Diskussion mit vier Büchern

SWR Bestenliste Oktober

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Carsten Otte

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Im Künstlerhaus Edenkoben sprachen Julia Schröder, freie Literaturkritikerin unter anderem für den Deutschlandfunk, Gerrit Bartels, stellvertretender Feuilletonchef beim Berliner Tagesspiegel, und taz-Literaturredakteur Dirk Knipphals über vier ausgewählte Bücher der SWR Bestenliste im Oktober. Aus den vorgestellten Werken lasen Antje Keil und Dominik Eisele. Durch den Abend führte Carsten Otte.

Das erste Buch, über das in Edenkoben diskutiert wurde, steht auf Platz 9 der SWR Bestenliste im Oktober. Es ist ein literarisches Comeback: 1998 hat Tim Staffel sein viel besprochenes Debüt „Terrordrom“ veröffentlicht. Vor 15 Jahren ist sein letzter Roman erschienen. „Südstern“ heißt nun sein neues Prosawerk aus dem Kanon Verlag, das es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Jurymitglied Gerrit Bartels lobte die dichte Atmosphäre des Berlin-Romans, auch Jurorin Julia Schröder war von der schroffen Gegenwärtigkeit der Prosa überzeugt. Dirk Knipphals hingegen fragte sich, ob es sich bei dem Roman, der mit vielen Klischees aufwarte, auch um eine Männerfantasie handele.

In der Diskussion um Maxim Billers neuen Roman „Mama Odessa“ (Kiepenheuer und Witsch Verlag) überwog die Zustimmung: Schröder hob die gewagte Konstruktion hervor: Ein Ich-Erzähler schildert den späten literarischen Erfolg seiner Mutter Aljona Grinbaum, die unerfüllte Israel-Sehnsucht des Vaters und zugleich ein jüdisches Familiendrama, das in Odessa seinen Ursprung hat. Während Knipphals sich über gelungene Telefonszenen von Mutter und Sohn freute, bezweifelte Bartels, ob die pointierten Einzelepisoden sich immer ins Gesamtwerk einfügen. Für ihn bleibe Biller, der sein literarisches Verfahren perfektioniert habe, dennoch ein Meister kürzerer Formen.

Mit „Die Einladung“ hat die amerikanische Autorin Emma Cline wohl die Strandlektüre des Jahres veröffentlicht. Der Roman, der von Monika Baark ins Deutsche übertragen wurde, erzählt die Geschichte eines Escort-Girls (Platz 3). Die junge Frau namens Alex wird von einem wohlhabenden Mann in die Hamptons eingeladen, also in die luxuriöse Strandregion auf Long Island vor den Toren New Yorks. Dirk Knipphals verweist auf die genaue Beobachtungsgabe der Erzählerin und den sozial-ökonomischen Hintergrund des Romans. Gerrit Bartels kritisierte die Erwartbarkeit der Geschichte, Julia Schröder fühlte sich durchaus unterhalten, erkannte aber auch die literarischen Grenzen des Romans.

Platz 1 der SWR Bestenliste im Oktober ist eine Wiederentdeckung. „Gebranntes Kind sucht das Feuer“ heißt der Erinnerungsroman von Cordelia Edvardson, den Ursel Allenstein für den Hanser Verlag aus dem Schwedischen ins Deutsche übertragen hat. Zum ersten Mal erschien das Buch 1986 auf Deutsch; Edvardson erzählt von einer bedrückenden Mutter-Tochter-Beziehung, von einer jüdischen Kindheit im Berlin der Dreißigerjahre und später vom Überleben im Konzentrationslager. Schröder stellte den Band in die Reihe bedeutender Holocaust-Texte wie etwa „Roman eines Schicksallosen“ von Literaturnobelpreisträger Imre Kertész. Knipphals zeigte sich erschüttert von den Schilderungen der Selektion im Konzentrationslager. Bartels wunderte sich über die Rezeption der Prosa, die weder leicht noch poetisch sei, sondern oft schwer und mythisch aufgeladen wie die Literatur der Mutter Elisabeth Langgässer. Die Runde zeigte sich von Edvardsons Erzählperspektive beeindruckt: Die Autorin spreche von sich in der dritten Person, und zwar als „das Mädchen“, auch um sich das Grauen vom Leib zu halten. Julia Schröder las das Buch auch als Angriff auf die bundesdeutsche Nachkriegsliteratur.

Über diese Bücher wurde diskutiert

Platz 1 (72 Punkte) Cordelia Edvardson: Gebranntes Kind sucht das Feuer

Cordelia Edvardson, geboren 1929, war vierzehn Jahre alt, als sie nach Auschwitz deportiert wurde. Ihr 1986 erschienenes Buch liegt nun in einer Neuübersetzung vor. Es zählt zu den bedeutenden Erinnerungsbüchern aus der NS-Zeit.

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