Vorgeschichte des Eichmann-Prozesses in Jerusalem

Ausstellung: Wie der Mossad den flüchtigen Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann in Argentinien festnahm

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Martin Gramlich

Im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München startet eine ungewöhnliche Ausstellung über die Ergreifung des Nazi-Schergen Adolf Eichmann durch den israelischen Mossad-Geheimdienst. Sie erzählt sehr emotional die Vorgeschichte des berühmten Eichmann-Prozesses in Jerusalem 1961 und kann in der aktuellen Antisemitismus-Debatte auch hilfreich sein, sagt Ausstellungsmacher Andreas Plöger in SWR2.

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Die Schau wirbt äußerst plakativ für sich. „How to catch a Nazi“ titelte die aus Israel und den USA kommende Ausstellung dort. „Das ist emotionaler als wir es in Deutschland gewohnt sind“, gibt der Historiker und Ausstellungs-Experte Andreas Plöger zu. Das sei kein „History Marketing“, sondern soll so Neugier wecken und die Menschen auf der Straße ansprechen, sich die Schau anzusehen.

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Die Ergreifung Eichmanns ist eine Agentengeschichte

„Adolf Eichmann ist nicht vielen Menschen ein Begriff heute“, glaubt Plöger. Viele wüssten nicht, dass er durch eine Entführung aus Argentinien in Jerusalem vor Gericht kam. „Im Kern ist das eine Agentengeschichte“, so Plöger. Denn das Material habe ein ehemaliger Mossad-Agent im Archiv des israelischen Geheimdienstes gefunden – und die Ausstellung kuratiert. Man erzähle also die Vorgeschichte des Prozesses, der „ein ganz entscheidender Moment für die israelische Öffentlichkeit gewesen ist. Denn so lernte das Land, über den Holocaust zu sprechen.“

Lektion über Antisemitismus

Für die Münchner Version der Schau haben die Macher mit der Holocaust-Überlebende Eva Erben gesprochen und zeigen Ausschnitte als Video. „Sie hat Eichmann in Theresienstadt erlebt“, berichtet Plöger im Interview. Durch diese zusätzliche Geschichte habe man vermeiden können, dass die Opfer der Judenverfolgung nur als kleine Bild an den Ausstellungswänden hängen. Zugleich werde die Schau so aktueller: „Durch den unerwarteten Zugang stößt man auf den Kern, was aus Antisemitismus erwachsen kann“, erklärt Andreas Plöger.

Belasteter Ausstellungsort: hier hätte ein NS-Verwaltungsbau entstehen sollen

Vor allem junge Menschen wolle man mit der Geschichte Eichmanns und seiner Entführung aus Buenos Aires ansprechen. „Sie kann gerade für junge Menschen etwas leisten“, ist Plöger überzeugt. Das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst in der Münchner Maxvorstadt sei ein offener Kulturort und habe außerdem sehr viel mit dem Nationalsozialismus zu tun. Denn auf dem Gelände sollte ein NS-Verwaltungsbau entstehen, wofür Enteignungen und anderes Unrecht in Kauf genommen wurde.

Andreas Plöger hat Zeitgeschichte studiert; er ist Kommunikationsberater und Ausstellungsmacher für das Büro Birke und Partner.

Der Eichmann-Prozess in Jerusalem

Archivradio-Gespräch Adolf Eichmann in Jerusalem (1/2) – Der Massenmörder vor Gericht

Adolf Eichmann lässt als SS-Obersturmbannführer Millionen Juden deportieren. Nach dem Krieg taucht er unter. Mossad-Agenten fassen ihn 1960 in Argentinien. In Israel wird er 1961 zum Tod verurteilt.

Das Wissen: Archivradio SWR Kultur

25.3.1961 Generalstaatsanwalt Fritz Bauer fordert Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen

25.3.1961 | In einem Interview aus dem Jahr 1961 erklärt der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, warum es notwendig sei, die Naziverbrechen gerichtlich aufzuarbeiten.

Die Frankfurter Auschwitz-Prozesse

Meilenstein in der Aufarbeitung der NS-Verbrechen Unbedingte Empfehlung: Serie „Deutsches Haus“ auf Disney+ über den Auschwitz-Prozess

Vor 60 Jahren begann in Frankfurt der Auschwitz-Prozess – ein Meilenstein in der Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Deutschland. Die Autorin Annette Hess erweckt diese Zeit in der Disney+-Serie „Deutsches Haus“ zum Leben.

SWR2 am Morgen SWR2

28.8.1964 Auschwitzprozess: Ärzte im "Zigeunerlager" – Der Name "Mengele" taucht auf

28.8.1964 | Der erste Auschwitzprozess fand zwischen 1963 und 1965 in Frankfurt am Main statt. Zu den zentralen Themen des ersten Auschwitzprozesses gehörte die Frage, welche Ärzte die "Selektion“ betrieben haben. Damit ist die Aussonderung von kranken und alten Gefangenen gemeint, die unmittelbar der Tötung zugeführt werden sollten. Bei den Selektionen waren meist Ärzte dabei; ihnen oblag die Entscheidung über Leben oder Tod.
Die Vernehmung des Zeugen und späteren Nebenklägers Aron Bejlin durch Richter Hans Hofmeyer am 28. August 1964 dreht sich um diese Frage. Bejlin war selbst Arzt und lebte in seiner Häftlingsbaracke mit anderen Ärzten zusammen. In unmittelbarer Nachbarschaft befand sich das "Zigeunerlager“, wo laufend Selektionen stattfanden. Innerhalb kurzer Zeit, so der Zeuge, waren alle Zigeuner vernichtet. Im Lagerjargon gab es den "Goebbels-Kalender“ – ein makabrer Begriff für jüdische Feiertage, an denen die SS besonders viele Vergasungen unternahm.
Aron Bejlin wurde, wie viele Ärzte unter den Häftlingen, zu pflegerischen Aufgaben abgestellt und berichtet von 40 griechischen Jungs, die er mit seinen primitiven Verbandsmaterialien nicht versorgen konnte. Den Kindern hatte der Lagerarzt Horst Schumann mit Röntgenstrahlen die Hoden verbrannt.
Bejlin erwähnt mehrmals in der Vernehmung den Lagerarzt Josef Mengele. Er ist heute für seine medizinische Experimente an Gefangenen berüchtigt und rückte erst durch diesen Prozess ins Bewusstsein der Strafverfolgung. Mengele starb unbehelligt 1979 in Südamerika.

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Martin Gramlich