sei er eine andere Art, das Leben selbst zu verstehen.

Hartmut von Sass schafft es, ohne Gefrömmel und Kirchentagsrhetorik über theologische Fragen zu schreiben. Er setzt auf differenzierende, an Sprachphilosophie und Logik geschulte Begriffsarbeit. Wenn es den Theismus – also den Glauben an einen personalen Schöpfergott – aufzugeben gilt und die biblischen Narrative nicht mehr als faktische Realitäten begriffen werden, worin besteht dann aber ihre Gültigkeit? Von Sass versteht die Religion – im Sinn Ludwig Wittgensteins – als Angebot von Sprachspielen wie „Schöpfung“, „Erlösung“ oder „Ewiges Leben“, die die Kraft haben, das Leben „umzucodieren“.

Die Bibel wird auf diese Weise zur Bildsprache, bei der nichts mehr so wörtlich zu nehmen ist, wie es das Christentum fast zwei Jahrtausende getan hat. Die Gefahr dabei ist, dass alles Konkrete aufgeweicht wird in ein metaphorisches Ungefähr. Zudem muss die Religion ihre Zuständigkeit für Warum-Fragen wie die nach Ursprung des Bösen oder dem Sinn des Leids in der Welt aufgeben. Jede Frage nach Ursachen brächte sie in Konkurrenz zum Kausalitätsprinzip der Naturwissenschaften. Das Theodizee-Problem, seit je ein zentrales Argument der Atheisten, erscheint von Sass unlösbar. Wenn ein vollkommener Gott existieren würde, warum verhindert er dann nicht das entsetzliche Leiden so vieler Menschen und Lebewesen in der von ihm geschaffenen Welt? Entweder er ist nicht gut oder nicht allmächtig.

Jedoch könne die Religion einen „einzigartigen Sprach- und Bildhaushalt mitgeben“, der dem Leid Ausdruck verleiht und den Menschen nach dem Scheitern aller Antworten begleitet. Das Sprachspiel „Erlösung“ basiert ja auf dem dunklen Befund, dass mit dieser Welt etwas ganz grundsätzlich nicht stimmt. In diesem Zusammenhang rehabilitiert Hartmut von Sass erstaunlicherweise das Konzept der Erbsünde. Er braucht dafür nur eine Prise Logik: Ein Nicht-Gläubiger könne gar nicht sündig werden, weil Sünde ein „Implikat des Glaubens“ sei. Nicht das Maß individueller Schuld, sondern die „Hinsicht“ auf die Welt sei entscheidend:

„Wer die Schöpfung als Mensch mit glaubenden Augen betrachtet, versteht sich notwendig auch als Sünder. Genau diese Apriori-Sündigkeit drückt die Lehre von der Erbsünde aus.“ 

Gott habe keine eigene personale Wesenheit; er manifestiere sich allein im gläubigen Verhalten der Menschen. Das hat etwas Zirkuläres. Von Sass verweist darauf, dass Sprechakte Wirklichkeit konstituieren können, so wie aus Romanen „geglaubte“ Welten entstehen und Spiele wie der Fußball ihre erfundenen Regeln wie die „Abseitsfalle“ zu weltwichtigen Realitäten machen. So erzeuge sich auch die Wahrheit des Glaubens selbst, indem Menschen Heilige Schriften lesen, geistliche Musik hören, beten. Solche Selbstschöpfung ist allerdings weit entfernt vom früheren Geltungsanspruch der Religion, die mehr als ein Sprachspiel oder ein spiritueller Sport sein wollte. Bugsiert von Sass das Christentum hier selbst in die Abseitsfalle? Es stellt sich zudem die Frage, wie ein nicht mehr personal verstandener Gott noch Gegenüber im Gebet sein kann. Allerdings findet Hartmut von Sass auch für dieses Problem eine raffiniert argumentierte Lösung.

Die Glaubensbereitschaft der Menschen ist heute kaum geringer als in früheren Epochen. Die krudesten Verschwörungstheorien und die abgedrehtesten Sekten finden reichlich Zulauf. Da mutet die intellektuelle Hobelarbeit dieses Theologen beinahe rührend an mit ihrem Ethos, den Glauben auf der Höhe aufgeklärter Zeitgenossenschaft zu begründen. Hartmut von Sass richtet sich hier in erster Linie nicht an Fachkollegen, sondern an das interessierte Publikum. Bei aller Klarheit seines Stils ist es aber keine ganz einfache Lektüre. Und manches wirkt eher verblüffend als wirklich überzeugend. Ein intellektuelles Vergnügen ist dieser Essay aber allemal.

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Wolfgang Schneider