Formaldehyd-Hai ist sein Markenzeichen

Starkünstler unter Beschuss: Hat Damien Hirst seine Kunstwerke älter gemacht, als sie sind?

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Lydia Huckebrink
Lydia Huckebrink, Autorin SWR Kultur (Foto: SWR, Foto: Lydia Huckebrink)

Unangenehme Vorwürfe gegen Damien Hirst: Drei seiner konservierten Tierkadaver aus der berühmten Formaldehyd-Serie sollen gar nicht aus den 1990er-Jahren stammen, sondern von 2017. Der Verdacht steht im Raum, dass der britische Starkünstler das Entstehungsdatum absichtlich verschleiert hat. Schließlich haben die Formaldehyd-Skulpturen der 1990er-Jahre den Künstler reich und berühmt gemacht.

Formaldehyd-Skulpturen von Damien Hirst (Foto: picture-alliance / Reportdienste,  Photoshot)
Hat Damien Hirst diesen Haifisch-Kadaver absichtlich älter wirken lassen, als er ist? Das wirft der „Guardian“ dem Starkünstler vor.

Eine Taube, zwei Kälbchen, ein Hai

Er tauchte Tierkadaver in große Formaldehyd-Container. Solche Installationen machten den britischen Konzeptkünstler Damien Hirst in den 1990er-Jahren berühmt. Nun sorgen drei Werke für Schlagzeilen: eine Taube, ein Kälbchen-Paar und ein dreigeteilter Haifisch.

Denn die Skulpturen stammen gar nicht, anders als vom Künstler angegeben, aus jener berühmten Schaffensperiode. Die Werke „Dove“ (1999), „Cain and Abel“ (1994) und „Myth Explored, Explained, Exploded“ (1993-1999) sollen erst im Jahre 2017 entstanden sein, gefertigt von einem Mitarbeiter Hirsts. So schreibt es der britische „Guardian“.

Hat der berühmte Konzeptkünstler das Datum der Entstehung bewusst verschleiert? Damien Hirst gerät in Erklärungsnot. Schließlich haben renommierte Kunstgalerien von New York bis Hongkong die drei Werke bereits ausgestellt – als Beispiele für seine Schaffensperiode der 1990er-Jahre. Jene Phase, die sowohl künstlerisch als auch kommerzell den großen Durchbruch für Hirst bedeuteten.

1992: Ein Raubfisch scheucht die Kunstwelt auf

1992 erhascht der damals 26-jährige Hirst erstmals die öffentliche Aufmerksamkeit mit seiner Skulptur „The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living“: Ein vier Meter langer, lebensechter Tigerhai mit weit aufgerissenem Kiefer, konserviert in einem Formaldehyd-Becken, das seine Verwesung verzögert.

Das Raubtier kann man als Sinnbild verstehen für den Lebensstil einer entfesselten Generation: Turbo-Kapitalismus, Aggressivität und Sensationslust, gepaart mit dem ständigen Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit.

Es bleibt nicht beim Tigerhai. In den folgenden Jahren taucht Hirst noch weitere Lebewesen in Formaldehyd-Aquarien: Schafe, Kühe, Zebras. 1995 bekommt der Künstler dafür den renommierten Turner Prize. Der frühe Höhepunkt seiner künstlerischen Karriere.

Kunst aus austauschbaren Objekten

Die eingelegten Tierkadaver erschüttern in den 1990er-Jahren die Kunstwelt. Nicht nur wegen ihrer schauerlichen Strahlkraft, die Erinnerungen weckt an den „Weißen Hai“ und den Biologieunterricht der eigenen Schulzeit. Sondern auch, weil Damien Hirst reale Gegenstände – tote Tiere – zu Kunstwerken erklärt.

Seine Konzeptkunst entfacht eine alte Debatte neu: Was ist der Wert von Kunst? Schließlich könnte auch die Formaldehyd-Maus aus dem verstaubten Schulllabor einen Millionenpreis erzielen, würde Hirst seinen Namen darunter setzen. Doch wenn Kunst aus austauschbaren Objekten besteht, was rechtfertigt dann ihren Preis?

Formaldehyd-Skulptur: Damien Hirst vor seinem Werk (Foto: IMAGO, ZUMA Press)
Der bekannteste Hai der Kunstwelt: 50 000 Pfund bekam Hirst 1992 für das Auftragswerk, 2004 ging es für knapp 10 Millionen Dollar in Privatbesitz.

Die Kunstwelt arbeitet sich an Hirst ab: Die einen berührt seine Interpretation von Tod und Vergänglichkeit. Andere bezeichnen es als obszön, dass seine austauschbaren Skulpturen Millionensummen auf dem Kunstmarkt erspielen. Kalt lässt seine Kunst niemanden.

Damien Hirst, Weltstar der Kunst

In der Kunstwelt der späten 1990er-Jahre lösen die Formaldehyd-Skulpturen einen regelrechten Dammbruch aus. Konzeptkunst erobert den Markt, die mit immer spektakuläreren, plakativeren Werken eine neue Sammlerschaft anspricht: Nicht den klassischen Kunstliebhaber, sondern finanzkräftige Investoren, für die Kunst ein Lifestyle-Produkt ist, ein Statussymbol.

Nicht nur Damien Hirst vermarktet sich in den folgenden Jahren erfolgreich zum Kunst-Superstar. Auch Künstler wie Jeff Koons oder Takashi Murakami repräsentieren einen neuen Künstlertypus, der auf ökonomische Verwertbarkeit und Reproduzierbarkeit setzt. Sie sind Künstler, Unternehmer und Marketingexperte in einer Person.

Damien Hirst: For the Love of God: Ein mit 8601 Diamanten besetzter Platinabguss eines menschlichen Schädels (Foto: picture-alliance / Reportdienste, dpa Bildfunk, Karl-Josef Hildenbrand)
Bling-Bling-Kunst von Damien Hirst: 2007 besetzte er den Abguss eines menschlichen Schädels mit 8601 Diamanten.

Damien Hirst hat die Kommerzialisierung seiner Kunst perfektioniert. Er verkauft seine Werke an handverlesene Privatkunden. Mit einem Vermögen von geschätzt einer Millarde Dollar ist Hirst heute einer der reichsten Künstler der Welt.

Hirst streitet einen Täuschungsversuch ab

Nun soll Damien Hirst drei seiner Installationen also bewusst in die 1990er-Jahre zurückdatiert haben. Konfrontiert mit den Vorwürfen, streitet die Firma des Künstlers einen absichtlichen Täuschungsversuch ab.

Das ausgewiesene Datum zeige nicht etwa an, wann das Kunstwerk entstanden sei sondern vielmehr, wann die Idee zu dem Kunstwerk entstand – so sei das nun mal üblich in der Konzeptkunst, so das Team von Damien Hirst.

Doch Kunstexpert*innen sind sich laut „Guardian“ einig: Es sei zwar möglich, aber ganz und gar unüblich, Kunst nach diesem Schema zu datieren. Daten bezögen sich in aller Regel auf den Entstehungszeitpunkt eines Werkes. Kommt der Vorwurf hinzu, dass die Mitarbeitenden von Hirsts Produktionfirma angehalten gewesen seien, die neu geschaffenen Kunstwerke absichtlich älter wirken zu lassen – als seien sie wirklich in den 1990er Jahren entstanden.

„Künstlerischer Niedergang ist ein schreckliches Schicksal“

Über die Beweggründe kann man spekuliueren. Der Verdacht liegt nahe, dass der Künstler den Entstehungszeitpunkt der Installationen absichtlich in die Vergangenheit datiert hat, um ihren Wert zu steigern. Schließlich gilt die Schaffensperiode der 1990er-Jahre als die künstlerisch Bedeutendste von Damien Hirst.

Es falle schwer, sich ein anderes Motiv vorzustellen als das, schreibt auch Kunstkritiker Daniel Völzke im „Monopol“. „Welche andere Idee steht hinter seinem Datumsschwindel, als den Wert dieser Arbeiten zu erhöhen, indem man sie zurückdatiert in eine glorreiche Zeit?“

Mitleid solle man haben mit Damien Hirst, schreibt der britische Kunstkritiker Jonathan Jones, wiederum im „Guardian“. Denn „künstlerischer Niedergang ist ein schreckliches Schicksal, selbst wenn man über immensen Reichtum verfügt, um den Schlag abzufedern.“ Sollten die Vorwürfe wahr sein, läsen sie sich wie ein Eingeständnis: in der eigenen künstlerischen Bedeutungslosigkeit angekommen zu sein.

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