Lee Krasner in ihrem Atelier (Foto: IMAGO, Pond5 Images)

Ausstellungen im Südwesten zeigen lange ignorierte Kunst von Frauen

Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts: Drei Wiederentdeckungen, die für Aufsehen sorgen

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Lydia Huckebrink
Lydia Huckebrink, Autorin SWR Kultur (Foto: SWR, Foto: Lydia Huckebrink)

Viele Museen im Südwesten machen 2024 mit Ausstellungen über vergessene weibliche Künstlerinnen auf sich aufmerksam. Längst überfällig, denn der Kunstmarkt hat die Werke von Frauen systematisch ignoriert und unterbewertet. Besonders Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts erleben gerade posthumen Ruhm. Wir zeigen Ihnen drei, bei denen man sich staunend fragt, wie man diese Kunst verpassen konnte.

Lotte Laserstein
Hilma af Klint
Lee Krasner
Ausstellungen im Südwesten

Lotte Laserstein, 1898-1993

Was ist aufregend an ihrem Werk? Lotte Laserstein stellt Frauen anders dar als man es von der männlich dominierten Aktmalerei gewohnt war. Sie malt Frauen in intimen Momenten, ohne sie zu objektifizieren. Laserstein ist Menschenmalerin. Sie interessiert sich besonders für weibliche Lebensrealitäten, für moderne, selbstbewusste Frauen.

Im Berlin der 1920er-Jahre hat Lotte Laserstein ihren kreativen Höhepunkt. Doch die „roaring twenties“ spürt man in ihrem Bildern nicht. Die Szenen, die sie darstellt, strahlen Ruhe und Zurückgezogenheit aus – und eine tiefe Melancholie, die unmittelbar unter die Haut geht.

"In meinem Atelier" von Lotte Laserstein 1928, Öl auf Leinwand (Foto: IMAGO, brennweiteffm)
Kunst als Dialog zwischen Malerin und Motiv: Lotte Laserstein malt sich oft selbst in ihre Bilder und reflektiert ihre Rolle als Künstlerin.

Trotz ihrer modernen Motive mag Lotte Lasersteins Stil seinerzeit eher altmodisch wirken. Mit den Modernismen ihrer Zeit – Avantgarde, Abstraktion – hat sie nichts zu tun. Trotzdem pulsiert in ihren Bildern die Gegenwart.

Beispiel „Abend über Potsdam“ von 1930: Ist die Melancholie der jungen Menschen eine Prophezeiung der gesellschaftlichen Umwälzungen? Als ob Lotte Laserstein das drohende Unheil geahnt hätte.

Warum ist Lotte Laserstein nicht schon lange weltberühmt? Für die Jüdin Lotte Laserstein ist die Machtübernahme der Nazis eine Katastrophe. Aus ihrem Exil in Schweden kehrt sie nie nach Deutschland zurück. Ihr bedeutendes Frühwerk kann sie durch Zufälle vor der Zerstörungswut der Nazis retten.

Lotte Laserstein: Abend über Potsdam (Foto: IMAGO, Eventpress)
„Abend über Potsdam“ von 1930: Was braut sich da am Horizont zusammen?

Doch an ihre künstlerische Schaffenskraft der Berliner Zeit knüpft sie im Exil nicht mehr an. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erobert der abstrakte Expressionismus die Malerei. Lotte Lasersteins Stil wirkt aus der Zeit gefallen.

Laserstein etabliert sich in Schweden als Porträtmalerin für die wohlhabende Aristokratie. Bis heute ist ein Großteil ihrer Werke in Privatbesitz. Für Kunstsammler und Galerien ein lukrativer Glücksfall: Es gibt noch viele Bilder, die potentiell erworben werden könnten.

Wie kam es zur Wiederentdeckung? Dank einer engagierten Kunsthistorikerin. Anna Carola Krause stößt Anfang der 1990er-Jahre in Berlin zufällig auf ein Frühwerk der in Deutschland völlig unbekannten Lotte Laserstein und ist überwältigt von der künstlerischen Qualität.

In Schweden bekommt sie Zugang zum Nachlass der gerade erst Verstorbenen. Ein „Schatz“, den es „zu bergen“ galt, erzählt Krause im Kunst-Podcast „Augen zu“ – und der recherchiert, geordnet, katalogisiert, kontextualisiert werden muss, bevor die Kunstwelt mit ihm etwas anfangen kann. Ein langwieriger Prozess.

In Deutschland sind es feministische Kuratorinnen, die Lotte Laserstein 2003 in Berlin eine Einzelausstellung widmen. Erst danach werden große Institutionen auf Laserstein aufmerksam und kaufen ihre Werke. Heute ist man sich einig, dass mit Laserstein eine der bedeutendsten deutschen Maler*innen des 20. Jahrhunderts ihre berechtigte Anerkennung erfährt.

Vergessen oder verehrt: Wieviel Zufall steckt dahinter? Viel, das zeigt der Fall Lotte Laserstein. Wieviele Bilder sind erhalten, in welchem Zustand und in welchen Händen befinden sie sich?

Lotte Laserstein: Mädchen mit Katze. 1932 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, dpa | Lisa Ducret)
In der pulsierenden Kunstszene der Weimarer Republik war die Malerin Lotte Laserstein bekannt. Die Nazizeit bedeutete das Karriereaus.

Ebenso wichtig sind engagierte Einzelpersonen. Macht sich jemand die Mühe, den Nachlass zu sichten, zu katalogisieren, kontextualisieren und schließlich: eine Marktstrategie zu entwickeln?

In privaten Lagerräumen und auf Dachböden von Künstler-Erb*innen finden sich mitunter Werke von außergewöhnlicher Qualität, preislich unterbewertet und damit für den Kunstmarkt begehrenswert. Manchmal liegen ganze Nachlässe brach. Denn die Aufbereitung kostet Zeit und Expertise – oft sind Erben damit überfordert.

Leben Kunst für den Container? – Das Dilemma mit den Künstlernachlässen

Künstler produzieren weit mehr als sie verkaufen können, doch auch Kunst unterliegt der Mode. Was erleben betagte Kunstschaffende oder ihre Erben, wenn die Werke keiner mehr haben will?

SWR2 Leben SWR Kultur

Galeristen oder Kunstsammler übernehmen diese Aufgabe gern, wenn sie Potential in der Kunst erkennen. Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts wieder zu entdecken kann sich für den Kunstmarkt zu einer Goldgrube entwickeln.

Hilma af Klint, 1862-1944

Was ist aufregend an ihrem Werk? Hilma af Klint ist eine Kunst-Sensation. „Die Kunstgeschichte muss neu geschrieben werden“, titelte die „FAZ“ 2013. Denn die schwedische Malerin war nicht nur außergewöhnlich in ihrem Ausdruck. Ihre späte Wiederentdeckung erschütterte auch eine der mächtigsten Heldenerzählungen der männerdominierten Kunstgeschichte.

Werke von Hilma af Klint im Guggenheim Museum New York, 2018 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, dpa | Johannes Schmitt-Tegge)
Geheimnisvolle Zeichen erinnern an nautische Symbole und Navigationslinien. Kein Wunder – Hilma af Klint entstammt einer Seefahrerfamilie.

Nämlich die, dass die abstrakte Malerei und somit die moderne Kunst eine Erfindung von Wassily Kandinsky gewesen sei, der sich selbst zeitlebens als Schöpfer des ersten abstrakten Bildes bezeichnete. Doch Hilma af Klint hat schon 1904 ungegenständlich gemalt – sieben Jahre vor Kandinsky.

Warum ist af Klint nicht schon lange weltberühmt? Hilma af Klints Werke sind Farbräusche von rätselhafter Spiritualität, mit denen sie ihre Zeitgenossen heillos überfordert hat. Die Künstlerin gilt heute nicht nur als Begründerin der abstrakten, sondern auch der mythischen Kunst. Sie war fasziniert von Metaphysik und Magie und drückte das aus in abstrakten Formen und geheimnisvollen Zeichen – eine Bildsprache, die in der Kunstwelt einzigartig ist.

Doch verkaufen konnte sie nicht ein einziges Kunstwerk. Auch ausgestellt hat sie nie. Sie zeigte ihre Bilder Rudolf Steiner, doch auch er konnte damit nichts anfangen – ein Schlag für Hilma af Klint, die zeitlebens Anhängerin der Anthroposophie war.

Hilma af Klint in ihrem Atelier (Foto: IMAGO, Kolvenbach)
War Hilma af Klint vielleicht sogar die heimliche Inspiration von Wassily Kandinsky? Man spekuliert, ob Rudolf Steiner dem Maler bei einem Treffen 1908 Fotografien von af Klints Kunst zeigte.

Nach ihrem Tod 1944 mussten die Bilder von Hilma af Klint 20 Jahre unter Verschluss bleiben. Das hatte die Künstlerin selbst verfügt. Als hätte sie geahnt, dass ihre Zeit erst noch kommen würde.

Wie kam es zur Wiederentdeckung? Schon die ersten Ausstellungen in den 1980er Jahren lösten teils heftige Debatten über den Kanon der Kunstgeschichte aus. 2013 schlug eine Retrospektive in Stockholm in der Kunstwelt ein wie eine Bombe. Und 2018 schrieb das Guggenheim Museum in New York Besucherrekord: Nie zuvor in der Geschichte des Museums wollten so viele Menschen eine Ausstellung sehen wie die von Hilma af Klint.

Heute ist die Nachfrage nach ihrem Werk gewaltig. Es gibt Ausstellungen am laufenden Band. Doch auf Auktionen erlebt man ihre Bilder bis heute nicht. Sie sind alle im Besitz der Hilma-af-Klint-Stiftung, gegründet von Hilmas Neffen und der Anthroposophischen Gesellschaft, der Hilma selbst angehörte.

Lee Krasner, 1908-1984

Was ist aufregend an ihrem Werk? Lee Krasner ist eine Pionierin des amerikanischen abstrakten Expressionismus. In ihrer 50-jährigen Schaffenszeit hat sie sich ständig neu erfunden. Neben großformatiger abstrakter Malerei umfasst ihr Werk Porträts, Collagen und kubistische Zeichnungen.

Lee Krasner in ihrem Atelier (Foto: IMAGO, Pond5 Images)
Lebendig, kraftvoll, energetisch: Lee Krasner, eine der unbeirrbarsten Künstlerinnen der amerikanischen Moderne.

Stillstand verabscheut Lee Krasner. Anstatt sich festzulegen, schafft sie aus Gegensätzlichkeiten neue Ausdrucksformen. Sie ist abstrakt und dann doch wieder gegenständlich. Zerreißt alte Werke und schafft aus den Schnipseln Neues. Wütet an der Leinwand und kontrolliert gleichzeitig den Prozess. Ihre Kunst ist ein ständiger Prozess der Zerstörung und Selbsterneuerung.

Warum ist Lee Krasner nicht schon lange weltberühmt? Jackson Pollock, Mark Rothko, Willem de Kooning: In der Kunstgeschichte tat man lange Zeit so, als sei die amerikanische Moderne das Produkt eines exklusiven Männerzirkels gewesen. Obwohl Lee Krasner zu den abstrakten Expressionisten der ersten Stunde gehörte, wird sie vor allem in Europa erst seit wenigen Jahren als eigenständige Künstlerin gewürdigt. Warum?

  1. Die Kunstwelt unterliegt – damals mehr noch als heute – patriarchalen Strukturen, die den Verdienst von Frauen systematisch geringschätzt
  2. Obwohl selbst außerordentlich talentiert, steht Krasner lange Zeit im Schatten ihres berühmten Ehemanns Jackson Pollock, dessen Karriere sie anstelle ihrer eigenen entscheidend gefördert hat
  3. Im Gegensatz zu ihren berühmten männlichen Kollegen wehrte sich Krasner dagegen, einen signature style zu entwickeln. Ihrer Kunst fehlt der Wiedererkennungswert und galt deshalb lange als schwer verkäuflich
 "The Eye is the First Circle" der amerikanischen Malerin Lee Krasner (Foto: picture-alliance / Reportdienste, KEYSTONE | PETER KLAUNZER)
Rhythmische Bewegungen auf riesiger Leinwand: „The Eye Is the First Circle“ von 1960 muss ein Kraftakt gewesen sein. In jener schwierigen Zeit kurz nach Pollocks Tod enststanden Krasners expressivste Werke.

Wie kam es zu ihrer Wiederentdeckung? Lee Krasner hat selbst für ihre Sichtbarkeit gekämpft. Von der Öffentlichkeit wurde sie während eines Großteils ihrer Karriere sträflich ignoriert oder als Imitatorin ihres berühmten Ehemanns abgetan. Ihre Karriere ist beispielhaft dafür, wie weibliche Künstlerinnen systematisch aus der Geschichte der modernen Kunst herausgestrichen wurden.

1974 steht Lee Krasner mit anderen Künstlerinnen vor dem New Yorker Museum of Modern Art und fordert lautstark, dass das Museum die Kunst von Frauen nicht länger ignoriere. 1984 widmet jenes MoMA ihr schließlich die lang verdiente Retrospektive. Doch kurz vor der Eröffnung stirbt sie.  

Lee Krasner war nie eine Unbekannte. Doch erst in den letzten Jahren würdigt die Öffentlichkeit sie als eigenständige Künstlerpersönlichkeit. 2019 machte eine große Sammelausstellung unter anderem in der Frankfurter Schirn die Künstlerin auch in Europa einem breiteren Publikum bekannt.

Lee Krasner und Jackson Pollock (Foto: picture-alliance / Reportdienste, dpa Bildfunk, UPI Hans Namuth)
„Ich habe vor Pollock, während Pollock und nach Pollock gemalt“, sagt Krasner. Die New Yorker Kunstszene hat ihr Werk lange Zeit gering geschätzt.

Das Interesse an ihren Bildern ist seitdem deutlich gestiegen. 2019 ging „The Eye Is the First Circle“ von 1960 bei Sotheby´s für beeindruckende 11,5 Millionen US-Dollar über den Tisch.

Ein Wandel in der Kunstwelt

Preise in Millionenhöhe, Einzelausstellungen als Publikunsmagnete: Das allgegenwärtige Interesse an weiblicher Kunst des 20. Jahrhunderts ist Ausdruck eines neuen Zeitgeists. Sammlerinnen und Museumsbesucher verlangen nach einem diverseren Kunstkanon. Die späten Würdigungen von Lee Krasner, Hilma af Klint oder Lotte Laserstein zeigen, dass die Kunstwelt sich verändert hat.

Die ungleiche Repräsentanz zwischen den Geschlechtern steht zunehmend in der Kritik. Anstatt sich des männlichen Genie-Kults zuzuwenden, haben Authentizität, Vielstimmigkeit und Ambivalenz heute an Bedeutung gewonnen. Werke sind gefragt, die die Themen unser Zeit – Feminismus, Rassismus, Diversität – besser repräsentieren. Bleibt zu hoffen, dass dieser Wandel von Dauer ist – und wir nicht in 70 Jahren die Star-Künstlerinnen der Gegenwart „wiederentdecken“ müssen.

Ausstellungen im Südwesten

Remagen

51 Malerinnen aus 5 Jahrhunderten Arp-Museum zeigt die „Maestras“ – Die Wiederentdeckung weiblicher Malerei

Maestras – das ist ein neues Wort und steht für 51 Malerinnen, mit deren Werken das Arp-Museum in Remagen ein faszinierendes Gesamtbild rein weiblicher Kunst durch die Jahrhunderte zeigt.

SWR2 am Morgen SWR2

Gespräch „Hoover, Hager, Lassnig“ in Mannheim: Künstlerinnen des Körperlichen

Die Kunsthalle Mannheim zeigt in der aktuellen Ausstellung die Werke der Künstlerinnen Nan Hoover, Anneliese Hager und Maria Lassnig.

SWR2 am Morgen SWR2

Künstlerinnen entdecken

Ausstellung „Art is a criminal action“ – Die Medienkünstlerin Ulrike Rosenbach im ZKM Karlsruhe

Ulrike Rosenbach experimentierte in den 1970er Jahren mit dem neuen Medium Video und thematisierte ihre Rolle als Frau und alleinerziehende Mutter – selbstbewusst und provokant.

SWR2 Journal am Mittag SWR2

Ausstellung Malerei, Performance und Klangkunst: Lily Greenham im Kunstverein Karlsruhe

Zum 100. Geburtstag von Lily Greenham zeigt der Badische Kunstverein erstmals das Werk der vielseitigen Künstlerin in seiner ganzen Bandbreite.

SWR2 Kultur aktuell SWR2

Waiblingen

Ausstellung Zeichnen als Haltung – Papierkunst von Katrin Ströbel in der Galerie Stihl Waiblingen

Die Galerie Stihl zeigt mit den überraschend vielfältigen und reflektierten Arbeiten von Katrin Ströbel eine Künstlerin, die Position bezieht und sagt: Zeichnung sei für sie nicht nur ein Medium, „sondern eine Haltung“.

SWR2 am Morgen SWR2

Fluss der Superlative Steph Huang und der Rhein: Die Ausstellung „the water that bears the boat“ in Freiburg

Die Bildende Künstlerin Steph Huang ließ sich vom Rhein inspirieren: „The Water that bears the Boat“ in der Galerie für Gegenwartskunst im E-Werk in Freiburg ist eine Hommage an den Fluss in all seiner Vielfalt.

SWR2 Journal am Mittag SWR2