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Norbert Gstrein: Der zweite Jakob

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„Was ist das Schlimmste, was Du in Deinem Leben getan hast“, wird Jakob von seiner Tochter Luzi gefragt. Ja, was?

Norbert Gstreins Ich-Erzähler ist einer von Gstreins klassischen unzuverlässigen Auskunftsgebern, auch und vor allem wenn es um das eigene Leben geht. Jakob Thurner, ein Künstlername, ist Schauspieler und steht kurz vor seinem 60. Geburtstag. Er ist zweifelsohne ein nicht sonderlich sympathischer Mann, der seine Tiroler Heimat hinter sich gelassen hat, ihr aber in Interviews schlecht hinterher redet. Er ist ein alleinerziehender Vater, dem seine Tochter Luzi sein antiquiertes Männlichkeitsbild vorwirft. Er ist vor allem aber auch ein Mann, der in die Abgründe seiner eigenen Biografie blickt.

Was also war das Schlimmste, was er getan hat? Es geht um eine Reihe von Morden an jungen mexikanischen Frauen während der Dreharbeiten zu einem Film in Texas. Es geht aber auch um den ersten Jakob, den Onkel, einer von den Komischen, wie es heißt, an dem der Ich-Erzähler in gleich mehrfacher Hinsicht schuldig geworden ist. „Der zweite Jakob“ ist, gerade in einer Epoche, in der Identität alles ist, mit seinem Identitätsauslöschungsprogramm eine Provokation.

Hinter Gstreins langen, einschmeichelnden Satzperioden verbergen sich die ungeheuerlichsten Selbsterkenntnisse. Das Uneindeutige ist Gstreins Form der Gerechtigkeit. Und es erzeugt eine Genauigkeit, zu der nur Norbert Gstrein fähig ist.

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Schreiben ist für Norbert Gstrein zugleich Identitätsflucht und die Erschaffung einer neuen Identität. In Werkstattgesprächen mit Norbert Gstrein geht es um die Konstruktion seines Ich-Erzählers, die Scham der Selbstentblößung und das Spiel mit fremden Identitäten.

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