Buchkritik

Bodo Kirchhoff – Seit er sein Leben mit einem Tier teilt

Stand
AUTOR/IN
Christoph Schröder

Ein alternder Schauspieler, der um seine Frau trauert und seine Abgründe verschweigt. Und zwei Besucherinnen, die ihn in seinem Rückzugsort aufstören. Bodo Kirchhoffs neuer Roman „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt“ ist ein klug komponiertes Alterswerk, dessen Falltüren gut verborgen sind und sich doch zuverlässig öffnen.

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Es ist eine Szene wie aus einem Gangsterfilm, mit der Bodo Kirchhoff seinen neuen Roman eröffnet: Auf der Zufahrt zu seinem Grundstück hoch über einem See hört ein Mann am Abend das Geräusch durchdrehender Reifen. Er tritt nach draußen, seine Hündin schlägt an. Auf der engen Straße steckt ein Wohnmobil fest und kommt nicht mehr vom Fleck, und der Mann empfängt die junge Fahrerin mit einem Revolver in der Hand.

Louis Arthur Schongauer heißt er, und sein Instinkt für spektakuläre Auftritte kommt nicht von ungefähr: Jahrzehntelang war Schongauer in Hollywood fest gebucht auf das, was er selbst „Supporting German Characters“ nennt: Nebenrollen in großen Filmproduktionen, in denen Schongauer den deutschen Bösewicht, bevorzugt den Nazi in historischen Filmen, gab.

Nun hat Schongauer sich zurückgezogen in sein Haus über dem See, der nur der Gardasee sein kann, gemeinsam mit Ascha, seiner Hündin und mit besagter Waffe, die in Schongauers amerikanischer Vergangenheit bei einem dramatischen Ereignis eine Rolle gespielt hat. Der Roman erzählt davon, wie diese selbstgewählte Einsamkeit, die nicht frei von Pathos ist, nach und nach zerbröselt.

Reisebloggerin Frida scheucht den alten Schongauer auf

Der Roman „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt“ spielt an wenigen Tagen im Sommer, rund um den 15. August, Schongauers 75. Geburtstag und zugleich der Tag des Ferragosto, der einer der wichtigsten Feiertage in Italien ist. Die mit ihrem fahrunfähigen Campingbus vor seiner Einfahrt gestrandete Reisebloggerin Frida scheucht Schongauer auf. Zudem gewinnt sie zu seinem Unmut schnell das Vertrauen der Hündin Ascha, die nach dem Tod von Schongauers Ehefrau Magda zu seinem emotionalen Bezugspunkt geworden ist:

Sein Leid war manchmal das einzige Reale, bis die Hündin nach Magdas Tod zur Welt für ihn wurde, weil er die Welt für sie war.

Ascha ist Gefäß der Trauer und in ihrer grundsätzlichen Scheu vor Menschen auch ein Spiegel ihres Besitzers. Sein eigener Alterungsprozess wird Schongauer täglich vor Augen geführt. Den ersten Stent am Herzen hat man ihm bereits gesetzt, seine Beine sind knochig, seine Fußnägel zu lang. Die Art und Weise, wie Kirchhoff den Blick auf den Körper seines Protagonisten richtet, ist kalkuliert unbarmherzig; die Schilderung seiner Schrullen mit Ironie abgefedert. Das misanthropische Existenzgefüge Schongauers kommt durch die Ankunft eines weiteren Gastes ins Wanken.

Journalistin Almut scheucht den alten Schongauer ebenfalls auf

Die Journalistin Almut Stein reist an, um ein Porträt über ihn, den gealterten Hollywood-Nebendarsteller, zu schreiben. Zwischen Almut, rund 25 Jahre jünger als er, und Schongauer entspinnt sich etwas. Nichts Greifbares, nichts Ausgeführtes, schon gar nichts Schlüpfriges. Aber etwas, das Schongauer Angst macht:

Sie trinkt einen Schluck und bedeutet ihm nur durch ein kurzes Fingerheben, dass die Temperatur stimmt, alles Übrige aber, das glaubt er ihr anzusehen, nicht stimmt. Und auf einmal glaubt er auch zu wissen, was es ihm schwer macht, einfach nur ihre Fragen zu beantworten: dass er sie verheerend gern ansieht.

Mit dem Roman „Die Liebe in groben Zügen“ trat Bodo Kirchhoff 2012 in die Spätphase seines Werks ein. Er schreibt Bücher über gereifte Beziehungen, über unterdrückte Sehnsüchte, über versteckte Türen, die sich unvermittelt öffnen und lange Verstecktes freilegen. Mit dem neuen Roman erweitert Kirchhoff dieses Themenspektrum, und das auf formal raffinierte Weise: „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt“ ist eine Passionsgeschichte, ein Roman in sorgsam komponierten und ausgestatteten Bildern und in sich abgeschlossenen Aufzügen. An der Oberfläche geschieht wenig – ein Ausflug auf dem See, ein Abendessen, ein Telefonat. Doch stets liegt unter den Szenen eine untergründige Anspannung, ist ein Umkippen des Augenblicks vorstellbar, sei es ins Tragische, sei es ins Peinliche.

Bodo Kirchhoffs Sätze haben Klang und Temperatur

Fast unmerklich zieht das Tempo auf den letzten 100 Seiten an, und die Geschichte nimmt eine neue Wendung. Oft wird Bodo Kirchhoff vorgeworfen, er balanciere am Rand des Kitsches entlang. Passagen, die diesen Verdacht belegen, ließen sich auch in diesem Buch finden, wie auch der Blick auf Frauen nicht immer auf dem aktuellen Stand des feministischen Diskurses ist. Andererseits aber bleibt Kirchhoff dezent und schreibt schöne, elegante Sätze, durchrhythmisiert bis ins Detail; Sätze, die Klang haben und Temperatur. So kann das tatsächlich nur er. Nicht zuletzt ist „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt“ auch eine Reflexion über die Ambivalenz des Alterns, über die Sehnsucht nach einem noch einmal erfüllten Leben und die Angst davor, den eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht zu werden:

Er zieht sich aus, abgewandt vom Spiegel über dem Waschbecken, seinem Anblick, dann tritt er unter die Dusche, und wieder ist da der Wunsch, in der Zeit ein Stück weiter zu sein, schon an das zurückdenken zu können, was ihn in dieser Nacht in ein Glück stürzen könnte, aus dem es keinen Ausweg mehr gibt. Er lässt kaltes Wasser über sich laufen, minutenlang, als könnte es ihn so auflösen wie den Schweiß auf seiner Haut und im Abfluss verschwinden lassen.

Man könnte dazu neigen, diesen Roman zu unterschätzen. Untergründig inszeniert Kirchhoff seine Hauptfigur als einen Mann mit durchaus zweifelhaftem Charakter. Doch das Ambiente und die eleganten Satzbögen tauchen Schongauers Abgründe in ein mildes, melancholisches Licht. Ein Alterswerk mit Falltüren.

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